DAS musikalische DUO AUF KIRITIMATI

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WAS JA KAUM EINER VOM STADTSCHREIBER zu MAGDEBURG WEISS: Ich probe seit einem Jahr ein Musikprogramm ein und habe diese Tage eine kleine Hörspielvariante zum Thema fertiggestellt. Mein musikalischer Bruder heißt DIRK und wir haben als DUO noch nicht einmal einen Namen. Wie man es mit Tieren macht, die man schlachten will. Erst wenn wir einen Bandnamen haben, sind wir vor jedweder Hausschlachtung verschont.

UNSERE RADIOPRODUKTION heißt RABENSCHWARZE LIEBESLIEDER.

Wenn ich am 26. September 2015 im FORUM GESTALTUNG meinen GEBURTSTAG feiere, werden wir zum ersten Mal gemeinsam auftreten. Dann wird die Band Neues Glas/ElektRio auftreten. Wer kann sich erinnern, hm? Keine Macht FÜR Niemand und so. Und auf JANNI STRUZYK, die Musikerin mit der großen Tuba freue ich mich auch schon sehr. Ich werde lesen, sie wird blasen, wunderbar. Ach ja, BOB BEEMAN wird auftreten und singen. Den darf man nicht versäumen, der ist unbeschreiblich gut. Nicht zu verwechseln mit Bob Beaman, dem Weitspringer, der damals in Mexiko Weltrekord auf lange Zeit sprang. Achtneunzig, Kinder. Und wenn wir GLÜCK haben, tritt der geniale THILO BOCK auf, der mit dem Buch DICHTER als GOETHE..

P.S. : Ich feire meinen Ehrentag nach dem Kalender der Kiritimati. Dann kann ich am Sonntag schon um zehn Uhr früh in meinen Geburtstag hineinfeiern, obwohl das erst vierzehn Stunden später möglich wäre. Einfach genial, nahezu clever – gelle?

ZUR ERKLÄRUNG

31.12., 11.00 Uhr: Kiribati, Pazifik
▪ Wo wird als erstes Silvester gefeiert? Auf Kiritimati.
Während man sich zu Silvester weltweit noch den letzten Vorbereitungen für den Silvesterabend widmet, sind die Feierlichkeiten auf der Weihnachtsinsel Kiritimati schon in vollem Gange. Sie gehört zum Pazifikstaat Kiribati, der 33 Inseln und Atolle umfasst und sich über 4800 km (West-Ost-Ausdehnung) erstreckt. Von ihnen sind 20 Inseln bewohnt und beherbergen über 100.000 Einwohner. Die Besonderheit: Mitten durch den Inselstaat verläuft die Datumsgrenze. Konkret liegt sie zwischen den Gilbert- und den Phoenixinseln. Bis zum Jahr 1995 bedeutete dies eine Trennung des Inselstaates, da die Datumsgrenze mitten durch das Inselreich verlief. Der Beschluss aus dem Jahr 1995 bedeutete die stärkste Verschiebung der Datumsgrenze und folgte der Entscheidung der Regierung, sich nach dem Westen orientieren zu wollen. Die Folge war, dass nun die Insel Kiribati geografisch gesehen zwar östlich der Datumsgrenze liegt, zeitlich allerdings gehört sie zum Westen und ist bspw. Deutschland 14 Stunden voraus.

Der Tisch ist gedeckt – das Spiel kann beginnen!

 

 

DSCN0614In den Ausstellungsräumen wohnen die Schauspieler….

Oh ja, es hat ordentlich geplattert. Und die Regenwände waren über das Internet gut zu verfolgen. Beinahe beängstigend wie pünktlich sie den Innenhof vom Forum Gestaltung erreichten, über die Dächer kletterten und lugten. Man kann auch sagen, die Regenwolken sind mächtig theaterinteressiert und haben ihr hohes Recht wie ihre sowieso deutlich über den mickrigen Menschen gestellte höheren Positionen dahingehend ausgenutzt, kurz und nasshaltig ungebeten bei der General-Probe vorbei zu schauen.

Lieber jetzt und zur General-Probe, so die einhellige Stimme zu den dunklen Wolken über uns, als heute in die gute Hinterstube hereingeplatzt und abregnet.

GROSSES FAZIT DER REGENPROBE: Alle Akteure, Schauspieler und Darstellerinnen, die Kostümfrau, die emsigen Techniker und sonstigen Gehilfen haben sich bereits abhärten und arg prüfen lassen. Und ich, der Stadtschreiber zu Magdeburg, darf und muss sagen, allesamt haben sie ihre Hausaufgaben bestens erfüllt und bis in die Morgenstunden an Details zur Premiere gearbeitet.

Nun also – soll es, muss es, darf es endlich wieder los- und weitergehen: Damen und Herren, hereinspaziert und Platz genommen, die Augen wie die Lauscher gehörig aufgesperrt – heute Abend – wenn es zum 22. Mal heißt: OLVENSTEDT PROBIERT´S – oder – was nur machen wir denn hier, was nur wollen wir damit ausdrücken, dem werten Publikum bloß damit wieder nur sagen und womit bitte schön schicken wir es danach zurück in die STADT – DAS LAND UND ÜBER DIE GEDANKENGRENZEN EUROPAS HINAUS?

DSCN0613… und draußen erwarten sie die Schauspieler auch. Sie sind allüberall vorhanden.

 

 

 

Der zweite Tag ist männlich.

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Er beginnt mit diesem seltsam erscheinenden flachen Betondings, das da in der Mitte eines plätschernden Wasser wie eine gewrungener Wischlappen herauswächst. Wenn man gutartig denkt, kann man es mutwillig als eine Korallenlappen oder eine missglückte, viel zu große grobe Nudel interpretieren. Wer weiß, dass es sich um eine Arbeiterfahne handelt, wird froh darüber hinwegsehen, dass sie nicht rot ist. Dieser Rochen aus Beton steht auf einem zweistufigen flachen Podest, platt wie diese Schokoladenplätzchen mit Minze gefüllt, nur eben zwei davon übereinander zu einem eckigen Treppenpodest ausgelegt. Und die einzelnen Wasserstrahlen spritzen aus viereckigen Podesten zu diesem Monstrum hin. Die Spritzblöcke sehen wie die Startblöcke bei Schwimmwettbewerben aus, von denen aus die Schwimmer ins die Wasserbahnen schießen. Aber die Spritzer versagen eher, als dass sie die Betonfahne je erreichen werden. Sie sind im Kreis zu Fünferbündel gruppiert. Außen sammelt sich das Wasser in einer Rinne. Dazwischen gibt es ein paar Beete mit Blumen. Auch diese eher spärlich angelegt, wie kleine Badehandtücher hingeworfen auf denen sich die Pflanzen zum Sonnenbaden drängen. Hier beginnen sie ihre zweite Radtour durch den Ort, besser aus dem Ort hinaus. Den Uferweg entlang bis sie zum Denkmal mit dem Fährmann kommen.

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Was, das soll ein Fährmann sein, ruft sie gackernd aus? So wie der mit einer Klosterbruderkutte angezogen ist, wird er der erste an Bord sein, der in Sekundenschnelle absäuft, wenn die Fähre kentert und sich sein Umhang mit Wasser vollsaugt.
Auf vier Sockeln vor der hohen Stele mit diesem dick angekleideten Fährmann oben auf, der eine Art Surfbrett der Menschheitsgeschichte rudert, stehen vier Sockel und einer hinter ihr. Da sind irgendwelche Motive ausgeführt, die viele Menschen zeigen, die etwas in der Hand halten, sicher auch für etwas einstehen, mit symbolischen Handlungen beschäftigt sind, von ihrer Kleidung und Körperhaltung her für gewissen Gruppierungen und Stellungen in der Gesellschaft stehen. Das wollen sie sich nicht anschauen, davor graut es ihnen, wie es aussieht, denn sie halten nur kurz an, wie man anhält und die Räder stoppt für jemanden, den man befragen will und dann stellt man fest, dass er sich überhaupt nicht auskennt.

