Kulturanker Magdeburg
39112 Magdeburg
39112 Magdeburg
GÜNTER GRASS von mir fotografiert. Hier im Gespräch mit Schreib-Kollegen Martin Jankowski an einem Tisch in Wewelsfleth, ein paar Tage bevor Grass den Roman mit seinem Geständnis, bei der WaffenSS gewesen zu sein, herausbringen ließ.
Zwei Tage bevor GRASS seine letzten Gedichte als Buch veröffentlicht werden, habe ich ihn bereits parodiert. Heute in die WELT nachzulesen, für alle Leute auf diesen Seiten auf dieser Seite völlig frei Haus:
Im Göttinger Günter-Grass-Archiv wurde es schon präsentiert: „Vonne Endlichkait“ heißt das letzte Buch des im April verstorbenen Literaturnobelpreisträgers. Es enthält Prosa und Zeichnungen und Gedichte. Vorabexemplare gab es leider nicht: Grass‘ letztes Buch sollte nicht als Loseblattsammlung verschickt werden. Wir wollten trotzdem nicht warten und haben den Bachmannpreis-Gewinner Peter Wawerzinek gebeten, Grass‘ letzte Gedichte quasi vorauszuahnen.
So etwas sollte mir noch passieren
Kann zum Himmel empor springen
und kopfüber marschieren
Würde am liebsten Sterne essen
den gesamten Weltraum leer
ohne einmal zu pausieren
(Dies wünsch ich mir heimlich so doll
weiß nur nicht wie es mir gelingen soll?)
Immer soll das Gute siegen. Würde
gern auch die Bösen lieben. Würde
gern Hyänen dazu bringen, dass sie
meine Lieder singen, meinen Texten
lauschen, sich an meinen Bildern
berauschen, und würde gern (ohne
es aufzubauschen) im Märchenland unter
der Hand mit der Pechmarie tauschen.
Tintenschwarz ist es, wo die Nacht
Eule sitzt und schweigt, wohinein
der Mond sein Gesicht birgt, das
Mädchen nur noch bettelt: Ach
Mütterlein, setz mir die Tarn
Kappe auf will ich zum
Liebsten gehn
Zusehen müssen, wie meine Schriften
Krumen gleich ausgestreut von den
hungrigen Vögeln aufgelesen werden.
Darf gar nicht daran denken,
was mit mir geschieht? Ob
ich die Vögel verfluche, ob
ich sie alle vertreibe, die
Krumen aufzulesen suche?
Wobei mir klar sein sollte, dass
dann das weite, weite Feld wohl
unabänderlich brachliegen bleibt.
Vorwärts und nicht vergessen!
Genossen, ist vergessen.
Da ist kein Brennholz
mehr im Kamin.
Die Kinder der
Revolution
sind angefressen.
Von großer Zukunft
befreit ist unsere Zeit,
von revolutionären Ideen,
den geilen, den mutigen, braven
auch, denn sie schlafen weiter – unterdessen.
Abend wird es wieder
über Wald und Feld
senkt sich Friede nieder
und bedämmert die Welt.
Und der Poet übergiebet
sich am Felsen dort
Wort für Wort fühlt sich
wer ungeliebet
weiter immerfort.
Sein Würgen aber bringet
noch größren Schmerz hervor.
Säuerlich die Glocke klinget
ihm im abendlichen Ohr.
Gruppe 47
Wir lebten mit Wölfen im Land
Es war kalt um uns Wir tranken
sauren Wein, stopften die Pfeifen
knirschten uns nur an Wie Sand
im munteren Treiben Knabberten
nur am 47er Kuchen Verschenkten
lyrische welke Blumen Jeder von
uns mit sich & seinen Texten allein
Foto: Horst Galuschka/picture alliancePeter Wawerzinek ist schon immer gern in fremde Kleider geschlüpft. Seine witzigen „Raubzüge durch die deutsche Literatur“ von 2011 zeigten die ganze Virtuosität dieses Autors in der Nachahmung berühmter Kollegen. Als Gewinner des Bachmann-Preises 2011 war der 1954 Geborene wieder in den Fokus der Literaturwelt gerückt. Aktuell ist Peter Wawerzinek Stadtschreiber in Magdeburg
Früher hatte ich Angst in den Wald
zu gehen. Heute tanze ich auf den
Brettern seiner Bäume, trinke Wald
Meisterlimonade, setze mich zu dem
Waldarbeiter, lese sogar Texte von
Walden und war auch schon einmal
zu Gast im schönen Waldsieversdorf.
