Alpakas & Barkasse

(Vicugna pacos), auch Pako, ist eine aus den südamerikanischen Anden stammende, domestizierte Kamelform, die vorwiegend ihrer Wolle wegen gezüchtet wird. In Europa wird Alpakawolle bisher eher wenig genutzt.

Alpakas werden in Deutschland aufgrund ihres ruhigen und friedlichen Charakters auch in der tiergestützten Therapie eingesetzt.

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Und genau da sind wir gelandet, in einem Lebenshilfe Werk zum JahresFest. Und dann wurde das Wetter gut. Also für Radfahrer. Genügend Kühle und Fahrtwind, um nicht überzukochen. Die freundlichen Alpakas treffen wir in einem Gehege an. Sie werden prächtig unterhalten. Blasmusik vom großen Blasorchester auf Schalmeien gespielt. Dreißig Leute in Blau und Weiß wie es sich in Magdeburg gehört. Weiße Hosen, blaue Pullis. Und danach singt ein Chor aus Bewohnern der Einrichtung zünftig: Rolling Home und Mei Bonni iss ower sie Oschen. Es gibt alles, so gar Alkohol. Der Doktor sagt, dies wäre der einzige Unterschied zu seinen JahresFesten. Bier gäbe es bei ihm natürlich nicht, ist ja auch klar, in einer Therapiestation für Alkoholkranke, gehört sich das nicht. Hier wuselt genügend Personal, haben hunderte Augen auf ihre Leute gerichtet. Und man kennt so seine Pappenheimer bestimmt.

Die Band im weißen Partyzelt werden wir uns nicht mehr ansehen. Die Tombola ist bereits mächtig abgeräumt. Jetzt kommt gleich der Sieger, sagt ein Mann und schon kommt er, mit einem Flachbildschirm zwischen den fast ausgerenkten Armen, packt ihn in den Wagen. Für uns wäre nur noch ein Brattopf übrig geblieben.

Wir essen Bratwurst. Ich lasse mir das Bogenschießen beibringen, feuere fünf Mal auf die allerhinterste Scheibe, weil die anderen alle besetzt sind, treffe sie zweimal. Für das erste Mal im Leben eine gute Bilanz. Und die Pfeile, die vorbei pfiffen, waren zweimal ganz schön nahe dran, muss ich sagen.

Und dann mit den Rädern die fünf Kilometer zurück. Flohmarkt im FamilienHaus Magedeburg. Kein großer Markt, nur ein paar Stände. Ein ältere Frau will uns ihr Fahrrad verkaufen. Vierzig Euro, feilscht sie. Sie muss es tun, sagt sie, sie bräuchte das Geld. Wir schauen uns den Markt Tisch für Tisch an. Der Doktor kauft sich eine uralte Schere. Mit Kaiserkopf und Kaiserin. Eine frühere Billigschere aus Metall fürs Volk. Das esset kaufen nach dem Spruch: Gold gab ich zur Wehr, Eisen bekam ich zur Ehr. Die Schere, die sozusagen für die Wehr & Ehr und das Militär Geld eintrieb, erklärt der Doktor, die herhalten musste an den Glauben, den ersten Weltkrieg zu gewinnen. Gelang aber nicht. Und so fristen all diese Scheren ihr trauriges Dasein auf Märkten wie diesen, wartend auf den Mann mit Geld und Ehr wie mein Doktor. Spendeneintrieb damals. Ohne Tombola und Bildschirm. Blech statt Gold, billig statt teuer und hold. Mir winken drei Modelle von Tim und Struppi in verschiedenen Automobilen zu und das Packen doppelte Schulz-Detektive sind auch dabei. Es regnet ein bisschen, nicht lange, wir stehen unter der hohen Tanne.

