Marienstift

Im Rahmen der Recherchen für mein Theaterstück „Sparwasser“ – ich bin gerade da, wo der Junge aus Westfalen, der sein Idol in der DDR treffen will, in einem Jugendpionierlager am Arendsee eine Blinddarmentzündung bekommt und dringend operiert werden muss -, bin ich auf das Marienstift gestoßen. Ein katholisches Krankenhaus in Magdeburg, das es schon zu DDR-Zeit gegeben hat, da zuckt ein ehemaliger Messdiener und Bruder eines Paderborner Domprälaten natürlich zusammen. Da ich gerade nicht in Magdeburg bin, muss erst einmal Wikipedia herhalten. „Obwohl von staatlicher Seite offiziell Einrichtungen der Kirchen abgelehnt wurden, war das Haus als Krankenhaus, welches zu dieser Zeit lediglich über die Fachgebiete Chirurgie und Innere Medizin verfügte, auch bei Funktionären der SED beliebt, wenn es um die eigene Behandlung ging.“ Klar, Hauptsache gesund, und wenn es von Gottes Gnaden ist, da machen auch die hartgesottensten Kommunisten keine Ausnahme. In meinem Stück drehe ich es so, dass der Junge erst im Krankenhaus „Gustav Ricker“ operiert werden soll, die Mutter, der es ohnehin am liebsten wäre, ihr Sohn würde im Westen operiert, wofür aber keine Zeit bleibt, dann aber dafür sorgt, dass er wenigstens in einem katholischen Krankenhaus unters Messer kommt. Ob sowas überhaupt realistisch ist? Egal, es handelt sich hier um ein Theaterstück, wichtig ist nur, dass die Namen stimmen. Und dass man aus einem Kriegslazararett keine Promiklinik macht.

  Das mit dem Kriegslazarett habe ich vom MDR, der mal einen Beitrag über die Krankenhäuser in der DDR gemacht hat. „Die Nadeln unserer Spritzen wurden zum Scherenschleifer gebracht, und der hat die neu angeschliffen, manuell! Und das tat natürlich furchtbar weh, damit Blut gezogen zu bekommen.“ – mit diesen Worten wird der ehemalige ökonomische Direktor eines Kreiskrankenhauses im thüringischen Mühlhausen zitiert. 

  Anders dagegen sah es, dem MDR zufolge, in den konfessionellen Krankenhäusern aus. Immerhin 72 davon soll es in der DDR gegeben haben, darunter das katholische Marienstift in Magdeburg, wo vor Gott alle gleich waren, Atheisten wie Tiefgläubige, jedenfalls sei kein Hilfesuchender abgewiesen worden, so ein ehemaliger Chirurg.

  Erinnert sich noch jemand an den Fall einer 25jährigen Frau aus Köln, die Ende 2012 nach einer Vergewaltigung von gleich zwei katholisches Krankenhäusern abgewiesen wurde, weil man dort befürchtete, ihr die Pille danach“ verabreichen zu müssen, was sich mit den katholischen Werten nicht vereinbaren lasse? 2015 hat der Humanistische Verband Deutschlands eine Studie in Auftrag gegeben, die die Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in diesem Land untersuchen sollte. Einen breiten Raum nimmt dabei das Gesundheitswesen ein. „Konfessionsfreie und nichtreligiöse Bürgerinnen erhalten nicht in allen Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitssystems den gleichen Umfang an Leistungen“, heißt es da. Das betrifft offenbar nicht nur Untersuchungen wie in dem Fall der 25jährigen Frau aus Köln, sondern auch psychologische Hilfestellungen im Falle einer schweren Erkrankung, also das, was vor allem die katholische Kirche als „Seelsorge“ bezeichnet. 

  All das mögen Einzelfälle sein und von einer strukturellen Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland zu sprechen, steht mir nicht zu, zumal sich das auch nicht unbedingt mit meiner persönlichen Erfahrung deckt, war ich in meinem Leben doch schon beides, religiös und nichtreligiös. Aber ich weiß schon, warum ich meinen kleinen Helden im Jahre 1974 ins Magdeburger Marienstift schicke. Es soll ihm schließlich geholfen werden.