Wann wurde der letzte Yuppie je hier gesehen?

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So lässt sich auch eine Geschichte erzählen, in der er schreibt und Lesungen hat und auf der gestrigen kam eine Frau auf ihn zu, die er für ein Groupie hielt, und dann stellte sich bald heraus, sie will kein Autogram hat nicht einmal seine CD dabei, dass sie das beileibe nicht ist, was man über sie jetzt denken könnet. Sie gehen zusammen weg und erleben eine Menge und abends sitzen und essen was unterm Schirm im Regen, der die Begleitmusik veranstaltet, und dazu berühren sie sich zum ersten Mal mit Absicht und es wird weit über Mitternacht eine Liebesnacht daraus, und am gleichen Tag lässt er sich durch den Wecker wecken, was er sonst ja nicht nötig hat, doch seine Biouhr spielt da nicht mit und alles muss nun zu zweit fix gehen in seiner Wohnung, die nur für ihn gemacht scheint, also als Single gemeinsam duschen, im Duo schnelle Happen nehmen, etwas an einander vorbei herumhüpfen, im Flur den Schlüssel suchen, hinaus zum Hause Und wieder regnet es, nein gießt es für exakt die wenigen Minuten, die ihm bleiben, die Bahn zu erreichen. Fertig wäre die Erzählung. Er erreicht den Bahnsteig gerade noch so. Dann heisst es der Zug führe fünf Minuten später, später werden weitere fünfzehn Minuten Verspätung drauf gepackt. Und schließlich fällt der gesamte Zug aus und vom nächsten Zug heißt es, er habe auch gute Aussicht, auszufallen. Die Anzeige zeigt da immer noch brav: Berlin Alexanderplatz – Magdeburg Hbf an 09:50 +33 an.

… und vom überübernächsten plaudert das Internet:

Berlin Alexanderplatz ab 11:03 Fahrt fällt aus 2 RE 18116

Okay denkt er, dann werde ich einmal die Frau von gestern anhimmeln, wenn überhaupt?

Kartenhaus

Das ist mein kleine HÄUSCHEN im Innenhof und ich sage gern auch WO

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Ist mein heutiger Fotostar. Ja, es hat mich immer schon gereizt, es einmal vor die Linse zu bekommen. Nun ist es endlich geglückt. Sieht prächtig aus. Auch der Hintergrund passt vorzüglich.

Wenn Veranstaltung ist, ich rauchen gehe, stehe ich oben an der Treppe beim Aschenbecher und sehe das Häuschen an. Gerettet ist es worden vor dem Zusammenbruch, Zerfall. Schön ür die gute alte Dame. Fanartikel, man sieht es an ihrem blauweißen Kleid, wurden aus ihrem Inneren verkauft. Und dann wie gesagt, kam die Umzugszeit. Das alte Stadion, in dem sie sonst wohnte, schmiss sie raus. Und sie dümpelte dann in einem Lager. Und als das alte Stadion dann zu einem neuen ausgebaut war, kam niemand mehr auf die Idee, sie zurückzuholen.

Der es ernst mit ihr meinte, war Recke Norbert. Schlug sich für sie in die Bresche. Entkleidet sie. Stück für Stück zerlegt in ihre Einzelteile, wurde sie transportiert und im Forum Gestaltung wieder aufgebaut. Der gesamte Innenhof gehört ihr. Einmal im Jahr ist sie dann hier der Star, die alte Diva, spielt in dem Klamauk-Stück mit. Gleich zu Beginn hält sie eine tragende Rolle in. Da geht es hoch her. Da werden Typen vorgestellt und Reden geschwungen. Und es gibt wie bei der Rockyhorror-Show einstudierte Sätze, die müssen fallen. Und das Publikum tönt laut mit, wenn eine Mitspielerin, die Frisöse ist, sagt, dass se sich nu mal frisieren geht oder so.

Also, was müssen wir uns nun vorstellen, dass da dargestellt wird? Ganz einfach. Das Ding heisst: Olvenstedt probiert’s, findet alljährlich in Magdeburg statt. Seit 1998. Damals noch in den Freien Kammerspielen unter Beteiligung von Amateurspielern aus dem Magdeburgs Plattenbau. Korrigiert mich, wenn ich was falsch verstanden habe und hier von mir gebe! Heute absoluter Kultstatus. Seit über zwölf Jahren nun im Forum Gestaltung beheimatet. Das Spektakel des Jahres im Innenhof mit den allbekannten Olvenstedter Größen:

Basti Wiese und jene schöne Beate, die sich wenn es brenzlig wird, besser mal „de Hoare mocht“. Und Achim, der das Theaterspiel mit kessem Spruch eröffnet. Und die Brüder Fränki und Torte, der Kioskbetreiber Appel, Banane, Bananes Bengel, Tacho, Tachos Bengel, die Jungs vom Block U, man erinnert sich vielleicht an die legendären Zeiten im Heinz-Krügel-Stadion?

Die Stücke bleiben ständig in Robe, ob sie je aufgeführt werden, ist fraglich. Wir wohnen nur Proben bei. Die aber haben es in sich. Und das ist der Sinn der Sache:

Das Leben ist eine immerwährende Probebühne. So sieht es aus.

Magdebuger Spezialtrunk spielt eine gewichtige Rolle. Auerhahn und Kompott, heisst es vertreten durch Bier und Kümmerling. Das Bier aus Suden gebraut, hat große Chancen dieses Mal dabei zu sein. Besser geht es nur durch diejenigen, die besseres tun, und das wird schwierig werden. Denn der Spass am Probe spielen ist immens und kaum zu toppen, sagt mir die leere, schöne Bude. Dann habe ich aufgeraucht und werfe ihr nen Handkuss zu. Nur so.