Ich habe den Doktor beim Gefängnis angemeldet, ihm aber nix davon gesagt. Erst als wir an der Eisenpforte stehen. Wir finden unsere Namen auf der Gästeliste. Und dann ist da eine Bewachungs-Blondine im Securitylook. Die will uns nicht mit den Fahrrädern reinlassen. ich will aber nicht das Rad von Norbert gefährden und draußen stehlen lassen, finde es im Gefängnis sicherer. Ich bin der Stadtschreiber und das Rad ist mein Kugelschreiber, sage ich. Wir dürfen uns nicht trennen. Kann jeder sagen, dann bin ich der Bürgermeister von Magdeburg. Hoho, macht der Doktor, das wird ja endlich mal Zeit, sie kennenzulernen. geig mein Name. Wir gekommen den grünen Stempel auf den Arm gedrückt, der uns als gern gesehene Besucher ausweist. Dank Herrn Beesten, der sich hier bestens auskennt. Erst einmal Rundgang, sorry besser Hofgang wie die Insassen damals hier auch. Nur ist hier alles bunt und lustig. Wir sitzen nur eine  kleine Weile in einer sehr bequemen, in den Hof gestellten Couch und wohnen den Vorbereitungen einer Metall-Band bei. Die Knackis sind wohl alle ausgebrochen, denkt man. Oder im Wochenende-Belastungs-Urlaub. Annett Gröschner, sagt man uns, hat im obersten Stockwerk ihre Zelle, in der sie ein Tagebuch an die Wand schrieb und ein Vorhaben vorstellte. Viel zu viel zum Lesen, das schafft eh niemand, wir schon gar nicht, zur Kenntnis zu nehmen. Und auch Anna Hahn schauen wir uns nur kurz an, die hat einen kleinen Comic auf Pergament gebracht. Immerhin zum Thema Gefängnis, denn sie war eingeknastet. Fazit: Gefängnisse sehen alle sich ähnlich. Lange Gänge, freie Treppen in der Mitte, Drahtgitter gegen die Suizidgefährdeten. lld Türen mit Essendurchreiche. Nummeriert. In den Zellen, Waschbecken und alles spartanisch eingerichtet. Duschräume für vier Leute. Der Trakt in dem wir sind, ist neuer Art, aber genauso trist. Etwas  großzügiger gebaut, jedoch identisch dem alten Bau.

Wir machen uns zur BierBörse auf, bleiben am Stand der Sudenhofer. Die zapfen das Bier in schönen alten umgebauten Barkassen. Alpakas und Barkasse. Zwei klingende Worte. Die beiden blonden Frauen sind richtig gut drauf und gackern sich durch die Zeit. Wir trinken drei Bier und bekommen einen Schnaps, Schierker Tropfen, geschenkt, weil wir so freundliche Wesen sind, sagt die eine Blondine.

Sieh dir das mal an, erregt sich eine Frau neben uns, so kleine Brötchen und so winzige Würste. Die gibt es bei uns nicht. Bei uns sind die Brötchen größer und die Würste auch. Und wie sie sich das dritte Mal erregt, fragen wir nach ihrem Stand. Vor Karstadt, posaunt sie, morgen ab zehn könnt ihr frühstücken kommen, Jungs. Sie nennt uns alten Zausel Jungs. Das ist übertrieben, aber auch irgendwie angenehm und ihrem Geschäft dienlich. Ja, sagen wir Jungs, dann bis morgen um zehn. Und sind einmal herum auf der BierBörse. Sehen, ob sie heute Fischbrötchen haben? Ham se nich wie gestern schon.

Und dann sind wir im Forum beim Chanson. Und man hat uns zwei Tellerchen hingestellt, auf ihnen zwei gelbe Servietten und einen runden Teller mit Käse, Creme-Aufstrich und passend zum Tag, Lachs. Endlich Fisch aufs Bier. Auf allen Brötchenhälften, eigens uns zur Liebe gemacht, sagt Eva, wo denkt ihr denn hin. Und dann gibt es das Gipfeltreffen der Geister zwischen Norbert und dem Doktor, allumfassend und tiefgreifend wird geredet. Die Brötchen sind rasch & ratzbatz weggegessen. Die leeren Teller erfreuen Eva. Alles richtig getan, gut so. Und dann ist der gesamte Kosmos über Kunst, Kommerz, Kultur und Politik, Wirtschaft, Verbrechen, Bausünden, Ballast, Bundeswehr, Bungabunga-Partys erschlossen, alle Themen sowieso nur angerissen worden. Zentrale Frage vom Doktor, welchen Status man haben muss, so eine Sache wie das Forum zu am Leben zu halten. Und über Alkohol-Therapie wird gesprochen, und dabei Wein getrunken. Und dann standen wir hinterm Tresen und unsere Gastgeber vor ihm. Und bedienen sie aus den Drei-Liter-Kartons. Der, mit dem eingebauten Zapfhahn. Und wir schieben, weil wir nicht mehr radeln wollen, die Räder in den Hof.