Länger halten sie sich vor der Plastik inmitten der Parkanlage entlang des Radweges auf, von drei mal drei blauen Sitzgruppen im Halbrund flankiert. Da sind zwei Mädchen zu sehen, die sich bei ihren rechten Händen am ausgestreckten Armen halten und im Kreise drehen, was an ihren weit nach hinten verrenkten Körperhaltungen und den wehenden Pferdeschwanzstummel des linken Mädchen gut zu sehen ist. Sie beginnt sofort das dazugehörige Lied zu trällern. Man dreht und dreht sich bis einem davon schwindlig wird, man zu taumeln beginnt und loslassen muss oder hinfällt. Sie hat das in ihrer Kindheit ausdauernd gespielt und ihr ist kaum einmal von den vielen Drehungen schwindelig geworden Des hat sich bei ihr zum ersten Mal auf dem Dorftanzplatz ereignet. Ein Fall von plötzlicher Liebe, sagt sie, und der dazu gehörigen Schwächung auf der ganzen Linie. Da hat sie ihm nur in die Augen gesehen und von seinem Anblick ist ihr schon allein so seltsam geworden.

Kein Wunder. Ein lange Weile habe ich mich überwinden und mit dem Wirbel mithalten können, dann aber wurde ich von einer unbekannte Macht ergriffen und alle meine Sinne taumelten nur noch, ich hob ab, verlor den Halt unter meinen Füßen, und flog um ihn herum durch die Luft. Wie als wäre ich beim Eiskunstlauf, er mein Partner, hielt er mich, und ich wirbelte kleine Pirouetten. Vom Rand der Tanzfläche aus muss es professionell gewirkt und erhaben bis anmutend gewirkt haben, wie ich der Ohnmacht nahe mit geschlossenen Augenlidern mich von ihm habe schleudern und drehen lassen. Um dieses Paar kuglige Büsche in hellem Grün und Violett

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Hockendes Paar 1979 heisst die nächste Plastik auf einem Sockel mit einem Schild versehen, darauf geschrieben, um welchen Künstler und welches Werk es sich handelt. Das ist schon ein Paar ganz inniglich miteinander zu einem Liebesklumpen geformt. Er nahezu kniend und dazu noch ihr zugeneigt, die sie von ihm in eine Waagerechte gehoben worden ist. Seine starke Rechte greift ihr zwischen ihre Beine, mit kräftigem Griff hat er ihren Po gepackt und ist gerade dabei, sie so kraftvoll und gezielt anzuheben, dass sie nur noch mit der letzten großen Zehenspitze ihres rechten Fußes am Boden haftet. Man könnte um die Figur herumgehen und nachsehen, ob von ihrem Gesicht überhaupt etwas zu entdecken wäre, es nicht im Kuss verschwindet. Sie lassen es sein. Zu eindeutig ist diese intime Pose und der ihr innenwohnende sexueller Trieb dargestellt.

Sie besteigt ihm voran das Damenrad und fährt schweigend weiter.

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Ins muntere Gespräch kommen sie wieder an einem eckigen Brunnen mit kleinen flachgehaltenen Wasserfontänen, in dessen Mitte eine hohe Stele errichtet worden ist, von drei kleineren umlagert, die Fischmotive aufweisen. Stilisierte, flache Heringe, zu denen das matte Silbermaterial passen täte. Und auch so eine Art Flunder ist darunter. Die kleben und schwimmen um die runden und halben gedrittelten Säulen herum, wie um Pfähle und Poller unterhalb des Wassers befindlich. Im Hintergrund ein überwachsener Gang, das Grundgebilde in tiefes Meerblau gehüllt, von kleinen Blüten verziert.

Und dann sind sie schon am Museum für den stadtbekannten Mann und Erfinder, dem wir die Luftpumpe verdanken. Ja, beharrt er, die Luftpumpe, weil sie es nicht gleich glauben will. Das war so eine Nebenbei-Erfindung von dem Typen. Berühmt ist er hier mit seinem Experiment geworden, diesen Halbkugeln, die er öffentlich locker zusammengefügt hat und dann alle Luft herausgesaugt. Und nun, hat er behauptet, könnten sechzehn Pferde die Kugeln, die eben noch ein Kind zusammengefügt hat, nimmer auseinander bekommen. Huhu, lachte das ungläubige Volk, sechzehn Pferde gegen ein Kinderspiel. Und dann spannten sie die Gäule an, die kräftigen, ließen die Peitschen erst müde klingen. Doch die reichten nicht hin als Antrieb, die Pferde mehr zu motivieren, dass die sich ins Zeug legten. Also schwangen sie ihre Leder heftiger zum Schuss erbarmungslos auf den Boden. Alles umsonst und mehr als vergebens, denn der Mann, der seine Behauptung in den Raum gestellt hatte, behielt recht. Seine luftleere Kugel blieb beisammen im Raum über den Boden schwebend. Des Tauziehen war gegen die Pferdestärken für sich entschied. Eines nach dem anderen gaben die Pferde auf, glitten hin, gingen in die Knie und zu Boden, ließen schnaubend von aller Anstrengung ab.

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Sie steht da schon vor einem Gebilde, das sie nicht versteht. Soldat und Kind. Nein sagt er. Hier handelt es sich bestimmt nicht um einen Vater, von seinem Sohn begrüsst oder zur Armee verabschiedet, wie sie denkt. Hier ist ein Kind als Symbol aufgeführt, das sich für das Soldatentum begeistert und sicherlich gebettelt hat, der Soldat möge es hochnehmen, dass es die Soldatenmütze an dem Soldaten anfassen kann. In diese intime Situation hinein hat der Meister seine beiden Protagonisten gerückt. Wie der Soldat dabei das Kind an dessen Hintern und Rücken packt, es an sich drückt und das Kind so breitbeinig an sich drückt, findet sie beinahe abstoßend, irgendwie pervers. Wenn das nicht Vater und Sohn sind, dann ist das hier schon beinahe pädophil zu heißen. Sie wollen sich darin nicht weiter vertiefen. Der Verdacht reicht ihnen aus. Sie ist dafür, dass so eine Figur verschwindet und sagt in lauter Entschiedenheit: He, 1973 hat man noch so einen Scheiß gemacht.

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Das Hafengelände ist mehr ein riesiges Becken mit Schienenstrang und auf ihnen winzig wirkende Lastenkräne. Hinten stehen die Speicherhäuser und wirken nicht sonderlich groß und beeindruckend. Das kommt erst zustande, fährt man langsam auf sie zu. Dann gewinnen sie an Größe und Pracht und man ist bei ihrem Anblick sofort an Hamburgs Speicherstadt erinnert. Nicht viel anders sehen dort die Lagerhäuser aus. Diese hier würden sich mühelos dort sofort eingliedern lassen, keine Lückenbüßer sein.

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Schöne Kunstwerke ergeben sich mitunter nebenbei. Hier ist es eine lange dunkle Wand mit himmelblauen, von der Witterung bearbeiteten Toren, die wie für eine Freiluftausstellung errichtet scheinen. Und dann ist da noch das rostige, haltbar gemachte Teil des hinten zu entdeckenden Dampferd, das jede Weltkunst bereichern sollt. Zudem sagt er ihr, wie sehr ihm die Zahl Neunzehn am Herzen liegt. Sie verrät ihm die seinige Zahl: Fünf, weiß selber nicht warum.