Unsere nächsten Enkelkinder sollen
Waldemar und Waldraut heissen, rufe
ich der Ilsebill zu. Nur sie allein weiß
von meiner ureigenen Angst und aus
welchem Holz die geschnitzt worden ist.
Mit Willi Brandt, Amundsen
und Scott habe ich eins gemein:
Wir brachen auf zu den Polen.
LEO Glücksmoment
© Veranstalter
Vergnügen ist „Grenzenlos“
Veröffentlicht am Montag, 24. August 2015
Am 26. September wird die Nacht zum Tage gemacht. Zumindest an der Elbe. Dann steht die Magdeburger Kulturnacht auf dem Programm. Das Vergnügen ist „Grenzenlos“. So der Titel der Nacht, in der ab 19 Uhr diverse Einrichtungen ihre Pforten weit öffnen und der Vielfalt der Magdeburger Kulturszene ein Podium bieten. Wo sonst sollte der Startschuss für die Kulturnacht fallen als auf dem Domplatz? Stadtschreiber Peter Wawerzinek bringt den Stein ins Rollen. Ihm zur Seite stehen die Theaterballettschule, Komponist und Pianist Burkhard Schmidt und die Taiko-Trommler der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt. 29 Veranstaltungsorte gibt es in der Nacht. Keine Sorge. Wird der Weg zu lang, hilft die Kulturnacht-Sonderbuslinie „2025“.
Es begegnen einem ja immer Dinge unterwegs, die etwas an sich haben, etwas, was sie besonders macht, mehr sein lässt, als der bloße Anblick. Natürlich ist das ein Wohnwagen und er beherbergt den Kassierer, steht in der Nähe der Universität. Wüsste ich es nicht, könnte man ihn auch für ein Ausstellungsstück halten. Wäre ich ein Großkünstler, der so gar in Venedig ausstellen darf, dieser Wagen, komplett abgebaut und dorthin gebracht, sollte großes Interesse auslösen. Und darum muss es ja in der Kunst wohl auch gehen.
Ich würde im nächsten Raum die Eingangspforte zum Schrebergarten-Kolonie originalgetreu errichten, vielleicht eine Sonne, ähnlich der auf dem Bild, installieren, so mit einem gleißenden Scheinwerfer genau abgestimmt, dass der Stacheldraht genauso unauffällig wirkt und nur dem genaueren Betrachter auffällt – denn durch ihn wirkt ja das Wort „Erholung“ so seltsam, wie mir geworden ist, als ich in der Lübecker mit dem Rad auf die Eisenbahnbrücke zu daran vorbeisauste. Ich hörte das Motiv rufen: Fotografiere mich. Und ich musste unbedingt umdrehen, das Foto schießen, damit ich weiß, was ich ausstellen will, wenn sie mich einmal bitten sollten, irgendwo in dieser Welt, einen tollen Deutschland-Pavillon auszustatten. (Übrigens ist mir eben durch einen Tippfehler aufgefallen, dass Schrebergarten und Schreibergarten nur ein kleines i voneinander unterscheiden.)
Ich bin da extra hingeradelt. Und was fand ich vor: Zwei Imbissbuden, drei Klamottenstände, mehr nicht – und das Ganze in allen Veranstaltungsheften als der Hinweis auf tolles Markttreiben in Markteburg.
Da ist die Mail, die ich kurz nach dem Lachanfall empfing, aber hundert Mal mehr verlockend als dieser Markt. HIER: Hey, schön von dir zu hören! In Magdeburg, da war ich neulich und habe ein Mitfahrgelegenheitspaar mitgenommen nach Berlin, der Mann stammte aus Nicaragua und die Frau aus der Mongolei – und genau in der Mitte, in Magdeburg, haben sie sich kennengelernt. Liebe Grüße, Ulrike Anna.