DER nackte BÜRGER

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Ich fahre nach Duisburg und von da aus weiter aufs Land, Empel Rees. Gibt es das überhaupt, fragt die Frau vom Bahnservice? Und findet es dann doch. Und druckt mir die Verbindungen aus. Ich habe noch etwas Zeit, den Nackteburger zu beäugen, beim Gang zum Bus-Depot entdeckt, als der Doktor hier in Magdeburg zu Besuch anlangte. So verschämt wie man ihn zwischen den Bahnhof und Bushaltestelle aufgestellt hat, kann es nur an seinem Pullermann liegen. Der ragt aus ihm heraus wie ein Wasserhahn und spiegelt sich an der unteren Bauchhälfte. Ein doppeltes Sehvergnügen also.

Die Figur ist irgendwie auch als Eisklotz zu sehen, wenn man ein Auge zukneift. Ein abgekalbter Eisblock. Jedenfalls wirkt er arg im Stück ausgebrochen zu sein. Im Februar 2008 aufgestellt, könnte Frost geherrscht haben.

Man hat die nackte Figur hinter ein echtes Geländer weggesperrt und auf einen Sockel gestellt. Sie hält ihren rechten Arm angewinkelt erhoben und scheint zu winken. Wie man halt so winkt, wenn an einem ständig Menschen vorbeilaufen, die kurz auf das Ding da unter seinem Bauch gucken und weiter hasten. Der Magdeburger steht auf dem Schild, „der“ kleingeschrieben. Klein ist auch sein männliches Teil. Man könnte meinen, es handelt sich um einen Knirps. Der feiste Knickbauch über dem Geschlecht deutet darauf hin. Der Junge scheint es eilig gehabt zu haben und eine ganze Packung Knäckebrot eingeschoben zu haben, die da unverdaut in ihm klemmt. Er könnte also auch nach einem Krankenwagen winken, sich in die Ambulanz fahren zu lassen? Die eckige Einkaufstasche in seiner Linken könnte die Nachtwäsche beinhalten. Plötzliches Magenweh würde auch erklären, warum der Junge hier nackt aufgelaufen ist. Es geht um Leben oder Tod, da ist es kurz gesagt egal, wie er auftritt. Coffee to go steht auf dem Papierkorb neben ihm. Er könnte auch mit dem Zug nach Togo wollen, wo sie alle nackig wie Magdeburger herumrennen und eine schöne glänzende dunkle Haut haben. Oder die Figur soll an früher erinnern, als hier noch Westbesucher ankamen, so mit richtigen Westklamotten und Kaffee und Seife und son Kram. Und dieser nackte Kerl ist mehr symbolisch nackt. Er hat den Ossi zu verdeutlichen, der nackt zum Empfang bereit steht, mit offenen, leerer Tüte statt offenen Händen, die er nicht wie eine Schultüte nur oben, sondern bis zu ihrem Boden gefüllt sehen will. Der Ossi, der so gar nichts anzuziehen hätte, würden Westonkel und die Tante aus Oberammergau nicht regelmäßig anreisen.

Der Kopf ist allgemeingültig und nahezu gesichtslos ausgeformt. Es muss sich um ein Gleichnis handeln.

Brauerei DIAMANT

diamantJa, sicher. Das ist die Brauerei, sagt eine der zwei älteren Damen, die ich nach dem Gebäudekomplex befrage. Ich habe dort fünfundzwanzig Jahre gearbeitet. Und ihre Freundin nickt und lacht. Denken sie an. Sie verlachen die Sehnsucht und lassen Bitternis nicht aufkommen. Die Zeiten sind doch wirklich seltsam, nicht wahr. So Riesending. Und plötzlich braucht das keiner mehr. Wenn man mit dem Zug nach Magdeburg fährt, Bahnhof Neustadt, grüssen sie einen. Der Schornstein, die kleinen, hier inzwischen gewachsenen Bäume auf den Dächern, die Zinnen, Türmchen. Muss mal echt riesig gewesen sein, anhand der verbliebenen Bauten, die hinterm Einkaufsparadies mächtig aufragend zu sehen sind. Heute kann man aus der Handtasche brauen, sage ich, um etwas zu sagen, deswegen sind die großen Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig. Was nun also damit anfangen? Leerstand ist ja unschön. Irgendwo haben sie aus der Substanz schicke Altenheime und Residenzen entstehen lassen, angenehmer zu bewohnen als Neubaublöcke. Man stromert auf solchen Geländen sehr schön, ist wieder der Junge, der man einmal war und möchte am liebsten überall hineinkriechen, alle Treppen und Leitern bis nach ganz oben nehmen. Ein guter Traum. Die Realität spricht eine hilflose andere Sprache, die des Zerfalls.

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Ein Flachgebäude drängt sich ins Blickfeld. An der Seite sind auf hellem Grund einige Überlieferungen zu betrachten. Handgemalte Wandbilder, die an die goldene Zeit erinnern. Stadt und Land trinkt Diamant, steht da geschrieben. Und man sieht ein Fass die schiefe Ebenen herunter rollen. Blumen, Korn, Wolken, Feld. Die Natur, als alles noch so in Ordnung gewesen war. Vorne sieht das Gebäude demoliert aus. Fetzen von altem Gemäuer sind da wie Fladen zu betrachten. Weißer Putz. Rechts mit Wein und Reben bemalt. Naive Kunst. Eine neue Tür ist neben die alte Tür hinzu gemauert worden. Richtige Ziegeln um sie herum. Man sieht einen Aushang, einen Briefkasten, Geländer, Blumentöpfe. Und oben unterm Dachgiebel sind da zwei Leuchtkästen angebracht: Diamant Pilsner, Diamant Pilsner. Die fristen rechts links vom Zentralschild Brauhaus ihr Dasein.