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Es ist natürlich für jedermann möglich, ein Denkmal einfach einmal anders in die Linse zu rücken, dass aus dem Gekreuzigten von Cremet eine Art Kingkong-Pose gegen Himmel und Laubbaum wird. Es scheint so gar, als teilte dieses Monster gerade die Wolken und verschaffe sich einen blauen Hintergrund beziehungsweise könnte die kraftprotzige Tat den Versuch darstellen, das Grün des Laubes mit dem Weiß der Wolken zu verschweißen. Als wolle Kingkong hier den blauen Himmel hinter sich zuhängen und aus seinem Umfeld verdrängen. Einen Himmel für sich (mit weißer Inschrift) hat hier TÄVE für sich errichtet, sozusagen Himmel am Bau in Blau geschaffen.

STRENG GEHEIMER TEXT ZU MAGDEBURG AUS DER LUFT ZU MIR PER MAILTAUBE GEFLOGEN GEKOMMEN

Magdeburg
Herbert Braun:

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Als ich in Magdeburg ankam, standen die Leute vor den Bahnhofstüren und starrten in den Himmel. Ein Hochseilartist, aber ohne Seil, machte dort oben, wie Bungee-Jumping, aber ohne Leine, die Leute klatschten. Ich überquerte den Bahnhofsplatz, ein heiserer Lautsprecher rief mir nach:

«Jaa, das war unser FLITZO, die legendäre Luftnummer, ein Applaus für FLITZO, den atemberaubenden Artisten! FLITZO holt jetzt seine Trompete heraus, Sie können es vielleicht erkennen von hier unten, ein Höhepunkt seines Programmes, wie oft haben wir schon versucht, ihm diese unglaubliche und halsbrecherische Nummer auszureden, aber einer wie FLITZO sucht die Gefahr, fordert das Angesicht des Todes hervor. Ja, Sie sehen es, sehen Sie, wie er ansetzt zum Spielen, jetzt setzt er an zum Spielen, ich frage mich immer wieder, immer wieder frage ich mich, ich kann es einfach nicht verstehen: Woher, das frage ich mich, woher nimmt dieser Mann noch die Kraft, da oben, auf einem 31 Meter hohen Turm, 147 Meter über Normalnull, auf einem waschlappengroßen, was sag ich, topflappengroßen Plateau zu stehen, über schwindelndem Abgrund, und die Trompete zu spielen! Ja, jetzt setzt er an, jetzt spielt er uns sein Lied, FLITZO spielt für uns in Magdeburg …“

In der Magdeburger Luft breiteten sich hohe Trompetentöne wie ein Topfdeckel zur erhabenen Melodie von «La Montanara» aus und folgten mir um die Ecke in die Magdeburger Innenstadt nach. Die meisten Autos hatten das gleiche Kennzeichen in Magdeburg, und Menschen gingen auf Bürgersteigen und Trottoirs. Einem Magdeburger Würstchenhändler handelte ich zwei Würstchen ab und verfolgte kauend, ein senfbeschmiertes Gäbelchen zwischen den Fingern, das fröhliche Treiben an einem Kinderkarussell, wo die jungen Fahrgäste mit Evergreens der Volksmusik unterhalten wurden. Ein junges Mädchen sprach mich an, aber nur, um mir einen bunten Zettel in die Hand zu drücken. Ich ging also weiter in die Magdeburger Innenstadt, die senfgelbe Serviette nonchalant in einen Mülleimer werfend, und ließ mir von einem Magdeburger Suppenverkäufer einen Teller Suppe verkaufen, übrigens mit Brötchen und Serviette. Gegenüber hatten eifrige Magdeburger eine kleine Bühne aufgebaut, auf der eine Frau stand, mit Mikrofon in der Hand, mit dem sie redete: «Wir spielen jetzt ein ganz besonderes Lied, es ist nämlich ein Lieblingslied von Jochen, und das spielen wir jetzt.» Ganz in Weiß war die Frau, über und über, mit einem weißen Kuschelfransenpulli, einer knackengen weißen Hose und kniehohen schwarzen Stiefeln. Jochen rockte los und griff aus den Tasten die Akkorde von «Über sieben Brücken mußt du gehn» heraus. Die Frau wackelte in Magdeburg. Als ich, es war nämlich ein Plastikteller, die rote Serviette durch die Plastikkappe des Mülleimers dem Teller hinterherschob, sprach mich ein junges Mädchen an. Vielleicht würde mich das interessieren, bedeutete sie mir und preßte mir ein buntes Blatt Papier gegen die Brust.

Ich hatte ja noch etwas Zeit vor der Weiterfahrt, um Magdeburg zu besichtigen, und ging in eine Bäckerei, wo ich mir ein belegtes Baguette kaufte. Die Tomate tropfte gerade über das Magdeburger Salatblatt hinunter, als sich Blümchen aus dem Radio freute. Ich ging nach draußen, wo mir ein als Pinguin verkleidetes junges Mädchen ein buntes Blatt Papier anbot. Ich wollte sie fragen, was sie dazu gebracht hätte, sich mitten im November hinzustellen, mitten in Magdeburg, und fremde Männer anzusprechen, und Frauen auch, und was sie eigentlich wollte, mit dem schreiend farbigen, gefalteten, in großen Lettern vollgedruckten Zettel, den sie mir unter die Nase hielt, so daß die gequetschte Tomate darauftropfte, oder ob es ihr etwas bedeute, wirklich bedeute, diese Zettel zu verteilen, ob es sie glücklich machte, und wie man einen Menschen dazu bringen könnte, sich als Pinguin zu verkleiden, mitten im November, mitten in Magdeburg, und was sie unter ihrem Pinguinkostüm trage. Aber ich mußte zum Bahnhof.

Es war nicht leicht, zum Magdeburger Bahnhofsplatz durchzukommen, weil der Platz jetzt vollstand mit weißen Rettungsfahrzeugen: hier ein weißes Notarztauto, hier ein weißer Krankenwagen, dort ein geräumiger Leichentransporter. Polizisten riegelten den Platz ab und diskutierten mit Augenzeugen und Schaulustigen, die vor den Bahnhofstüren auf den Boden starrten. Beinahe hätte ich in dem Gedränge meinen Zug verpaßt.

Die Geschichte kam dann groß in die Magdeburger Zeitungen.

© Herbert Braun 2001 • Kommentare? -> Wortwart@Woerter.de

Eine kurze Gedenkminute für Ulrich Zieger

Ulrich Zieger* 29. Dezember 1961 in Döbeln; † 23. Juli 2015 in Montpellier war ein deutscher Schriftsteller. Zieger1Bildquelle: lettretage

ich bin bei den feuern jetzt oft, die verdunkeln wovor ihr euch fürchtet: den tag, der die röte des taumorgens spannt zu den warnungen die uns die vögel verheißen, die nacht, der das sprechen gehört wenn es eintaucht in jene verachteten worte aus denen der grund kam für unsere ängstliche liebe, die leier der welt, o ihr hört sie in träumen die euch als vergessene gelten im stundenverrat eurer treppengehäuse, den leib, ja ich nenne ihn leib, der in wundheit liegt wenn ihr euch abrichtet zu euren blickübungen die der verdünnung von wirklichem licht gelten nie aber einem gespräch das vom bleiben erzählt und vom wiedergewinn der zu tode gezählten, bedürftigen zeit. ich bin einsam dort draußen, wie alle die kamen auch einsame sind. wir sind einsam in unserem haß. doch ich bin der erfinder des hasses, der euch trifft in meinem jahrhundert. Ulrich Zieger; aus: “Schwarzland”; Galrev, Berlin 1995

PW an UZ: Ich habe gemocht, dass du die PAUSEN voll ausgespielt hast. Und ich mag die Art wie du mit den Stirnfalten gesprochen hast. Adieu läutet es leise in mir. (Peter Wawerzinek) Ulrich Zieger war der Sohn eines Handwerkers und einer Lehrerin. Er lebte bis 1970 in Waldheim und von 1970 bis 1981 in Magdeburg, wo er eine Ausbildung zum Chemigrafen absolvierte. 1981 ging er nach Berlin. Dort arbeitete er in einem wissenschaftlichen Verlag; daneben war er literarisch aktiv in der alternativen Szene im Stadtviertel Prenzlauer Berg. Er wirkte als Mitarbeiter an diversen literarischen Untergrundzeitschriften und bei der freien Theatergruppe „Zinnober“ mit. Anfang der 1980er Jahre lernte Zieger Gert Neumann kennen, dessen Freundschaft ihm wichtige künstlerische Impulse gab. 1985 schrieb Zieger sein erstes Theaterstück Die Sonne ist blau, das sich motivisch mit dem Kindermörder Jürgen Bartsch auseinandersetzt. Das Stück wurde in der DDR – vom henschel Schauspiel Verlag und den Verantwortlichen des Berliner Ensembles – diskutiert, jedoch weder verlegt noch inszeniert. 1987 besetzte Heiner Müller Ulrich Zieger als Sprecher für seine Hörspielproduktion von Bertolt Brechts Theaterstück Untergang des Egoisten Fatzer, an dem u. a. auch Frank Castorf und die Band Einstürzende Neubauten mitwirkten.