Und wenn wir dann schon einmal bei Lachnummern und scheinbar leeren Gruselbauten sind: Also wer will denn hier ernsthaft „geholfen sein“? Und doch sind hier hinter den abweisenden Fassaden die Büros besetzt.
Dagegen gleich gegenüber dieser Spielplatz aus Holz, leer und so viel anregender, einladender als die dumpfen Häuser ringsumher. Doch Klasse die POLARSTATION ODER? Da bekommt man Lust und will man doch so rasch wie möglich wieder Kind sein und richtig loslegen bis der Eskimo kommt und ein Spielfreund wird.
Und dann in einer Nebenstrasse zur Hauptfahrbahn dieses Schild. Wichtig: fair. Weitere Worte fallen mir sofort ein: Ich bin fairliebt. Meine Oma ist fairstorben. Auf meinen Bruder kann ich mich fairlassen. Du sollst mich nicht immer fairäppeln.
Man wird in Magdeburg so flink zum Wiederholungstäter. Oh ja, ich bin rückfällig geworden und wieder ins Gefängnis eingerückt, in die JVA, dieses Mal war da Haut-Painting angekündigt und fand auch statt. Vor der Bühne ein Mann mit Hut im gestreiften Hemd und auf der Bühne zwei Musiker, einer so gar mit holländischen Akzent. Und dann kamen die Damen ließen sich Arme, Waden, Brustkorb mit flottem Stift be-painten. Dazu gab es Dadaistisches von Beesten, Herbert, stadtbekannt.
Und dann war das um und aus die Maus und einige Häute verziert für ein paar Tage, alles abwaschbar. Und Bühnenumbau.
Und schon trompetete ein junger Mann aus Potsdam noch nicht ganz wie Miles Davis aber nahezu auf dem Weg dorthin. Und Beesten und jener Mann mit Hut legten auf einem schwebebalkenbreiten Gummiband (für über die Kabel zu legen), eine Tanz hin, wie ich ihn früher gern ausgeführt habe, unsichtbar auf dem Spitzdach eines Doms balancierend oder unsichtbar Golf spielend. Was dabei für Verrenkungen nötig sind und sich ergeben, lässt viele Menschen an Neutanz denken, dabei macht man auf der Tanzfläche nur seinen Job. Ich habe immer darauf gesetzt, es wie Neutanz aussehen zu lassen und mich behütet, niemals zu sagen, dass ich Chaplin in der Schlussszene von Modern Times tanze oder Dick & Doof an der Bar oder einfach nur meinen Nachbarn beim Versuch auf seinen fahrbaren Rasenmäher zu steigen ohne die Tomatenkiste aus der Hand zu legen und dabei weiter Zigarre zu rauchen.
Vorher war ich unter die Japaner geraten, sprich in einem lebendigen „Kommick mizu mizu“ einbezogen, lauter Figuren um mich herum, in hellen Stoffen, mit bunten Perücken und jede für sich ein kleiner Star. Das ist ja so eine Krankheit unserer Epoche, die Vereinsamung, die schon im Kindesalter beginnt und dazu führt, dass die Jugend sich nur noch zu verkleiden und verbergen und entstellen weiß, weil sie dann wenigstens WER sind und nicht Nullachtfzffzehn nur eine Schulperson, ein Muttervaterkind, ein beliebiges Wesen mit auch nicht viel anderen Hobbys als die anderen: Burgeressen, Langeweileschieben, mit den Fingern irgendwie sich was erzählen und anschauen und zusenden und so. Die Kamera habe ich stecken lassen. es waren viele, viele Fotografen da und ich denke, einige von denen taten nur so als ob sie Fotoisten wären. Die haben eher was für zu Hause in der dunklen Kammer gebraucht, so Bilder von Teenies, die sie antörnen oder so? Verschiedene Menschen sind absolut unterschieden veranlagt und so kleiner Fetisch am Bild ist da nix besonderes. Pervers ist eh wer Perverses denkt, sage ich mir. Also ein Foto habe ich geschossen und zwar wie der Großwildjäger beinahe, auf Hirsch und Kuh, juhu. Und dann wie esagt weg von den Entstellten und direkt ins Gefängnis.