Hinein könnte man, Bier kann man hier auch vielleicht konsumieren. Ich überprüfe es nicht. Sieht aus, als würden ein paar Hartnäckige hier noch einkehren. Ich will nicht wie der Tourist wirken oder einer, der dem Ganzen hier auch den Garaus machen könnte. Wird ein Verwaltungsgebäude gewesen sein? Eventuell mit einem Saal.

An der Seite hat sich ein Verkaufsladen etabliert. Dunkle Ziegeln, rötlich. Türmchen. Aber auch schon Wildwuchs. Irgendwie schien zwischen den beiden Komplexen eine Verbindung, in Form einer Brücke bestanden zu haben? Ein Tunnel in den Wolken?

Schade, dass es die BierBörse gab und kein einziges Magdeburger Bier angeboten worden ist, denke ich, weil es die Ruinen, aber keines sonst hier gibt. Ich habe auch nur ganz wenige, beinahe gar keine regionalen Biere dort angetroffen, fällt mir auf.

Alpakas & Barkasse

(Vicugna pacos), auch Pako, ist eine aus den südamerikanischen Anden stammende, domestizierte Kamelform, die vorwiegend ihrer Wolle wegen gezüchtet wird. In Europa wird Alpakawolle bisher eher wenig genutzt.

Alpakas werden in Deutschland aufgrund ihres ruhigen und friedlichen Charakters auch in der tiergestützten Therapie eingesetzt.

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Und genau da sind wir gelandet, in einem Lebenshilfe Werk zum JahresFest. Und dann wurde das Wetter gut. Also für Radfahrer. Genügend Kühle und Fahrtwind, um nicht überzukochen. Die freundlichen Alpakas treffen wir in einem Gehege an. Sie werden prächtig unterhalten. Blasmusik vom großen Blasorchester auf Schalmeien gespielt. Dreißig Leute in Blau und Weiß wie es sich in Magdeburg gehört. Weiße Hosen, blaue Pullis. Und danach singt ein Chor aus Bewohnern der Einrichtung zünftig: Rolling Home und Mei Bonni iss ower sie Oschen. Es gibt alles, so gar Alkohol. Der Doktor sagt, dies wäre der einzige Unterschied zu seinen JahresFesten. Bier gäbe es bei ihm natürlich nicht, ist ja auch klar, in einer Therapiestation für Alkoholkranke, gehört sich das nicht. Hier wuselt genügend Personal, haben hunderte Augen auf ihre Leute gerichtet. Und man kennt so seine Pappenheimer bestimmt.

Die Band im weißen Partyzelt werden wir uns nicht mehr ansehen. Die Tombola ist bereits mächtig abgeräumt. Jetzt kommt gleich der Sieger, sagt ein Mann und schon kommt er, mit einem Flachbildschirm zwischen den fast ausgerenkten Armen, packt ihn in den Wagen. Für uns wäre nur noch ein Brattopf übrig geblieben.

Wir essen Bratwurst. Ich lasse mir das Bogenschießen beibringen, feuere fünf Mal auf die allerhinterste Scheibe, weil die anderen alle besetzt sind, treffe sie zweimal. Für das erste Mal im Leben eine gute Bilanz. Und die Pfeile, die vorbei pfiffen, waren zweimal ganz schön nahe dran, muss ich sagen.

Und dann mit den Rädern die fünf Kilometer zurück. Flohmarkt im FamilienHaus Magedeburg. Kein großer Markt, nur ein paar Stände. Ein ältere Frau will uns ihr Fahrrad verkaufen. Vierzig Euro, feilscht sie. Sie muss es tun, sagt sie, sie bräuchte das Geld. Wir schauen uns den Markt Tisch für Tisch an. Der Doktor kauft sich eine uralte Schere. Mit Kaiserkopf und Kaiserin. Eine frühere Billigschere aus Metall fürs Volk. Das esset kaufen nach dem Spruch: Gold gab ich zur Wehr, Eisen bekam ich zur Ehr. Die Schere, die sozusagen für die Wehr & Ehr und das Militär Geld eintrieb, erklärt der Doktor, die herhalten musste an den Glauben, den ersten Weltkrieg zu gewinnen. Gelang aber nicht. Und so fristen all diese Scheren ihr trauriges Dasein auf Märkten wie diesen, wartend auf den Mann mit Geld und Ehr wie mein Doktor. Spendeneintrieb damals. Ohne Tombola und Bildschirm. Blech statt Gold, billig statt teuer und hold. Mir winken drei Modelle von Tim und Struppi in verschiedenen Automobilen zu und das Packen doppelte Schulz-Detektive sind auch dabei. Es regnet ein bisschen, nicht lange, wir stehen unter der hohen Tanne.

Ich habe den Doktor beim Gefängnis angemeldet, ihm aber nix davon gesagt. Erst als wir an der Eisenpforte stehen. Wir finden unsere Namen auf der Gästeliste. Und dann ist da eine Bewachungs-Blondine im Securitylook. Die will uns nicht mit den Fahrrädern reinlassen. ich will aber nicht das Rad von Norbert gefährden und draußen stehlen lassen, finde es im Gefängnis sicherer. Ich bin der Stadtschreiber und das Rad ist mein Kugelschreiber, sage ich. Wir dürfen uns nicht trennen. Kann jeder sagen, dann bin ich der Bürgermeister von Magdeburg. Hoho, macht der Doktor, das wird ja endlich mal Zeit, sie kennenzulernen. geig mein Name. Wir gekommen den grünen Stempel auf den Arm gedrückt, der uns als gern gesehene Besucher ausweist. Dank Herrn Beesten, der sich hier bestens auskennt. Erst einmal Rundgang, sorry besser Hofgang wie die Insassen damals hier auch. Nur ist hier alles bunt und lustig. Wir sitzen nur eine  kleine Weile in einer sehr bequemen, in den Hof gestellten Couch und wohnen den Vorbereitungen einer Metall-Band bei. Die Knackis sind wohl alle ausgebrochen, denkt man. Oder im Wochenende-Belastungs-Urlaub. Annett Gröschner, sagt man uns, hat im obersten Stockwerk ihre Zelle, in der sie ein Tagebuch an die Wand schrieb und ein Vorhaben vorstellte. Viel zu viel zum Lesen, das schafft eh niemand, wir schon gar nicht, zur Kenntnis zu nehmen. Und auch Anna Hahn schauen wir uns nur kurz an, die hat einen kleinen Comic auf Pergament gebracht. Immerhin zum Thema Gefängnis, denn sie war eingeknastet. Fazit: Gefängnisse sehen alle sich ähnlich. Lange Gänge, freie Treppen in der Mitte, Drahtgitter gegen die Suizidgefährdeten. lld Türen mit Essendurchreiche. Nummeriert. In den Zellen, Waschbecken und alles spartanisch eingerichtet. Duschräume für vier Leute. Der Trakt in dem wir sind, ist neuer Art, aber genauso trist. Etwas  großzügiger gebaut, jedoch identisch dem alten Bau.