 

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Juli mit Kranichskelett. Adieu, Ulrich Zieger.

Ulrich fehlt mir fürchterlich. Ich liebte ihn von Anfang an mehr als jeden anderen deutschen Dichter. Er spielte in seiner eigenen, gänzlich unerhörten Liga. 1990 las ich zum ersten Mal Gedichte von ihm und verneigte mich vor deren Größe. Diese Qualität war schockierend.
Seine Gedichtbände „Neunzehnhundertfünfundsechzig“…“Große beruhigte Körper“…“Vier Hefte“…“L’atelier“ und „Aufwartungen im Gehäus“ sind von einem anderen Stern. Besseres gab es nicht in der deutschsprachigen Dichtung der letzten zwanzig bis dreißig Jahre und wird es demzufolge auch nicht mehr geben.

Kam in den 90er Jahren ein Päckchen aus Montpellier, dann gab es Festivalstimmung bei mir in Leipzig, Kassetten über Kassetten, bemalte, beschriftete, in seelischer Anmutung und Verausgabung zusammengestellte, betrunkene Kassetten, Jim und Jeff, Mecca Normal, Andy Prieboy, ach einfach alles. Ich legte die Musik ein und betrank mich. So waren wir dicht beieinander.

2003 sagte eine Freundin in Rom zu mir, Thomas, ich fahre eine Bekannte in Umbrien besuchen, am Trasimeno See, sie ist mit einem Dichter zusammen, mit Paul Wühr, ob ich mitkommen möchte. Ja, ich wollte mitkommen. Einer der ersten Sätze, die Paul Wühr nach unserer Ankunft mir gegenüber äußerte, war: „Vor kurzem besuchte uns eine Germanistin, als sie erwähnte, noch kein Gedicht von mir gelesen zu haben, warf ich sie raus.“ Ich erwiderte als Entgegnung: „Ich kenne Gedichte von Ihnen, aber die gefallen mir nicht.“ Paul Wühr sah mich scharf an, und ich dachte, daß der Untergang nahen würde. Er meinte darauf zu mir: „Stellen sie Liebes- und Hasslisten von Dichtern auf, und dann sehen wir weiter.“ (die Hassliste lass ich aus, die war außerdem zu blöde und in jeder Hinsicht verzichtbar.) Meine Liebesliste begann mit Nicolas Born. Als zweiten Namen nannte ich Ulrich Zieger. Paul strahlte und sagte: „nur noch einen richtigen Dichter, dann dürfen Sie Paul zu mir sagen und hierbleiben.“ Ich sagte: Schiller und durfte sowas von bleiben.

Paul wünschte sich so sehr, daß Ulrich und ich ihn zusammen besuchen kommen. Ich versprach es ihm. Zurück in Rom redete ich solange auf den Direktor der Villa Massimo, Joachim Blüher, ein, bis er nicht mehr anders konnte und Ulrich für einen Monat als Ehrengast in die Deutsche Akademie holte. Ich denke, er war wohl mit seinen 42 Jahren der jüngste Ehrengast, den die Villa je gesehen hat. Und er war zu Recht da. Ulrich war ein fantastischer Koch. Seine Bohnen mit Lamm werde ich nie vergessen. Es ging ihm aber nicht nur gut in Rom. Einmal sagte er zu mir, ich hätte ihn in einen goldenen Käfig gelockt. Das tat weh.

Wir tranken viel zu viel und hörten Fabrizio de André rauf und runter.

Der Abend in Umbrien bei Paul bleibt unvergessen. Der alte Wühr, unser Freund, sagte zu uns: „Jungs, lest für mich “ und: „wenn ich euch höre, werde ich gelb vor Neid.“ Wir tranken und lasen und sprachen, waren wütend, wir lachten und tobten und schwärmten. Mit Paul konnte man so herrlich wütend sein. Die Rückfahrt nach Rom am nächsten Tag verlief müde und friedlich.

Es wurde und wird so häufig mit Superlativen hantiert in der deutschen Literatur, aber bei Ulrich Zieger finde ich sie angemessen. In meinen Augen war er der wichtigste, intensivste, magischste und sprachmächtigste Dichter der Gegenwart.

… und weiter im Text.

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Vom Zug aus durch den eckigen Tunnel, ein paar Stufen hinauf zum Ausgang hin, sagt sie: Die Menschen sehen hier schon quadratisch aus. Und muss darüber lachen. Draußen vor der Tür sitzt ein einsamer Punk auf einer Decke, für sich und seinen Hund. Sein Iro ist hell gefärbt, sein T-Shirt ärmellos und löchrig. Der Hund pennt. Der Vorplatz ist rasch überquert, die Gleise der Tram genommen, links halten sie sich und auf das Forum zu. Dort im Büro einen Kaffee trinken und den Innenhof inspizieren, der gerade Spielfläche für die Schmonzette des Sommers ist. Schauspieler sprechen Rollen, üben Tänze ein und vor ihnen ist da bereits die Tribüne aufgebaut, die zweihundertfünfzig Zuschauern Platz bietet. Einen gelb-ockerfarbenen Wohnwagen Typ Super hat der Leiter herangeholt. Er schließt ihn auf stellt ihn innen vor. Im Wohnwagen wagen zu wohnen, sagt sie und geht in dieser Vorstellung sichtbar auf. Dann verabschiedet sich die Praktikantin, sie muss ihre Katze einschläfern lassen, Herr Nielson heißt sie.