P.S.: Also acht Euro Eintritt und dann so eine Wärtertruppe, die einen anblafft: Äh nischte mittem Fohrrod nein hier, dass einem die Lust auf alles vergeht. Die haben viel mit Knast zu tun, aber nicht mit dem, was drinnen an Kunst abgeht am Hut. man kann sie sich richtig im Dienst darinnen vorstellen. Die tun so als ob wir, also als ob ich nicht Kunst sehen will, sondern sofort parieren möchte, Zuchthaus und Ordnung kennen lernen wollte. Ich habe die bequasselt was der Lügensack aushält. Dass ich Musiker bin, zu spät bin, die anderen schon spielen, ich singen soll und Painting auch noch ausführen und so. Da haben die sich die Ohren zugehalten, sich gefragt: was issen dass fürn Penner – und mich mit Rad durchgewiesen, aber zackig he, he.
Hochverehrtes Publikum,
ein Rundum-Genuß erwartet Sie – die 4. Magdeburger Erzählertage heißen DIE ARABESKEN KOMMEN!, denn sie sind erstmals zu Gast im herrlichen Garten der Buckauer Galerie überFluss: Natur, Bildende Kunst und Erzähllkunst verschlingen sich zu phantastischen, neuen Formen. Das Abenteuer beginnt in der inspirierenden Ausstellung mit Assemblagen von Sabine Schultz, Collagen von Marianne Fritz und Holzskulpturen von Thomas Koch. Zur Vernissage am 10. September um 19.00Uhr laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein. Der Eintritt ist frei.
Die Erzählerin Marianne Fritz entführt Sie dann an drei Wochenenden solo und mit Gästen in den Geschichten-Kosmos ihrer handbemalten Jurte aus der Mongolei: Lebendige Erzählung. Frei. Ohne Buch oder Manuskript. Immer mit frischer Steinsuppe! Es wird fabelhaft, geschmacklich überraschend und höchst vergnüglich. Den Spielplan finden Sie im Anhang.
Kartenvorverkauf: Atelier M., Schönebecker Str. 21, 39104 Magdeburg, Dienstag bis Donnerstag von 14.00Uhr bis 18.00Uhr ab 18. August
Reservierungen: 0176-32019872 oder marianne.fritz@gmx.net
Kartenpreise: Abendvorstellungen für Erwachsene um 19.00 Uhr: 10€ im Vorverkauf; 12€ an der Abendkasse ab 18.00Uhr
Familienvorstellungen am Sonntag um 15.00Uhr: 5€ im Vorverkauf; 7€ an der Tageskasse ab 14.00Uhr
Website: www.marianne-fritz.de
Die 4. ErzählTheaterTage werden gefördert durch das Kulturbüro der Landeshauptstadt Magdeburg. Der Beitrag zur Kulturnacht wird gefördert durch die GWA Magdeburg-Buckau.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen.
Herzlich,
Marianne Fritz
Ich kann mir gut vorstellen, dass es bei dem Fest meines Verlages am Elsensee so zuging wie in der Schrebergarten-Kneipe Mille Birra auf meiner Radtour entdeckt und leider nicht besuchen können, da geschlossen. Nur dass hier an das liebevoll vielleicht Tante Milli genannte Bierhäuschen kein See angeschlossen war wie beim Elsen-Fest.