So schlimm ist es in Magdeburg nun auch nicht bestellt. Sie stehen am Morgen noch im Hof, wie wir sie abgestellt und angeschlossen haben. Punkt zehn sind wir am Kiosk vor Karstadt. Der aber ist verrammelt und zugeschlossen. Wir besorgen uns eine Pappe, einen Kuli und schreiben eine gepfefferte Beschwerde. Sagen uns, die dicke Frau hat sich zu weit herausgelehnt. Und fahren dann aufs „Radewohl“ los, will ich sagen. Ins Grüne, Blaue, Weiße, in die Gegend ohne rechten Plan.

Mit dem Rädern setzen wir über diese Brücke mit den vielen Planken, auf ihnen Schriften, Namen, Adressen, Daten eingetragen. Die Brücke ist schön gebaut, sehr alt und irgendwie historisch. Die Planken wurden zu ihrer Erhaltung pro Stück und Größe verkauft. Schon komisch, wenn man über all die Schrift fährt, seltsam für einen Menschen der Schreibenden Zunft, ein bisschen wie über ein Ölbild mit dem Fingernagel ratschen. Ein mann informiert uns über die Eichen-Planken-Aktion und wo wir etwas sitzen und genießen und trinken können.

Auf der anderen Seite ist hauptsächlich Vietnames-Markt. Viel Zeugs, das wir nie kaufen würden. Hosen, Schuhe, Röcke, Tücher, Gürtel, BHs, Handtaschen, Jacken von der Stange.

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Zum holden eckigen Turm hin ist da ein Fischstand. Wir wollen Fisch für die BierBörse, also danach. Wir kaufen Rollmops im Doppelpack, je zwei für den Doktor und mich. Dazu dann zwei Bücklinge. Bückling ist ein tolles Wort. Dann eine Flunder, geräuchert. Und Sprotten, jeder sechs Stück. Und weil wir auch hier als freundlich eingeschätzt werden, reicht der Mann uns extra eine Portion geräucherter Lachsstreifen. Wir haben uns mit ihm über Wassergott und die Fischwelt unterhalten, von ihm den Plan bekommen, wo er in den nächsten Wochen aufkreuzen wird. Seine Frau hat manchmal gelächelt und uns über die Schulter zugenickt. Und wir haben uns sehr anständig von beiden verabschiedet. Dem Mann vom Fischstand haben wir Wohlergehen gewünscht und er hat sich dafür herzlich bei uns bedankt. Hat man ja nicht all zu oft, dass Kunden wirkliche Menschenfreunde sind.Der Doktor sagt, dass er ein Achtundsechziger ist. Achtundsechzig bin ich auch, sagt der Fischersmann. Brötchen kaufen wir beim wandelnden Bäcker, der seinen Backofen schon seit zwölf, dreizehn Jahren zusammen mit seiner Frau über die Märkte treibt.

Und sind dann mal da und dort. Landen in einer Hütte, die kann man auseinandernehmen könnte. Innen sind die Teile benummert, die man so und so zusammen puzzeln muss. Zahlen wie V 1 für vorne und H 8 für hinten. Rechts mit R und L für Links. Innen ein Tresen, ein runder Glaspalast für Kuchen, Frucht, Erdbeere und so. Vorrangig Flaschenverkauf. Wir trinken das Bier mit Namen Eckart Egardt Erhart? Und sitzen draußen an Gartentischen mit Blick auf eine kleine Bühne. FÜR DIE OHREN, DIE AUGEN, DAS HERZ SOMMERANFANG, RHYTHMUS, TAKT, KLANG, GESANG, STADTBUMMEL, SONGS, SPIEL, TANZ, FREUDE, STIMMUNG, TONSPUREN, KONZERTE, BÜHNEN, SCHWINGUNG… MUSIK FÜR ALLE UND EINFACH GUT! POUR LES OREILLES, LES YEUX, LE CŒUR DÉBUT DE L’ÉTÉ, RYTHMES, MESURE, SONS, CHANT, BALADES, CHANSONS, JEUX, DANSE, PLAISIR, AMBIANCE, CONCERTS, SCÈNES, VIBRATIONS…QUAND LA MUSIQUE EST BONNE… ELLE EST POUR TOUS! Das ist heute also am Abend los.