Und dann beginnt ihre erste Radtour mit dem Skulpturenpark um das Kloster Unserer Lieben Frauen los. Sie kann sich für Straßennamensschilder begeistern. Zum Beispiel Prämonstratenserberg. Das muss man erst einmal fehlerfrei und flockig aussprechen können, sagt sie mit respektvoller Mime. Sie gehen über den Rasen und um die einzelnen Plastiken herum. Sie hakt sich bei ihm ein, sagt: Das ist so schön hier, ich fühle mich wie im Paradies. Er kann ihr zu den Figuren einiges sagen. Sie geht die Sache emotional an. Die Mutter zum Beispiel zum Kind, das ihr zu Füssen mit durchgedrückter Wirbelsäule liegt, ist anmutig anzusehen und durchaus sehr betrachtenswert. Er steht in ihrem Rücken. Du siehst dir den Hintern an. Ja, sagt er, der kommt in keinem Katalog vor und ist von der Meisterin sehr liebevoll und ausdauernd mit den Händen herausgearbeitet, die restliche Figur eher grob und flink gearbeitet worden. Dass er vorher ein Büchlein durchgeackert hat, ihr all das erzählen zu können, verschweigt er ihr gegenüber und geht davon aus, dass sie wohl davon ausgehen wird. Dass sie nach Magdeburg reisen werden war ihm lange vorher bekannt, er hat genügend Zeit gehabt, sich die Muße zu nehmen und sich vorzubereiten.
Sie kommen auch zu dieser Brücke, die alt ist und verrostet war, sich neuerdings in einem durch Sandstrahlung entrosteten Look zeigt. Du bist das Beste was mir je passiert ist mein Engel seht dort geschrieben ist alles. Sie schießen einige Selfis mit dem Schild im Hintergrund und küssen sich. Und fahren dann zum Mückenwirt. Dort sind die Buden bereits geöffnet und es sitzen vereinzelt auch ein paar Gäste herum. Sie stellen ihre Fahrräder ab, gehen auf den Grillstand zu. Egal, was es gibt, ich will heute alles auf einmal essen, ruft sie, dass es der Mann am Grill hören kann. Der wirbelt hinterm Stand und sagt: So schnell geht es nun auch nicht. Er öffnet gerade die Verpackungen, holt Fleischbatzen heraus, legt die ersten Steaks aufs Gitter. Es gibt Bulette, Bratwurst, Steak und Gewürzgurke, Kartoffelsalat. Dann nehme ich erst einmal Kartoffelsalat. Eine große Kelle bekommt sie auf die eckige Pappe gepappt und der Kartoffelsalat ist kalt. Und die Gewürzgurke ist es auch. Und sie gabeln und stochern in Salat herum und putzen den Teller rasch weg. Ein zweiter Teller wird geordert. Dazu gibt es nun Cola für sie, Kirschsaft für ihn. Das ist doch hoffentlich eine normale Cola, nichts light oder so, fragt sie beängstigt. Light ist doch nur Gift das sie daran tun, sagt sie. Ist Normalcola antwortet er beflissen. Und kichert ein wenig wegen des Giftes wegen, das light in sich enthalten haben soll.
Dann ist der Grillmann soweit. Er schenkt die ersten Bulette des Tages aus. Die zweite bekommt er für sie ausgehändigt. Das Brot hätte man sich sparen können, sagt sie und dass sie dieses Pappbrot sowieso nicht mag. Er sagt: In einer richtigen Bulette muss soviel Brot mit eingemengt sein, dass es keine Scheibe Brot dazu braucht. Er kenne einen Kumpel, witzelt er, der habe in einer Berliner Kneipe einmal eine Berliner Bulette gegessen und sich wegen Verdacht auf Fleischvergiftung in Behandlung begeben müssen. Und dann hätten sie die Berliner Bulette untersucht und festgestellt, in ihr war nicht ein Gramm Fleisch vorhanden. Sie fragt in welcher Gaststätte Berlins das gewesen wäre, was das für Ärzte gewesen seien. Er mag ihre Naivität und dass sie über sich lachen kann, obwohl sie den Witz nicht verstanden hat.
Betreten verboten Lebensgefahr warnt ein Schild am Maschendrahtzaun vor einem verfallenen Gebäude aus Glas. Zackige Struktur, als hätte der Magdeburger Taut daran mitgewirkt, der diese Zeitungskioske entworfen hat, erklärt er. Bunt angemalt und wie als würden sie aus störrischer Pappe gefaltet worden sein. Ah, sagt sie mit ihrem flachen Alleswisser in der Hand, Bruno Taut. Den hab ich. Und liest gleich aus dem Netz vor: Mit der Gestaltung der Gartenstadt-Kolonie Reform in Magdeburg haben sich Taut und Hoffmann großes Ansehen erworben. Da dringender Bedarf an einer weitreichenden Stadtentwicklung bestand, berief der sozialdemokratische Bürgermeister Hermann Beims 1921 den avantgardistischen und kreativen Architekten Bruno Taut zum Stadtbaurat mit dem Auftrag, für Magdeburg einen Generalsiedlungsplan zu erstellen. Taut umgab sich mit einem Stab junger und gleichgesinnter Architekten wie Johannes Göderitz und Carl Krayl. Neben der Fertigstellung des Generalsiedlungsplans, der bis in die nachfolgenden Jahrzehnte Wirkung zeigte, setzte Taut seine architektonische Farbgebung in Magdeburg konsequent durch. Dazu startete er bereits im Jahr seiner Berufung eine Zeitungskampagne unter dem Titel Aufruf zum farbigen Bauen. Bis zur Eröffnung der großen Mitteldeutschen Ausstellung Magdeburg im Jahre 1922 waren in der Innenstadt 80 Hausfassaden nach Tauts Entwürfen farbig gestaltet worden. Obwohl sich Taut damit heftige Kritik von Magdeburger Bürgern einhandelte, geriet die Aktion zu einem erfolgreichen Werbefaktor für die Stadt, die ihr zeitweilig den Titel Bunte Stadt Magdeburg und eine beachtliche Resonanz in der Tages- und Fachpresse einbrachte. Im Zusammenhang mit der Ausstellung entwarf Taut die Ausstellungshalle Stadt und Land, die 1922 als sein einziges Magdeburger Einzelbauwerk fertiggestellt wurde.
Nebenan schippert die Fähre hin und her. Und ganz weit hinten ist die blaue Brücke übern Fluss zu sehen. Und sie sagt: Da, schau wie breit der Fluss an dieser Stelle ist. Wenn du dir die beiden Menschen dort drüben ansiehst, wie klein sie wirken, kann man es erst richtig ermessen. Unglaublich diese Elbe.
Und dann fahren sie zurück, sind an der Sternbrücke, überqueren sie, langen auf der anderen Uferseite an, fotografieren sich am Schaufelraddampfer, schieben ihre Fahrräder an den dunklen Gebäuden vorbei. Die sehen wir in Norwegen aus, sagt sie, so dunkle Ziegeln. Er weist sie auf die sechs Pferdefiguren auf sechs hohen eckig gemauerten Säulen hin. Mit denen kann man gut Schach spielen, sagt sie. Und dann sind sie an dem kleinen See um einen kleine Insel herum, auf der diese steinerne Glocke steht, eine Art Pavillon für Verliebte, über einen seitliche Brücke zu erreichen. Und auf dem Wasser ein paar Tretboote. Eins davon in Form einen Automobils. Und in der Mitte schießt eine Fontaine auf und drei kleine Sprudel blubbern flach und breit kreisrund als Wasserpudding vor sich hin. Sie setzen sich. Sie zückt ein kleines Notizbuch und muss erst einmal alle ihre bisherigen Erlebnisse notieren: Sonst vergesse ich das alles noch bevor es Abend wird. Zu ihren Füssen emsige Ameisen, darunter einige von beachtlicher Größe, keine Superameisen, aber immerhin scheinen einige Exemplare von ihnen hier stattlich aufzuwachsen.
Am Nachmittag sind sie in einem Kaufhaus in der Wäscheabteilung, sich nach Bettzeug umsehen und werden flink in der Jugendabteilung fündig. Partnerbettwäsche. Die Verkäuferin ihnen zur Seite sagt: Ist mal was anderes, kommt nicht so oft herein. Die Motive sind der Jagd entlehnt, nur ein wenig poppiger gestaltet. Seine Bettwäsche trägt die Aufschrift Platzhirsch, die ihre ist eine Bergzicke mit Edelweiß geschmückt. Dazu leisten sie sich glatte Bettbezüge in einen kräftigen Weinrot. Mit den Packen unterm Arm gehen sie in ihre Pension, hoch oben im Punkthaus. Sie hat dort das Gästeapartment für sich und ihn gemietet. Hier hält sich normalerweise der Stadtschreiber auf. Sie sind außerhalb seiner Amtsmonate angelangt. Die Bude steht zur Verfügung.

 

Ankunft meiner Romanfiguren in Magdeburg

DAS KLOSTER unser lieben Frauen ist voller Plastiken, wie eine schwangere setzt sie ihre Kinder in die Stadt. Magdeburg ist reich an Plastiken. Muss schon schön gewesen sein hier, als die Häuser bunt angepinselt waren und Zeitungshütten wie Kakteen aussahen.