Wir machen uns zur BierBörse auf, bleiben am Stand der Sudenhofer. Die zapfen das Bier in schönen alten umgebauten Barkassen. Alpakas und Barkasse. Zwei klingende Worte. Die beiden blonden Frauen sind richtig gut drauf und gackern sich durch die Zeit. Wir trinken drei Bier und bekommen einen Schnaps, Schierker Tropfen, geschenkt, weil wir so freundliche Wesen sind, sagt die eine Blondine.

Sieh dir das mal an, erregt sich eine Frau neben uns, so kleine Brötchen und so winzige Würste. Die gibt es bei uns nicht. Bei uns sind die Brötchen größer und die Würste auch. Und wie sie sich das dritte Mal erregt, fragen wir nach ihrem Stand. Vor Karstadt, posaunt sie, morgen ab zehn könnt ihr frühstücken kommen, Jungs. Sie nennt uns alten Zausel Jungs. Das ist übertrieben, aber auch irgendwie angenehm und ihrem Geschäft dienlich. Ja, sagen wir Jungs, dann bis morgen um zehn. Und sind einmal herum auf der BierBörse. Sehen, ob sie heute Fischbrötchen haben? Ham se nich wie gestern schon.

Und dann sind wir im Forum beim Chanson. Und man hat uns zwei Tellerchen hingestellt, auf ihnen zwei gelbe Servietten und einen runden Teller mit Käse, Creme-Aufstrich und passend zum Tag, Lachs. Endlich Fisch aufs Bier. Auf allen Brötchenhälften, eigens uns zur Liebe gemacht, sagt Eva, wo denkt ihr denn hin. Und dann gibt es das Gipfeltreffen der Geister zwischen Norbert und dem Doktor, allumfassend und tiefgreifend wird geredet. Die Brötchen sind rasch & ratzbatz weggegessen. Die leeren Teller erfreuen Eva. Alles richtig getan, gut so. Und dann ist der gesamte Kosmos über Kunst, Kommerz, Kultur und Politik, Wirtschaft, Verbrechen, Bausünden, Ballast, Bundeswehr, Bungabunga-Partys erschlossen, alle Themen sowieso nur angerissen worden. Zentrale Frage vom Doktor, welchen Status man haben muss, so eine Sache wie das Forum zu am Leben zu halten. Und über Alkohol-Therapie wird gesprochen, und dabei Wein getrunken. Und dann standen wir hinterm Tresen und unsere Gastgeber vor ihm. Und bedienen sie aus den Drei-Liter-Kartons. Der, mit dem eingebauten Zapfhahn. Und wir schieben, weil wir nicht mehr radeln wollen, die Räder in den Hof.

So schlimm ist es in Magdeburg nun auch nicht bestellt. Sie stehen am Morgen noch im Hof, wie wir sie abgestellt und angeschlossen haben. Punkt zehn sind wir am Kiosk vor Karstadt. Der aber ist verrammelt und zugeschlossen. Wir besorgen uns eine Pappe, einen Kuli und schreiben eine gepfefferte Beschwerde. Sagen uns, die dicke Frau hat sich zu weit herausgelehnt. Und fahren dann aufs „Radewohl“ los, will ich sagen. Ins Grüne, Blaue, Weiße, in die Gegend ohne rechten Plan.

Mit dem Rädern setzen wir über diese Brücke mit den vielen Planken, auf ihnen Schriften, Namen, Adressen, Daten eingetragen. Die Brücke ist schön gebaut, sehr alt und irgendwie historisch. Die Planken wurden zu ihrer Erhaltung pro Stück und Größe verkauft. Schon komisch, wenn man über all die Schrift fährt, seltsam für einen Menschen der Schreibenden Zunft, ein bisschen wie über ein Ölbild mit dem Fingernagel ratschen. Ein mann informiert uns über die Eichen-Planken-Aktion und wo wir etwas sitzen und genießen und trinken können.

Auf der anderen Seite ist hauptsächlich Vietnames-Markt. Viel Zeugs, das wir nie kaufen würden. Hosen, Schuhe, Röcke, Tücher, Gürtel, BHs, Handtaschen, Jacken von der Stange.