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Wir schauen beim Wirt mit den Eisbeinen vorbei. Vorne ist weiter BierBörse und wir bestellen Portionen. Das Bier kommt zeitgleich mit den fetten Dingern. Zwei Kartoffeln pro Person, sehr kleine. Ein grünen Batzen Erbsenpüree, sehr grünlich Und Sauerkraut, das ruhig hätte noch länger kochen können. Und die eisigen Beine sind wie Kinderköpfe groß, große Kinder, Wohlstandskinder. Wir hauen alles weg. Und sind dann wirklich abgefüllt und dickbäuchig bis zum Platzen. Vom Vortag erschöpft, halten wir Mittagsschlaf, wie es richtige Radfahrer an Sonntagen auch tun.

Und sind dann wieder mitten unter den Musikern, radeln alle zwölf Zelte ab, umkurven das Gebiet der Rocky-Horror-Show, die sich langsam rüstet. Publikum ist bereits verkleidet und höchst motiviert dort vorhanden, wartend auf Einlass. Erst sind wir in der Kirche St. Petri bei einer Art klassischem Chorgesang aus Schweden, der allerdings nicht unseren Geschmack trifft. Deswegen können wir uns die Fensterscheiben lange und ausführlich ansehen und bewundern. Wir stehen auf und gehen umher und sind bei einem herzlichen Beifallausstoß verschwunden. Ein Frauen-Band aus jungen Mädchen vertreibt uns auch, weil die wie im Fernsehen die Girls seltsam kehlig jaulend klingen. Dann leiden wir mit einer Band nahe dem Allee-Center, die so kaum Besuch hat und etwas allein gestellt zwischen Glasfassaden spielen muss. Es gibt auch kaum was zu trinken und Sitzgelegenheiten sind null. In dem Biergarten mit dem zerlegbaren Häuschen spielt ein Gitarrist. Das heißt, er probt bevor er spielt arg lange. Der Doktor und ich klatschen Beifall, damit er endlich loslegt. Er nimmt ihn nickend hin, steht auf, ist weg. Kommt wieder und probt weiter. Ihm kann nix gefallen. Der Barhocker auf dem er sitzt, gefällt ihm nicht, wird ausgetauscht. Dann stimmt er die Gitarre ständig nach, ihm gefällt sie nicht. Er ist schlecht gestimmt, weil die Saiten scheppern. Er hat drei zur Auswahl. Eine wird schon stimmen. Und dieser Aufwand für nix. Aber wir denken gleich als er anstimmt, der hätte gut weiter proben sollen. Von den 45 Minuten, die ihm gegeben sind, hat er bereits 20 Minuten verstimmt. Und was er dann singt, ist dann überlaut bis zum Dom zu hören und nicht von ihm, sondern nachgesungener Kram. Brain Adams, Bob Dylan, die Stones, Hendrix oder so. Er wirbt dennoch für seine neue CD-Produktion, nennt die Nummern als Titel darauf. Die kaufen wir nicht. Abschluss wird die Showband mit der Frau im roten Kleidchen, die swingt ein wenig und es gibt Bläser, die den Doktor immer animieren. Er steht nun einmal auf Jericho und Hörner. Die Band macht Lust auf Tanzen, aber wir sind beinlahm, müde. Gegen zweiundzwanzig Uhr sind wir fertig mit der Welt und in meiner Schreibbude gierig über dem gekauften Fisch.

Die Bücklinge schmecken fabelhaft. Uns klingen die Ohren. Wir haben von Norbert Bier mitgegeben bekommen. Wir lassen die Korken fluppen und stoßen an. Auf die drei Tage, schmettert der Doktor. Wieso drei, frage ich zurück? Nun, heute ist doch Montag, meint der Doktor. Morgen, also am Dienstag seiner Meinung nach, fahre er los. Ich öffne meinen Laptop. Soll er sich doch selbst vom Irrtum überzeugen und befreien. Sonntag?! Nicht doch, nein ruft er aus! Ich hätte wetten können, sagt er mit großen Augen, dass heute Montag ist. Und sagt damit nur, dass ihm zwei Tage Magdeburg wie drei Tage Supertoll vorgekommen sind. Und im TV Fussball über Fussball, die Frauen, die jungen Männer bis zum Abwinken. Sprich, uns fallen die Augen zu. Die Beine ruhen vom Radeln aus. An die Kilometer, die wir hinter uns haben, denkt keiner.

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