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JETZT ALSO LAUFEN DIE VORBEREITUNGEN AUF HOCHTOUREN. MEINE LITERARISCHE HAUPTFIGUR KOMMT DAS WOCHENENDE NACH MAGDEBURG. Ich werde ihren Aufenthalt dokumentieren und ausführlich beschreiben. Der überraschende Besuch in dieser Stadt wird dann den Roman ausklingen lassen. Am Ende bringt mein männlicher Hauptheld (Ich werde diesen Part höchstpersönlich übernehmen!) der Hauptperson das freihändige Motorradfahren bei, und sie sind davon dann beide mehr als himmel-high. Wichtiger Bestand für die Romanarbeit sollen Magdeburgs Denkmäler, Plastiken und Skulpturen sein, die unter den Blicken zweier Verliebter recht eindeutig anders, sinnlicher bis sexueller angesehen werden müssen. Und es wird der Platz gefunden werden, auf dem sich die Geschichte abspielt. Alles absolute Sondererlebnisse und ab heute taufrisch und hautnah zu erleben. Man wird uns, wenn man mag und uns erkennt, in ganz Magdeburg mit unseren Fahrrädern unterwegs sehen.

VORGENOMMENE HANDLUNG: Sie kommen an und zum Bahnhofsgebäude hinaus und gehen vom Bahnhof aus auf die Erdachse zu, unterirdisch von einem Motor in Bewegung gehalten. So viel kann er ihr erklären, und dass die Stange genau die Schieflage unserer Erdachse darstellt. Sie sieht die Achse sexueller.

Natürlich ist der Faunbrunnen sofort ihr Lieblingsort, auch wegen der recht eindeutigen sexuellen Bezüge und Darstellung von Lust und Liebe. Oben schnäbelt ein Turteltaubenpaar und unten blinzelt eine nackte Schöne zu einem jungen nackten Mann herüber. Sie schauen sich beide tief in die Augen. Zum Kuss kommt es nicht.

Den Dichter Arendt sagt er habe er kennen gelernt, der quasselte dauernd von der Antike, wie sie damals den Phallus verehrt und zum Kult getrieben haben. Die Libido hört nimmer auf, hat er immer gesagt. Hier steht er auf keinen Sockel, sondern irgendwie auf einem Teufelsbein oder Walfischpenis, je nach dem wie man seine Phantasie lenkt.

Und beide umrunden sie das Figurenpaar Werra und Saale. Sie links herum, ihm entgegen kommend, an ihm vorbei, der rechts herum die Figuren umrundet. Sie nennt die beiden traurige, alberne Zicken, die sich spinnefeind sind, nicht zusammen sein wollen und doch müssen, weil es in der Natur der Dinge liegt, zwei Flüsse sich zu einem Flus vereinen und sie hier auf dem Sockel festsitzen. Er mag die beiden Damen, weil sie derb geformt und sehr handlich sind und, weil sie ihn zum Hingucken verführen, ihn aufzufordern scheinen, sie anzufassen, anzupacken. Vor allem die Figur, die ihr Bein auf den Sockel gestellt hat und weit gebreitet dasitzt, dass man alles von ihrer Weiblichkeit sehen kann, gefällt ihm in ihrer Schamlosigkeit und Offenheit.

Das Tor zum Kloster zeigt eine schöne Frau und junge Liebende, einander zugewandt, heranreifende Liebeslust wird spürbar.

Die Kollwitz am Kollwitzplatz sitzt hier in der Regierungsstrasse.

Die Europa hockt auf einem eher jungen, schlanken Stier und sieht im Schattenriss Don Quichot ähnlich. Marionettenhaft, spielerisch angedeutet sitzt sie auf dem Tier, schwebend leicht, von unsichtbaren Fäden gehalten.

Eine männliche Figur, die sich die Arme vors Gesicht hält und 13. Februar 1945 heißt, ist ein Zwischenwesen, halb Mann, halb ein Ding, ein Alien aus dem gleichen Material geformt. Und dann muss sie kichern. Der große schreitende Mann hat seine Figur, sagt sie, und auch die Größe seines Geschlechtsteil gleicht dem seinen bis aufs Schamhaar.

Bald aber kann er kichernd auf die Große Neeberger Figur weisen, die Ähnlichkeit zu ihrem Körperbau aufweist und sich genauso umständlich auf der Bluse pellt, wie sie es oftmals tun muss, hat sie in ihrer Eile wieder einmal die Knöpfe nicht aufgeknöpft. Nackt untenherum steckt sie vor ihm mit den erhobenen Armen und ihrem Kopf in der Bluse fest.

Two Benches lässt eine Bank beschriftet mit einer kurzen Geschichte entstehen. Sie heisst: Ein Jüngling …

Eine Schiffsschraube in einer Kiste zu ebener Erde ist ein lyrisches Zitat von Tragweite. Es ergreift ihn, lässt ihn an Seemannsgeschichten denken und ferne Länder erträume Und blickt er von oben auf die Schraube in ihrer Laube, meint er in ihr die blaue Blume zu entdecken, eine Gewürzblüte zu sehen..

Eine Bronzefigur steht nur da, die Arme wie ein Pinguin leicht abgespreizt, das Kinn erhoben, sicher auf den auseinander gestellten Beinen. Der pure Stolz und vielleicht auch die Gewissheit, dass die Kraft einmal nachlassen wird, sagt sie. Für ihn steht sie nicht da, sondern liegt als tote Frau auf dem Wasser, das sie trägt. Völlig entspannt und wie bereit zum Ertrinken, meint er sie von oben herab aus der Vogelperspektive zusehen. Schließlich handelt es sich um eine Schwimmerin.

Die Lebensgröße Magdeburg ist dadurch entstanden, dass der Künstler dem Material nackt nahe gekommen ist, es umarmt, bedrängt und sich entlang an ihm gewunden, eine Art Liebesspiel betrieben hat, deren Spuren man hier und dort entdecken kann. Er hat sich solange mit dem Gips beschäftigt bis es nicht mehr ging, das Material ausgehärtet war, es ihn abwies. Weiß man nicht von diesem Akt, sagt er zu ihr, sagt einem dieser seltsame geformte Klotz nichts. Es ist die pure Erotik, der Traum des Künstlers, mit seinem Werk eins zu werden, in ihm aufzugehen, mit ihm zu verschmelzen.

In seiner Jugend habe er dem Friesen auf dem Friesen-Denkmal ähnlich gesehen. Auch so kleine Löckchen und so eine große Nase zum eher schmalen Mund. Sie hält es für möglich und geht nicht weiter darauf ein. Ihr genügt wie er heute auszieht, dass man sich mit ihm sehen lassen kann.

MEINE LIEBLINGSGESCHICHTE

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Wie Eulenspiegel zu Magdeburg von der Ratslaube fliegen wollte.

Eulenspiegel kam gen Magdeburg und trieb viele Possen, und sein Name ward davon erst recht bekannt, so daß man von Eulenspiegel zu sagen wußte. Da ward er gebeten von den besten Bürgern der Stadt, daß er etwas Abenteuerliches treiben sollte. Da sagte er, das wollte er tun und wollte auf das Rathaus gehen und von der Dachlaube fliegen.