Und das war schon auffällig, die Leute kamen an, zogen sich aus, hatten bereits Badeklamotten drunter, gingen in den See, schwammen, redeten, planschten und genossen das kühle Nass. Kühles Nass ist in der Gartenidylle Mille auch vorhanden, nur eben im Glas und auch nur zum Gaudi der Zungen. Und dann wurde gegrillt und Mixgetränke gingen um von alkoholfrei bis hochprozentig. Und es gingen lebhafte Gespräche los, über die Welt, das Kino, die Politik, das Leben, die Kunst und Religionen, Reiseländer und Großstädte, und plötzlich auch, wer hätte es gedacht, um Magdeburg. Nicht nur allein, auch Dessau und das Bauhaus, was ja schön ist für eine Stadt wie Magdeburg, die ja Kultur-Hauptstadt werden will, im Zusammenhang mit Dessau und dem Bauhaus genannt zu werden. Es ging um die Zerstörung der Stadt im Krieg und den Aufbau, dass man ihn hier eben nicht auf der alten Basis geschafft hat, sondern radikal die neusozialistische Architektur bis hin Plattenbauweise, später durchsetzte. Andere ebenso zerstörte Städte sähen aus wie damals, also fast wieder wie sie vor dem Krieg aussahen. Magdeburg dagegen ist auffällig liebloser wiederaufgebaut worden. Und die das alles zu verantworteten haben, mussten längst abdanken – nur ihre Bausünden bleiben und prägen das Bild so entscheidend, dass man, so hieß es an dem Tisch, wenn man von außen her in die Stadt hinein kommt, erst einmal durchatmen und Oh weh denken muss, und schon auch mutig bleiben sollte, um dann doch ganz tolle Entdeckungen zu machen. So wie es mir permanent geht, wenn ich mit dem Rad aus bin, in Winkel und Ecken radele und meine kleinen Sehabenteuer habe.
Und bitte schön, einmal genau hingesehen: Ist so eine Fassade, auch wenn sie abgelebt und von der Zeit angefressen ist, nicht auch eine wunderschöne, beinahe künstlerische Wand zu nennen? Etwas zum richtig langen guten Hinsehen, sich so seine Gedanken machen können? Sie hier abgenommen und nach Venedig umgesetzt, könnte diese Wand durchaus die Attraktion des Deutschen Pavillons in Venedig sein und ein Riesenerfolg zugleich. Schade, dass solche Ideen, wie ich sie hier locker entwickle, niemals umgesetzt werden, es bis zum Kultur-Termin Magdeburgs im Jahre 2015 den Künstler nicht gibt, der sich eine solche Aktion traut und fest vornimmt, die Fassade zu verfrachten, und dann diesen Wechsel auch durchsetzt. Und schade auch, dass es sicherlich für solch eine werbeträchtige Aktion, die man ja nur „Magdeburg“ nennen muss, keinen Kulturausschuss geben wird, der begeistert darum ringt, so etwas unbedingt einmal Wirklichkeit werden zu lassen.
Und auch solch eine Fassade mit samt altem Stuck und Balkone, wäre absolut geeignet auf Weltausstellungen rund um den Globus als Kunstwerk aus Deutschland zu stehen. Arbeitstitel: „Pizzahaus Magdeburg“.
Schön nur, dass ich kurz von meiner Liebe zu solchen Wänden sprechen konnte, knapp über eine Stunde weg von Magdeburg, in einem Garten am See, in dem plötzlich wie aus dem heiteren Himmel von Magdeburg geredet wurde. Anlass war das Tiefwasser der Elbe und, dass mit ihm nun immer mehr Dinge zum Vorschein kommen, auch Fundmunition zum Beispiel, von denen man bisher nichts recht wusste. Es wird schon von einen sehr geschichtsträchtigem Tiefwasser der Elbe gesprochen. Und es bilden sich langsam schon Kollektive, die ausschwärmen und alles festhalten im Flussbett, was wichtig ist für die Stadtgeschichte. So hat der Mangel an Wasser zum anderen auch seine gute Seite.
Einfach so mit Rad umher. Mehr wollte ich nicht. Und man macht ja immer kleine Entdeckungen. Gleich zum Anfang ist es eine Maschine zum Eicheln vom Bürgersteig sammeln.
Nehmen sie nicht die mit nur einem einer Drehbürste. Das müssen derer schon zwei sein. Fünfzig Euro beim Baumarkt.
Ich lichte das kleine Wunderding ab, lasse mir noch zeigen, wie es innen mit ihm bestellt ist:
Sack, Tüte oder?
Einfach so, sagt de Frau, die Eichelmaschinistin.
Das ist weiter nischte.