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Zum holden eckigen Turm hin ist da ein Fischstand. Wir wollen Fisch für die BierBörse, also danach. Wir kaufen Rollmops im Doppelpack, je zwei für den Doktor und mich. Dazu dann zwei Bücklinge. Bückling ist ein tolles Wort. Dann eine Flunder, geräuchert. Und Sprotten, jeder sechs Stück. Und weil wir auch hier als freundlich eingeschätzt werden, reicht der Mann uns extra eine Portion geräucherter Lachsstreifen. Wir haben uns mit ihm über Wassergott und die Fischwelt unterhalten, von ihm den Plan bekommen, wo er in den nächsten Wochen aufkreuzen wird. Seine Frau hat manchmal gelächelt und uns über die Schulter zugenickt. Und wir haben uns sehr anständig von beiden verabschiedet. Dem Mann vom Fischstand haben wir Wohlergehen gewünscht und er hat sich dafür herzlich bei uns bedankt. Hat man ja nicht all zu oft, dass Kunden wirkliche Menschenfreunde sind.Der Doktor sagt, dass er ein Achtundsechziger ist. Achtundsechzig bin ich auch, sagt der Fischersmann. Brötchen kaufen wir beim wandelnden Bäcker, der seinen Backofen schon seit zwölf, dreizehn Jahren zusammen mit seiner Frau über die Märkte treibt.

Und sind dann mal da und dort. Landen in einer Hütte, die kann man auseinandernehmen könnte. Innen sind die Teile benummert, die man so und so zusammen puzzeln muss. Zahlen wie V 1 für vorne und H 8 für hinten. Rechts mit R und L für Links. Innen ein Tresen, ein runder Glaspalast für Kuchen, Frucht, Erdbeere und so. Vorrangig Flaschenverkauf. Wir trinken das Bier mit Namen Eckart Egardt Erhart? Und sitzen draußen an Gartentischen mit Blick auf eine kleine Bühne. FÜR DIE OHREN, DIE AUGEN, DAS HERZ SOMMERANFANG, RHYTHMUS, TAKT, KLANG, GESANG, STADTBUMMEL, SONGS, SPIEL, TANZ, FREUDE, STIMMUNG, TONSPUREN, KONZERTE, BÜHNEN, SCHWINGUNG… MUSIK FÜR ALLE UND EINFACH GUT! POUR LES OREILLES, LES YEUX, LE CŒUR DÉBUT DE L’ÉTÉ, RYTHMES, MESURE, SONS, CHANT, BALADES, CHANSONS, JEUX, DANSE, PLAISIR, AMBIANCE, CONCERTS, SCÈNES, VIBRATIONS…QUAND LA MUSIQUE EST BONNE… ELLE EST POUR TOUS! Das ist heute also am Abend los.

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Wir schauen beim Wirt mit den Eisbeinen vorbei. Vorne ist weiter BierBörse und wir bestellen Portionen. Das Bier kommt zeitgleich mit den fetten Dingern. Zwei Kartoffeln pro Person, sehr kleine. Ein grünen Batzen Erbsenpüree, sehr grünlich Und Sauerkraut, das ruhig hätte noch länger kochen können. Und die eisigen Beine sind wie Kinderköpfe groß, große Kinder, Wohlstandskinder. Wir hauen alles weg. Und sind dann wirklich abgefüllt und dickbäuchig bis zum Platzen. Vom Vortag erschöpft, halten wir Mittagsschlaf, wie es richtige Radfahrer an Sonntagen auch tun.

Und sind dann wieder mitten unter den Musikern, radeln alle zwölf Zelte ab, umkurven das Gebiet der Rocky-Horror-Show, die sich langsam rüstet. Publikum ist bereits verkleidet und höchst motiviert dort vorhanden, wartend auf Einlass. Erst sind wir in der Kirche St. Petri bei einer Art klassischem Chorgesang aus Schweden, der allerdings nicht unseren Geschmack trifft. Deswegen können wir uns die Fensterscheiben lange und ausführlich ansehen und bewundern. Wir stehen auf und gehen umher und sind bei einem herzlichen Beifallausstoß verschwunden. Ein Frauen-Band aus jungen Mädchen vertreibt uns auch, weil die wie im Fernsehen die Girls seltsam kehlig jaulend klingen. Dann leiden wir mit einer Band nahe dem Allee-Center, die so kaum Besuch hat und etwas allein gestellt zwischen Glasfassaden spielen muss. Es gibt auch kaum was zu trinken und Sitzgelegenheiten sind null. In dem Biergarten mit dem zerlegbaren Häuschen spielt ein Gitarrist. Das heißt, er probt bevor er spielt arg lange. Der Doktor und ich klatschen Beifall, damit er endlich loslegt. Er nimmt ihn nickend hin, steht auf, ist weg. Kommt wieder und probt weiter. Ihm kann nix gefallen. Der Barhocker auf dem er sitzt, gefällt ihm nicht, wird ausgetauscht. Dann stimmt er die Gitarre ständig nach, ihm gefällt sie nicht. Er ist schlecht gestimmt, weil die Saiten scheppern. Er hat drei zur Auswahl. Eine wird schon stimmen. Und dieser Aufwand für nix. Aber wir denken gleich als er anstimmt, der hätte gut weiter proben sollen. Von den 45 Minuten, die ihm gegeben sind, hat er bereits 20 Minuten verstimmt. Und was er dann singt, ist dann überlaut bis zum Dom zu hören und nicht von ihm, sondern nachgesungener Kram. Brain Adams, Bob Dylan, die Stones, Hendrix oder so. Er wirbt dennoch für seine neue CD-Produktion, nennt die Nummern als Titel darauf. Die kaufen wir nicht. Abschluss wird die Showband mit der Frau im roten Kleidchen, die swingt ein wenig und es gibt Bläser, die den Doktor immer animieren. Er steht nun einmal auf Jericho und Hörner. Die Band macht Lust auf Tanzen, aber wir sind beinlahm, müde. Gegen zweiundzwanzig Uhr sind wir fertig mit der Welt und in meiner Schreibbude gierig über dem gekauften Fisch.