Da ward ein Geschrei in der ganzen Stadt, daß sich jung und alt auf dem Markte sammelte und sehen wollte, wie er flöge. Also stand Eulenspiegel auf der Laube vor dem Rathaus und bewegte die Arme und gebarte sich geradezu, als ob er fliegen wollte. Die Leute standen und sperrten Augen und Mäuler auf und meinten nichts anders, als daß er fliegen würde. Da fing Eulenspiegel an zu lachen und sprach: „Ich meinte es wäre kein Tor oder Narr weiter in der Welt als ich, doch seh‘ ich wohl, daß hier schier die ganze Stadt voll Toren ist. Und wenn ihr mir allzusammen gesagt hättet, daß ihr fliegen wolltet, ich hätt‘ es nicht geglaubt und ihr glaubtet mir als einem Toren. Wie sollt‘ ich fliegen können? Ich bin doch weder Gans noch Vogel, habe auch keinen Fittich, und ohne Fittich und Federn kann niemand fliegen. Nun sehet ihr offenbar, daß es erlogen war.“

Und er lief von der Laube und ließ das Volk stehen, einen Teil fluchend, einen Teil lachend. Und sie sagten: Das ist ein Schalksnarr, und doch hat er die Wahrheit gesagt.“

***

Die 17. Historie sagt, wie Eulenspiegel sich für einen Arzt ausgab und des Bischofs von Magdeburg Doktor behandelte, der von ihm betrogen wurde.
In Magdeburg war ein Bischof namens Bruno, ein Graf von Querfurt. Der hörte von Eulenspiegels Streichen und ließ ihn nach Schloß Giebichenstein kommen. Dem Bischof gefielen Eulenspiegels Schwänke sehr, und er gab ihm Kleider und Geld. Auch die Diener mochten ihn gar wohl leiden und trieben viel Kurzweil mit ihm.
Nun hatte der Bischof einen Doktor bei sich, der sich sehr gelehrt und weise dünkte. Aber des Bischofs Hofgesinde war ihm nicht wohlgesinnt. Dieser Doktor hatte nicht gerne Narren um sich. Deshalb sprach der Doktor zum Bischof und zu seinen Räten: »Man soll weisen Leuten an der Herren Höfe Aufenthalt geben und aus mancherlei Gründen nicht solchen Narren.« Die Ritter und das Hofgesinde erklärten dazu, die Ansicht des Doktors sei nicht richtig. Wer Eulenspiegels Torheiten nicht hören möchte, der könne ja weggehen; niemand sei zu ihm gezwungen. Der Doktor entgegnete: »Narren zu Narren und Weise zu Weisen! Hätten die Fürsten weise Leute bei sich, so stünde ihnen die Weisheit immer vor Augen. Wenn sie Narren bei sich halten, so lernen sie Narretei.« Da sprachen etliche: »Wer sind die Weisen, die weise zu sein glauben? Man findet ihrer viele, die von Narren betrogen worden sind. Es ziemt sich für Fürsten und Herren wohl, allerlei Volk an ihren Höfen zu halten. Denn mit Toren vertreiben sie mancherlei Phantasterei, und wo Herren sind, wollen die Narren auch gern sein.« Also kamen die Ritter und die Hofleute zu Eulenspiegel und legten es darauf an, daß er einen Plan machte. Sie baten ihn, er möge sich einen Streich ausdenken, und wollten ihm, ebenso wie der Bischof, dabei helfen. Dem Doktor solle sein Weisheitsdünkel vergolten werden, wie er gehört habe. Eulenspiegel sprach: »Ja, ihr Edlen und Ritter, wenn ihr mir dabei helfen wollt, soll es dem Doktor heimgezahlt werden.« So wurden sie sich einig.
Da zog Eulenspiegel vier Wochen lang über Land und überlegte, wie er mit dem Doktor umgehen wollte. Bald hatte er etwas gefunden und kam wieder zum Giebichenstein. Er verkleidete sich und gab sich als Arzt aus, denn der Doktor bei dem Bischof war oft krank und nahm viele Arzneien. Die Ritter sagten dem Doktor des Bischofs, ein Doktor der Medizin sei gekommen; der sei vieler Arzneikünste kundig. Der Doktor erkannte Eulenspiegel nicht und ging zu ihm in seine Herberge. Schon nach kurzer Unterhaltung nahm er ihn mit sich auf die Burg. Sie kamen miteinander ins Gespräch, und der Doktor sagte zum Arzt: »Könnt Ihr mir helfen von meiner Krankheit, so will ich es Euch wohl lohnen.« Eulenspiegel antwortete ihm mit Worten, wie sie die Ärzte in solchen Fällen zu sagen pflegen. Er gab vor, er müsse eine Nacht bei ihm liegen, damit er desto besser feststellen könne, wie er von Natur geartet sei. »Denn ich möchte Euch gern etwas geben, bevor Ihr schlafen geht, damit Ihr davon schwitzt. Am Schweiß werde ich merken, was Eure Krankheit ist.« Der Doktor ging mit Eulenspiegel zu Bett und meinte, alles, was ihm Eulenspiegel gesagt hatte, sei wahr.
Eulenspiegel gab dem Doktor ein scharfes Abführmittel ein. Der glaubte, er solle davon schwitzen, und wußte nicht, daß es zum Abführen war. Eulenspiegel nahm ein Steingefäß und tat einen Haufen seines Kotes hinein. Und er stellte den Topf mit dem Dreck zwischen die Wand und den Doktor auf die Bettkante. Der Doktor lag an der Wand, und Eulenspiegel lag vorn im Bett. Der Doktor hatte sich gegen die Wand gekehrt. Da stank ihm der Dreck im Topf in die Nase, so daß er sich umwenden mußte zu Eulenspiegel. Sobald sich der Doktor aber zu Eulenspiegel gekehrt hatte, ließ dieser einen lautlosen Furz, der sehr übel stank. Da drehte sich der Doktor wieder um, und der Dreck aus dem Topf stank ihn wieder an. So trieb es Eulenspiegel mit dem Doktor fast die halbe Nacht.
Dann wirkte das Abführmittel und trieb so scharf, schnell und stark, daß sich der Doktor ganz verunreinigte und ekelhaft stank. Da sprach Eulenspiegel zum Doktor: »Wie nun, würdiger Doktor? Euer Schweiß hat schon lange abscheulich gestunken. Wie kommt es, daß Ihr solchen Schweiß schwitzt? Er stinkt sehr übel!« Der Doktor lag und dachte: das rieche ich auch! Und er war des Gestankes so voll geworden, daß er kaum reden konnte. Eulenspiegel sprach: »Liegt nur still! Ich will gehen und ein Licht holen, damit ich sehen kann, wie es um Euch steht.« Als sich Eulenspiegel aufrichtete, ließ er noch einen starken Furz schleichen und sagte: »O weh, mir wird auch schon ganz schwach; das habe ich von Eurer Krankheit und von Eurem Gestank bekommen.« Der Doktor lag und war so krank, daß er sein Haupt kaum aufrichten konnte, und dankte dem allmächtigen Gott, daß der Arzt von ihm ging. jetzt bekam er ein wenig Luft. Denn wenn der Doktor in der Nacht aufstehen wollte, hatte ihn Eulenspiegel festgehalten, so daß er sich nicht aufrichten konnte, und gesagt, vorher müsse er erst genügend schwitzen.
Als Eulenspiegel aufgestanden und aus der Kammer gegangen war, lief er hinweg von der Burg.
Indessen wurde es Tag. Da sah der Doktor den Topf an der Wand stehen mit dem Dreck. Und er war so krank, daß sein Gesicht vom Gestank ganz angegriffen aussah. Die Ritter und Hofleute sahen den Doktor und boten ihm einen guten Morgen. Der Doktor redete ganz schwächlich, konnte ihnen kaum antworten und legte sich in den Saal auf eine Bank und ein Kissen. Da holten die Hofleute den Bischof hinzu und fragten den Doktor, wie es ihm mit dem Arzt ergangen sei. Der Doktor antwortete: »Ich bin von einem Schalk überrumpelt worden. Ich wähnte, es sei ein Doktor der Medizin, doch es ist ein Doktor der Betrügerei.« Und er erzählte ihnen alles, wie es ihm ergangen war.
Da begannen der Bischof und alle Hofleute sehr zu lachen und sprachen: »Es ist ganz nach Euern Worten geschehen. Ihr sagtet, man solle sich nicht um Narren kümmern, denn der Weise würde töricht bei Toren. Aber Ihr seht, daß einer wohl durch Narren klug gemacht wird. Denn der Arzt ist Eulenspiegel gewesen. Den habt Ihr nicht erkannt und habt ihm geglaubt; von dem seid Ihr betrogen worden. Aber wir, die wir uns mit seiner Narrheit abgaben, kannten ihn wohl. Wir mochten Euch aber nicht warnen, zumal Ihr gar so klug sein wolltet. Niemand ist so weise, daß er nicht auch Toren kennen sollte. Und wenn nirgendwo ein Narr wäre, woran sollte man dann die Weisen erkennen?« Da schwieg der Doktor still und wagte nicht mehr zu klagen.