Öffnet das etwas, hebt den gelben Kasten heraus, zeigt dass er halb voll oder halb leer (wie man es bewerten will?) ist mit Eicheln.
Kleine Dingerchen. Schnell und problemlos eingefangen.
In der Bäckerei u. Conditorei Schoch gibt es Prasselkuchen. Bei der Schrift an der Fassade frage ich mich schon: Warum u und Punkt? Und wieso Konditorei mit C am Anfang? Sind das rein weg ästhetische Betrachtungen? Haben die Verursacher einen französischen Touch gehabt? Ist dieser Ur-Schoch etwa ein ganz besonderer Mann gewesen, einer der Buchstaben einspart, wo es nur geht und das C nun einmal nobler als das schnöde K im Schriftbild ansieht?
Prasselkuchen gab es bei uns an der Ostseeküste. Wenn man nur wüsste warum? Denn Prasselkuchen stammt aus einem ganz anderen Kulturkreis, sagen wir mal dem Vogtland. ich bin mir gar nicht sicher. Aber in Rerik, einem Ostseebad, gehört dieser Kuchen nicht hin. War auch kaum zu verkaufen. Die standen mehr auf Bienenstich, Schnecke, Zopf, Mohnkuchen, Rumkugeln, Pflaumenmus. Was der olle Bauer nicht kennt kauft der Fischkopp auch nicht ein. Ich ja. Ich musste Prasselkuchen einkaufen. Ich wurde deswegen zum Bäcker geschickt. Die Adoptivmutter stand nun einmal schwer auf Prasselkuchen. Und der musste knattertrocken sein und, wie gesagt, prasseln, wenn man in ihn hinein biss. Sie biss in ihn hinein, prasselte was der Kuchen hergab und grinste zufrieden über das Prasselgesicht.
Gegenüber ist da auch gleich ein Fleischer:
FLEISCHEREI
Fleisch- und Wurstwaren
Backwaren
&
Warmes Essen, Kalte Speisen
Beilagen
PARTYSERVICE
steht auf dem Schaufenster so fett und in groß geschrieben, dass man durch die Scheibe nicht sehen kann, was es so alles gibt. Und wieso das K für kalte Speisen groß geschrieben wird, frage ich mich nur nebenbei. Geschmacksache.
Also gehe ich hinein, obwohl ich ja keine Party stattfinden lassen will. Und schon springen mir, wie man so sagt, obwohl sie ja nicht springen, Einweckgläser in mein Blickfeld. Blut, Leber, Sülz. Na, da schlage ich doch zu, für Einsfünfzig das Glas. He he. Bin ja Sülz- und Blutwurst-Fan schon seit ich sieben, acht Jahre alt war. Habe so gar einen Song geschrieben:
Blutwurst du hilfst gegen Durst, juhu.
Blutwurst auf der Stulle, stillt den Hunger
wie zischendes Bier aus eise-kalter Pulle.
Und mein Sülzwurst-Poem geht so:
Sülze ist sauer
Sülze gibt Power
Sülze ist nicht jedermanns
Gelee weil sie vom
Schweinekopf stammt
Sülze schmeckt ohne Brot
Sülze vom Schwein mausetot
macht Wangen rot.
Sülze, oh jee mi nee,
stöhnen die
sülzeunverträglichen
Weiber, Sülze wie?
Vom Schweinekopf?
Aus dem Schweinekoppkochtopf?
Nöö danke nö nix
für uncool lieber nöö nöö.
Eine Kneipe heißt hier Schöne Ecke und hat sich wirklich an einer schönen Ecke etabliert. Ist dicht zurzeit. Gut so, muss ich nicht pausieren, kann ich weiter radeln. Vorbei an der Gaststätte. Vorbei an einem Gestell, einer Sitzbank, die hier KNEIPENTREPPE genannt wird.