Die Bücklinge schmecken fabelhaft. Uns klingen die Ohren. Wir haben von Norbert Bier mitgegeben bekommen. Wir lassen die Korken fluppen und stoßen an. Auf die drei Tage, schmettert der Doktor. Wieso drei, frage ich zurück? Nun, heute ist doch Montag, meint der Doktor. Morgen, also am Dienstag seiner Meinung nach, fahre er los. Ich öffne meinen Laptop. Soll er sich doch selbst vom Irrtum überzeugen und befreien. Sonntag?! Nicht doch, nein ruft er aus! Ich hätte wetten können, sagt er mit großen Augen, dass heute Montag ist. Und sagt damit nur, dass ihm zwei Tage Magdeburg wie drei Tage Supertoll vorgekommen sind. Und im TV Fussball über Fussball, die Frauen, die jungen Männer bis zum Abwinken. Sprich, uns fallen die Augen zu. Die Beine ruhen vom Radeln aus. An die Kilometer, die wir hinter uns haben, denkt keiner.

Poor Pigs, Niesel, Blasmusik und Jazz

Es nieselt. Vögel fliegen in Schwärmen auf und setzen sich wieder auf die Dächer. Es ist ihnen zu feuchtkühl unter ihren Flügeln in diesem Sommer.

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Ich trabe zum Busbahnhof, der Herrn Doktor Gedig abzuholen. Nun werden wir sehen, was wir mit diesem eher irischen Wetter in Magdeburg anfangen? Einen kleinen Anlass sah ich an diesem Morgen bereits. Hier einmal fegen und wischen. Waschbecken und Badeschale der Dusche, Klobrille, Deckel, Klobecken mit Bürste bearbeiten, Fernsehmattscheibe, Tische, Herd, Fensterbretter und Wandspiegel mit fein duftenden Shampoowässerchen reinigen. Wenn wir dann hier herumsitzen, so soll der Herr Doktor einen sauberen Eindruck geschenkt bekommen. Die innere Ordnung eines Menschen, ist seine alleinige Angelegenheit.

Wir können ja kurz vorbeischauen am Bahnhof, da ist FahrRad-Aktionstag mit Kinder- und Familienfest. Oder wir gehen zum Lebens-Hilfe Werk, ein Jubiläum feiern, mit Bogenschießen, Tombola, Kuchen, Spiel und Spaß und Oldtimer-Treckern, Livemusik und Bastelstraße. Die Bier-Börse ab drei Uhr mittags besuchen wir sowieso. Die muss der Fachmann und Therapeut aus dem Norden unbedingt erleben und bewerten. Vielleicht findet er ja einige Pappenheimer als Mitbringsel nach Schleswig-Holstein für seine dortige Sucht-Einrichtung. Der Mann ist ja in Person permanent selbst das wandelnde Lebenshilfswerk.

Obwohl, wir können uns auch auf Blasmusik der Magdeburger Musikfreunde einlassen. Es soll dort ein deftiges Solo auf der klassischen Gitarre geben, heißt es. Cello und Harfe mischen mit. Zum Baseball der Poor Pigs gegen die Leipziger Wallbreakers werden wir nicht gehen. Es dauert länger als das Spiel für uns, die Regeln zu lernen, ehe wir wissen, was da gespielt wird, und die schlechtere Mannschaft anfeuern können.

Eher Gospel aus tragischem Anlass in Charleston, USA, die neun erschossenen Toten bedenken. Sankt Petri klingt ein wenig wie Peter. Und dann ist in der Leiterstraße noch Jazz, oder was sie darunter verstehen, angesagt.

Wir haben einige Möglichkeiten heute nicht so arg zu frieren, dass es uns das Herz vereist.

BIERBÖRSE für ALLE, wirklich ALLE

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Also, das habe ich sofort gerochen, gespürt und nachgeprüft:

Bier-Börse ohne Fischstand – das geht nun mal gar nicht.

Vielleicht war der Rollmops-Laden so winzig, dass ich ihn übersah. So aber sage ich konsterniert: Es gibt hier einfach keinen einzigen kleinen pissig-rockigen Rollmopsladen, verdammtnocheins! Wo leben wir denn. Rollmops, Brathering, Bismark als HER(R)ING muss doch sein, wenn es um BIER geht.

Ich habe auch als ich mit Norbert und Peter Namensvetter so bei den Bayern am Stand stand, niemanden mit einem Fischbrötchen vorbei gehen sehen. Einen feinen Herren sah ich, der hatte einen großen Essteller für den Klecks Senf darauf in seiner Hand. Der ging ganz gemächlich über den Alten Markt, stuckte seine Bratdings genüsslich in den Mostrich auf diesem properen Mittagsteller, und schien mir glücklich zu sein.

Und Norbert erregte sich, wie ungerecht doch so ein Marktplatz ist. Für die ärmeren Leute ist das hier alles nicht erschwinglich. Die armen Hunde müssen draußen bleiben! Haben nicht einen einzigen primitiven Stand hier für sie etabliert, wo das Bier zum Fast-Ladenpreis über den Tisch geht. Damit die Jungs und Mädchen, die es nicht so gut getroffen haben im Leben, wenigstens dem Schein nach an BIERFEST teilnehmen können.

Volksfest bedeuten doch, dass alle mit dabei sein sollen. Alle!
Diese Bierbörse aber sagt zu den armen Schluckern:
Nix da für euch. HIER nur für Gutverdienende.

Und ich stimme dem zu. Was wir der Demokratie, für die wir übrigens vor fünfundzwanzig Jahren gern auf die Strasse gegangen sind, zuerst zu verdanken haben, sage ich, ist ein wahrhaft sehr unsolidarisches Grundverhalten und purer Egoismus der bessergestellten Bürger den Unterlegenen gegenüber. Es soll das sauteure Bier für den angeberischen, stinkreichen Trinker geben, wie es die billige Plürre für den Mann mit dem schalen Geldbeutel geben muss. Von derartigen Verhältnissen sind wir jedoch meilenweit entfernt. Scheiße ist das, richtig scheiße.