 

Die 19. Historie sagt, wie Eulenspiegel immer ein falbes Pferd ritt und nicht gerne war, wo Kinder waren.
Eulenspiegel war allezeit gern in Gesellschaft. Aber zeit seines Lebens gab es drei Dinge, die er floh.
Erstens ritt er kein graues, sondern immer ein falbes Pferd, trotz des Spottes. Zweitens wollte er nirgends bleiben, wo Kinder waren, denn man beachtete die Kinder wegen ihrer Munterkeit mehr als ihn. Und drittens war er nicht gern bei einem allzu freigebigen Wirt zur Herberge. Denn ein solcher Wirt achtet nicht auf sein Gut und ist gewöhnlich ein Tor. Dort war auch nicht die Gesellschaft, von der Gewinn zu erwarten war usw.
Auch bekreuzigte sich Eulenspiegel alle Morgen vor gesunder Speise, vor großem Glück und vor starkem Getränk. Denn gesunde Speise, das sei doch nur Kraut, so gesund es auch sein möge. Ferner bekreuzigte er sich vor der Speise aus der Apotheke, denn obwohl auch sie gesund sei, sei sie doch ein Zeichen von Krankheit. Und das sei das große Glück: wenn irgendwo ein Stein von dem Dach fiele oder ein Balken von dem Haus, pflege man zu sagen: »Hätte ich dort gestanden, so hätte mich der Stein oder der Balken erschlagen. Das war mein großes Glück.« Solches Glück wollte er gern entbehren. Das starke Getränk sei das Wasser. Denn das Wasser treibe mit seiner Stärke große Mühlräder, auch trinke sich mancher gute Geselle den Tod daran.

 

sein oder werden

017

 

AUCH ICH WOLLTE SCHAUSPIELER WERDEN

Brief an Dylan Thomas

Du und ich, wir beide, Dylan, können erst richtig zeigen, was mit unserer Dichtkunst los ist, wenn wir aus dem Buch vorlesen, besser noch, singend, melodisch werden. Da besitzen wir eine gemeinsame Gabe. Ich meine, wir lesen ja nicht, wir führen die Worte auf, wir inszenieren den gesamten Text, schauspielern ihn nahezu grandios. Wir legen alles in unsere Stimme, wenn wir den Text zelebrieren. Wir veranstalten nicht ganz so viel Show, wie es die Nobelkellner im Nobelrestaurant tun, wenn sie etwas auf einem Extratablett vorstellen, flambieren, auseinandernehmen, aushöhlen, öffentlich zur großen Nummer hochstapeln und mit vollem Einsatz direkt am Tisch zubereiten. Aber ohne Übertreibung kommen wir auch nicht aus.
Eines ist anders an uns. Wir verfügen über unsere Stimme. Wenn wir unsere Texte sprechen, nehmen wir die Zuhörer bei ihren Händen und lenken sie, so sanft es geht, in diejenigen Hörbereiche, in denen wir unsere Zuhörer antreffen wollen. Du, Dylan, hast das immer sehr gut gekonnt und ich habe es von Beginn an genauso gehalten. Ein Text ist ein Text und dieser Text taugt einfach nichts, wenn er nicht zelebriert wird. Das ist wie trockener Käse pur zum Hineinbeißen. Kein Vergleich mit dem Käse, den wir reiben und in der warmen Pfanne über Austern streuen, ihn erhitzen.
Ich bin du, du wohnst in mir, ich in dir. Ich bin deine Wiedergeburt. Ich bin Dylan Thomas, der Spätgeborene. Ich bin es natürlich nicht, bin niemals Dylan Thomas, bilde mir das nur ein, will es so haben. Und doch sind wir zusammen, ich und Dylan, mehr als nur ich allein.

 

Nur mal so zur PROBE = InnenhOFFtheater

„Olvenstedt probiert’s – 22. Versuch: Der Zauberer von Oz“

Ich war bei der Probe. Alles sieht nach Spiellaune aus. Der Strandkorb. Das Zelt. Die Fahnenstange. Die Hollywoodschaukel. Der Gartenzaun. Die eckige Verkaufshütte. Zweimal setzte ich mich hin und war sofort im Bühnenbild. Ich sah die Akteure proben. Der Löwe bekam eine Ohrfeige. Ein Mann mit Blechhut auf dem Kopf brauchte unbedingt Öl für seine festgesurrten Glieder. Und so viel sei vorweg verraten: Affen sprangen umher. Ein Frau mit blauer Langhaar-Perücke und Zauberschleier sah ich.

Und dann war Probeschluss und es wurde Gitarre gespielt, dazu gesungen.

Und heute gehen die Proben weiter.

Ich finde an dem Wort Probe die Silbe PRO so toll.

Also dann nix wie hin und sich köstlich amüsieren.

28.07. – 02.08.2015, jeweils 20 Uhr

Uraufführung
Dirk Heidecke
„Olvenstedt probiert’s
22. Versuch: Der Zauberer von Oz“
Im Innenhof des Forum Gestaltung Magdeburg, Brandenburger Str.10

Somewhere over the rainbow

Nachdem die Theatergruppe Braune-Sommer-Wiese im Dezember spektakulär in den Bruno-Taut-Ring zurückgekehrt ist, bezieht sie nun wieder planmäßig ihr Sommerquartier und probiert an den Ufern der Ehle den „Zauberer von Oz“.
Basti Wiese (Gerald Fiedler) ist fest davon überzeugt, dass irgendwo über dem Regenbogen die Taube mit dem Ölzweig kreist und darauf wartet, das Ende der Gewalt zu verkünden – sofern sie nur endlich jemand davon überzeugt, mit dem Landeanflug zu beginnen.
Dass dazu nur das Theater in der Lage ist, versteht sich von selbst, und so will er mit seinen Mitstreitern Beate (Susanne Bard), Achim (Michael Günther), Hagen (Eckhard Doblies), Ente (Michael Magel) und all den anderen durch die Inszenierung von Lyman Frank Baums Kinderbuchklassiker ein Fanal des Friedens und der Toleranz entfachen, das von Neu-Olvenstedt aus den gesamten Erdball erfassen soll.
Ob aber Dorothy mit ihren minderwertigen Freunden (der Vogelscheuche, dem Zinnmann und dem feigen Löwen) tatsächlich triumphiert oder ob die böse Hexe des Westens mit ihren fliegenden Affen auf den Sieg der Gewalt anstoßen kann, wird, wie gewohnt, bis zum Schluss offen bleiben.
Dass Luise (Friederike Walter), die in die Rolle der Dorothy schlüpft und in diesem Sommer ihr Debüt auf dem Campingplatz gibt, ihr zu den 10 berühmtesten Filmzitaten aller Zeiten gehörendes „Toto, ich habe das Gefühl, wir sind nicht mehr in Kansas“ gerade an der Ehle sehr überzeugend darbieten wird, dürfte indes schon feststehen.

Inszenierung: Jörg Richter
Produktion: Kammerspiele Magdeburg in Kooperation mit dem Forum Gestaltung.
Mit Unterstützung von Lotto Sachsen-Anhalt.

Karten zum Preis von 17 € (ermäßigt 14 €) im Vorverkauf gibt es im Forum Gestaltung von Montag bis Freitag zwischen 14.00 und 18.00 Uhr
unter 0391/8864197 oder www.kammerspiele-magdeburg.de