An einer Fassade in Gelb zwei Dinosaurier, so groß an die Wand gepinselt, dass man sagen kann: lebensgroß. Und das in der Schillerstraße, der ja auch überlebensgroß war in seiner Dichtung, also fast so gigantisch wie der Saurier Goethe, spielt Flöte, auf Schillers Piller, sangen wir als Kinder nicht minder. Übrigens geht man in Magdeburg pfleglich mit den großen Geistern der Vergangenheit um, die vor zweihundert Jahren alle hier zusammen gekommen und aneinandergeraten sind. Die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe wurde hier besiegelt. Novalis war da, Hölderlin und, siehe da, Fichte ist es immer noch (hier mein Bild zum Beweis.)
ACHTUNG ACHTUNG das Antik Café macht dicht!
Der Antikmarkt ist bis auf wenige Möbel bereits abgebaut.
Eine Kneipe heißt hier Schöne Ecke und hat sich wirklich an einer schönen Ecke etabliert. Ist dicht zurzeit. Gut so, muss ich nicht pausieren, kann ich weiter radeln. Vorbei an der Gaststätte. Vorbei an einem Gestellt, einer Sitzbank, die hier KNEIPENTREPPE genannt wird.
Und dann gibt es hier ein Unternehmen Broiler-Taxis. Broiler war in New Mexico, als ich dort 1994 umherfuhr, der Name für einen Stand auf einem Markt. Und ich dachte tatsächlich: He jippi jäh, schau einer an, da hat es ein Wort aus der DDR bis nach Amerika geschafft. Vielleicht lag meine Meinung auch nur daran, das ein paar Stände zuvor die Indianer eine DDR-Fahne zum kauf anboten, ohne zu wissen, woher die stammt und was das für ein Land ist? Später beruhigte ich mich und ging davon aus, dass die DDR den Begriff übernommen hat, in der Gewissheit, dass Amerika so weit weg ist, es hier niemand mitbekommen würde.
AUS DEM INTERNET IST ZUM THEMA FOLGENDES ZU ERFAHREN:
Nach neuen Sprachforschungen kam der Name Broiler vermutlich folgendermaßen in die DDR: Züchter aus den Ostblockstaaten, allen voran der Sowjetunion, wollten ein besonders fleischreiches Brathuhn züchten, was allerdings nur in bescheidenem Umfang gelang. In den 1950er Jahren hatte allerdings eine Bremer Firma ein solches fleischreiches Huhn aus mehreren alten deutschen Rassen gezüchtet und an eine US-amerikanische Geflügelfirma verkauft. Ob der Name Broiler bereits als Markenname von der deutschen oder erst von der US-amerikanischen Firma verwendet wurde, ist nicht genau bekannt. Gesichert ist, dass über die genannte US-amerikanische Firma der Ausdruck broiler in die DDR kam. Der Grund war der oben angeführte gescheiterte Versuch, das fleischreiche Brathuhn zu züchten. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe beschloss deshalb Ende der 1950er Jahre, die Hühnerrasse von der US-amerikanischen Firma zu importieren. Dies sollte allerdings aus politischen Gründen über Bulgarien geschehen. Auf diese Weise verbreitete sich der Broiler dann im Ostblock.
Andere Quellen gehen davon aus, dass die Broilerzucht in den 1960er Jahren in der bulgarischen Stadt Tolbuchin entwickelt wurde. Dort gelang erstmals die industrielle Massenzucht von Masthähnchen in zehn Wochen zu einem Gewicht von etwa 1,5 kg. Zur besseren Vermarktung im Ausland benutzte man für die Neuzüchtung den vom amerikanischen Englisch abgeleiteten Namen „brojleri“.
In der DDR wurde zu Werbezwecken auch die Bezeichnung Goldbroiler verwandt. Daraus leitete der Volksmund Begriffe wie Silberbroiler oder Bronzebroiler ab, was etwa gleichbedeutend mit dem Gummiadler (für ein minderwertiges, zähes oder fleischarmes Hähnchen) ist.
Laut DDR-Duden wiegen Broiler nach acht bis zehn Wochen 1,2 bis 1,4 kg, die bulgarischen Masthähnchen in den 1960er Jahren wogen nach zehn Wochen Aufzucht rund 1,5 Kilogramm.
Der Begriff Broiler ist auch in anderen Sprachen gebräuchlich, z. B. im Finnischen broileri und auf Swahili.