Und wir sind sauer und erregen uns und können aber nichts daran ändern. Da muss der Bürgermeister ran, die Politik her. Aber die sind lange schon nicht mehr bereit, das zu tun, was sie tun sollen: Dem Volk dienen, die Bürger bedienen. Sie sind Dienstleistende am Volke, auch wenn sie es nicht so sehen wollen, sich allmählich bereits etwas besseres dünken. Sie sollen dem Volk dienen, nichts weiter. Und zum Volk gehören nun einmal die Ärmsten der Armen hinzu. Und die sind hier nicht zu sehen.

Es ist eine Schande. Es ist wie es ist.

Und dann klopft der Norbert auf den Tisch, dass unsere Biere solidarisch zu seinen Worten zu schäumen beginnen. Und ich sage zu ihm: Sieh einmal an. Diese einfachen, kleinen Bierkrüge mit Henkel, haben längst schon verstanden. Ich sage dir, unsere zwei kleinen Biere hier, die wären bereit für den anstehenden grossen BIERKAMPF ums Recht für alle Gleichen.

Jemand sagte zu mir: Ich habe als Kind immer Nackteburg gesagt.

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Der Sommer öffnet zögerlich die Vorhänge. Man kann sich schon sehr gut draußen aufhalten, abends wird es nur kühl. Auf dem Bild ist wieder so eine Magdeburger Kugel zu sehen. Fehlen nur die sechzehn Pferde, je acht zu jeder Seite angespannt, sie auseinanderzureißen.

Also, dieser alte Sack, Charles Bukowski hat einmal wie folgt gesagt:

Eine Frau zu sein ist ein Full-Time Job.Man kann nicht noch nebenher etwas anderes machen.

Ich wandle das einmal um in: Gastgeber zu sein ist Ganztagsarbeit.

Heute ist nun Gerd-Gedig-Rundum-Tag. Ich habe für ihn bereits ein Fahrrad organisiert (spontane Leihgabe von Norbert Pohlmann). Wir werden radeln und radeln. Und dann findet hier noch die Bier-Börse statt. Er hat gesagt, da will er hin. Die beginnt 15 Uhr. Und danach werde ich versucht sein, ihn ins ForumGestaltung zum Chanson-Abend zu schleifen. Mal sehen, wie meine Chancen stehen? Kann sein, er sagt, er will mehr&mehr Magdeburg als Stadt und Land erleben? Dann muss ich ja wohl ihm den Gefallen tun und edel&gut zu ihm sein.

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Weil, er ist ja hier vor allem mein Gast in NACKTEburg. Ich versuche alles, ihm die Stadt schmackhaft zu machen, aber es kann sein, er geht nicht drauf ein, was ich aber eher nicht denke, der sieht die meisten Dinge, wie ich sie sehe, und ist neugierig genug. Eben alter Kumpel. Eben mein Alkohol-Therapeut und die Freundschaft feiert nun mittlerweile ihr zwölftes Jahr.

Zwölf ist immer gut. Zwölf Geschworene gibt es. Zwölf Monate hat ein Jahr. Zwölf gute Fee erscheinen zur Hochzeit und erst danach die dreizehnte, die fies&gemein ist.

Das dazu. Zuhause daheim haben sich zwei Jungs im besten Jugendalter ihre Haare abgeschnitten. Die Rede war von Mutprobe. Und mir fiel sofort ein, ich habe mir auch einmal die Haare abgeschnitten. Und dann habe ich mit dem blanken Schädel bei meiner Frau geklingelt, den Kopf ganz rasch unten auf die Fussmatte gelegt – sie hat die Tür aufgemacht, mich – also meinen glänzenden Kahlkopf – dort wie einen Kohlkopf am Türpfosten liegen gesehen und sich erschreckt und aufgeschrien, die Gute. Und dann wurde der kleine Spaß von mir ein derber für sie unverzeihlich, gruseliger Gag geheißen. Sie sprachen alle nur noch von groben Unfug&Schock.

Ich wurde nie mehr so richtig warm mit meiner damaligen Frau, Mutter unserer Kinder. Sie fragte mich dauernd scharf aus. Ob ich noch recht bei Verstand&gesund wäre im Kopf, mich mitten im Winter ohne jeden ersichtlichen Grund, einfach so kahl zu scheren?

Kahl&kalt blieben als Wort-Duo übrig. Der Vorfall ist nicht vergessen.

Jetzt aber gehe ich erst einmal in den Tag, duschen, schreiben, essen, trinken. Tee aus dem kühlschrank, gestern abend extra gekocht und dort hinein gestellt. Mein Gast liebt Gulasch. Den habe ich auch noch schnell zubereitet. Mit Schmetterlingsnudel.

Wie sagte Bukowski in etwa: Magdeburg-Scout zu sein ist ein Voll-Time-Unterfangen.

All die Bäume will ich kennen und die vielen Singvögel gleich auch

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Wie vorgenommen: Ich will den Baum-Park im Herrenkrug studieren. Ich will alle Bäume kennenlernen. Aber wie es so ist. Kaum erwähne ich das, schon kommt da wer her und sagt mir: He, die Bäume sind alle Opfer des Hochwassers geworden. Die sind krank, fast die Hälfte sind tot. Das lohne sich nicht.

Zum Glück beeindrucken mich die Schlaumeier, Spaßverderben und Abwinker nicht, die einem immer Salz über die Vorhaben streuen müssen. Ich will sie kennenlernen und ihre Namen auswendig hersagen können. Ich will, wenn ich spazieren gehe und gefragt werde, sicher sagen können, was für ein Baum das ist vor dem wir stehen.