ICH STELLE MIR IMMER VOR, wie so ein leicht angefressenes Brathühnchen (unzufrieden mit sich oder seinem Hasenzähnchen) stinkesauer ist, nach der Nullnummer nun aber etwas richtig tierisches erleben will, also mit Kampfhähnen oder Flugenten einen richtig draufmachen möchte – und dann diese Nummer anruft, damit es sicher vor all den neugierigen Blicken und heißhungrigen Mäulern, zu der angesagten Stockenten-Party chauffiert werden kann.
Alles muss RAUS samt Hund – außer: DER HUND BLEIBT?
Kurze Rezension zur Lesung von André Schinkel
Ja, so viel steht nun einmal fest, sechzehn Personen, also Zuhörer, im Literaturhaus Magdeburg, he Leute und das an einem Sommerabend ab neunzehn Uhr, wo die Medien ununterbrochen die angstmachende Nachricht dudeln, wir würden in der gleichen Nacht in die Sinn-Flut der Sternschnuppen geraten, von Sternschnuppen (die mir zum Beispiel völlig schnuppe sind, eher liebe ich Glühwürmchen), sternschnuppen-pitschnass berieselt werden hier auf Erden, ist doch eine absolute, mehr noch, eine gute Kenngröße für den Lesenden, noch dazu, wenn dieser aus Halle stammt, von der Stadt also herüber gekommen ist, von der man hier weiß, dass die Magdeburger eben Halle nicht so auf ihrer Lieblingsliste zu stehen haben, wie im Fussballstadion jüngst erlebt, ich sage nur: Pokal liebe Leute, und sie alle aber auch alle nur: alleallealle gegen Halle geschrien haben, und man muss doch einmal sehen, he, die Leute sind da an der Lesung drangeblieben bis zum Schluss, nun freilich dieser Schluss, Kinderkinder, der dann im Haus leider viel zu abrupt erfolgt, die letzten Worte kaum verhallt, wird dem Dichter beinahe der Stift zum Signieren aus entrissen, alles um uns abgebaut, eingepackt, und die Chefin selbst kommt nicht mit zum Mückenwirt, hat Besseres vor, ihr Personal ist flutsch schon mit dem Schlusspfiff elegant weggeschlüpft, alles wird hier dann doch ratzbatz & lieblos abgehandelt, ein riesiges Problem, das hier wohl keiner derVeranstalter hat – die Nachbehütung, Nachsorge des Gastes, der sich hinaus geschupst rasch mit seinen paar Fans zu verdrücken hat, binnen der erstaunlichen, nicht einmal Viertel Stunde, waren alle Fenster dicht, Türen einbruchssicher abgeschlossen, die privaten Autos mit den Veranstalterinnen weggedüst und man, ich und der Dichter mit drei seiner Begleiter, unter uns oder sich allein, wie als wäre man ein kurzer Werbespot im Kinosaal der Literaturveranstaltung gewesen, kurz zum Aufflackern bestellt und nicht weiter berücksichtigt, so jedenfalls kam es mir vor – und ich ließ also die Lesung beim Mückenchef nachhallen, bei Bier und Kartoffelsalat und Senf, und seltsamen Gesprächen, die sich im Grunde darum kringelten, warum wer welchen Preis zu unrecht bekommt und was nur los ist mit dieser Literaturverwertungsgesellschaft alter Säcke, dass die auf lyrische junge Weiber, die nun wirklich nix können und auch so nix an sich haben, so abfahren, wie auf dieses blonde Ding da mit dem amerikanischen Namen, Gott wie war denn der bloß noch einmal, irgend etwas mit Ann könnte das sein? und Wanderungen dahin dorthin und wie es so ist mit dem Lektorieren von Texten und der Archäologie, denn das ist ja übrigens das weite Feld des Mannes aus Halle, das Ausgraben, Staub-bei-Seite-pinseln, Bewahren, sich mit dem Menschen auf dieser Ebene ins Verhältnis setzen und so, auf dem er sich erfolgreich bewegt, denn er vollführt einen Spagat zwischen Singen & Dichten und in Erdschichten eindringen.