UND – es macht so richtig Freude mit dem Rad in Magdeburg unterwegs zu sein, auch wenn es aus aller Munde heißt: Magdeburg sei radversessen, radgeil, raddiebisch unterwegs. Kaum sage ich, dass ich mir ein Fahrrad gekauft habe, schon erzählen mir alle Leute, wie sie ihres losgeworden sind, wie viele Diebstähle es bei ihnen und den Nachbarn, den Verwandten, in der Familie bereits auf Magdeburger Boden gegeben hat. Und ich antworte dann stets entschuldigend: Bis Magdeburg eine Kulturstadt ist, exakt im Jahre 2015, ist die Radklau-Sache dann wohl schleunigst beendet, und man wird sein Rad in Magdeburg unangeschlossen überall stehen lassen. Es wird mit Lachanfällen reagiert.

Und eins noch: In den toten, kranken Bäumen, singen die Vögel genauso schön wie in den strammen, grünen, lebendigen Bäumen. Und der helle Mond sieht in der Nacht auch durch welke Blätter scheinend kreisrund und gut aus.

 

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Das Außengelände ist ganz schön. Aber der Eintrittspreis nimmt jeden Normalbesucher schnell die Lust. Acht Euro, Kinder, ermäßigt nicht viel weniger. Wer soll das zahlen, nur um drinnen zu sein. Und drinnen gibt es weiter auch nichts umsonst. Das hat so gar mir im Geldbeutel wehgetan. Und wenn ich noch einmal hin müsste, würde ich eher versuchen, mich da rein zu schummeln. Also weg mit diesem unnötigen Einritt. Es ist ein wenig exotisch zu beschreiben, was da so aufgebaut und an die Fassaden gebracht worden ist. Man läuft auf Platten über ausgestreute Sandflächen, kann sich ein bisschen Beach & so fühlen. Man kann eine Salat-Drink nehmen. Man kann sich von lauter Techno-Musik nerven oder begeistern lassen. Man kann den geilen Gitarristen Uwe Kropinski und den Magdeburger Superpoeten Ludwig Schumann lauschen wie ich an jenem Abend. Man kann, kann und kann.

Aber dann sind da noch die Zellen. Und um die soll es gehen. Also. Einmal sah ich, was ich mir erwarten durfte. Eine Zelle, die als Zelle so belassen worden ist, wie sie nun mal alle hier waren. Nur eben jetzt als ein Zellen-Kunstwerk und Gefängnisraum. Nicht zufällig war es die Zelle 19. Kenner wissen, der Wawerzinek mag die Zahl Neunzehn über alles. Ansonsten viel Kunst zum Stöhnen. Also in die Zelle gebrachte Kunst, Bilder, Plastiken, seltsame Gebilde. Als wären die Zellen plötzlich nix schreckliches mehr, und keine Zellen mehr, nur noch der doofe Raum für noch doofere Kunstwerke, die man auch bittesehr überall anders ausstellen kann, nur warum denn auch hier. Meine Meinung.

Enten in Reihe auf dem Boden gestellt, die wie Pflastersteine aussehen. Kunstwerke aus Halle, die in Halle kaum jemanden interessieren. Olle russische Kunst, die in Russland keinen hinterm Samowar hervor locken, hier aber sonst etwas darstellen soll. Russische Kunst ist längst immer nur das, was man sich so vorstellen soll. Das ist wie die Thaiküche in Deutschland auch nur für die Deutschen erdacht worden ist. Die stellen sich hier als Russen dar, wie man sie in Europa sehen soll. Alles fade und abgestanden wie lang stehende Brause. Weiber in Strapsen. Einen Fernseher und in flinker Reihenfolge sind da die Gesichter von Inhaftierten Russen zu sehen. So in etwa halt.

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So richtig umgehauen und nachhaltig begeistert hat mich da nichts wirklich. In einem Raum sind nur drei Bildschirme. Man hört Türen klacken. Man sieht einen Typen, der von Bildschirm zu Bildschirm geht. Er kommt aus der Tür heraus. Er verschwindet hinter der nächsten. Man schaut nichtsahnend in die Zelle und dann stehen da vier Elefantenfüße wie Papierkörbe. In eine Zelle fiel Sonnenlicht und die Gitter waren schön an der Wand zu sehen. Aber das hat niemand so beabsichtigt. Also vergiss es. Und in einer Zelle hingen lauter bunte kleine Bilder von Menschen aus unserer Zeit. Das alles sah insgesamt wie eine große Deckenleuchte ohne Glühbirnen aus, wie man sie von Festsälen her und in Theatern kennt. Und in einer Zelle waren liebevoll bestickte Kopfkissen an die Wand gepappt. Das hätte ich vielleicht auch getan. Mir dabei endlich alle DVDs angesehen, die ich immer noch sehen wollte und Kissen bestickt. Ist sauberes Tun, denke ich.

Ich traf auf herrlich frech gezeichnet Grafiken von, wie ich als Rabenvater des Buches „Rabenliebe“ glaube, Krähen, Dohlen, Raben. Und eine Zelle war dunkel angestrichen worden und mit Büchern bestückt, aus denen irgendwie Dinge aus Buntpapier geformt wie Blumengebilde wuchsen. Eine Zelle fand ich gut. Da sind mehrere Fotos von illegalen Sprayern zu sehen. Und die werden ja heute noch wirklich für ihre Kunst eingeknastet. Aktueller kann man gar nicht sein.
Und doch gab es einen Raum, den fand ich als Zelle anregend. Alle Wände, selbst der Fußboden sind mit schwarzweißen Bildern tapeziert. Meist erotische Darstellung, leicht verfremdet. Passend für einen ganz und gar unerotischen Knast und dem Thema der Ausstellung: Sinnlichkeit. Und auf dem Boden Badezimmerspiegel ausgelegt.

Ja. Ich habe hier sofort und mit großer Freude mich in ihnen fotografiert, mein Zellen-Selfi geschossen. Nur für mich und diesen Artikel (siehe Foto ganz oben).