Eine kurze Gedenkminute für Ulrich Zieger

Ulrich Zieger* 29. Dezember 1961 in Döbeln; † 23. Juli 2015 in Montpellier war ein deutscher Schriftsteller. Zieger1Bildquelle: lettretage

ich bin bei den feuern jetzt oft, die verdunkeln wovor ihr euch fürchtet: den tag, der die röte des taumorgens spannt zu den warnungen die uns die vögel verheißen, die nacht, der das sprechen gehört wenn es eintaucht in jene verachteten worte aus denen der grund kam für unsere ängstliche liebe, die leier der welt, o ihr hört sie in träumen die euch als vergessene gelten im stundenverrat eurer treppengehäuse, den leib, ja ich nenne ihn leib, der in wundheit liegt wenn ihr euch abrichtet zu euren blickübungen die der verdünnung von wirklichem licht gelten nie aber einem gespräch das vom bleiben erzählt und vom wiedergewinn der zu tode gezählten, bedürftigen zeit. ich bin einsam dort draußen, wie alle die kamen auch einsame sind. wir sind einsam in unserem haß. doch ich bin der erfinder des hasses, der euch trifft in meinem jahrhundert. Ulrich Zieger; aus: “Schwarzland”; Galrev, Berlin 1995

PW an UZ: Ich habe gemocht, dass du die PAUSEN voll ausgespielt hast. Und ich mag die Art wie du mit den Stirnfalten gesprochen hast. Adieu läutet es leise in mir. (Peter Wawerzinek) Ulrich Zieger war der Sohn eines Handwerkers und einer Lehrerin. Er lebte bis 1970 in Waldheim und von 1970 bis 1981 in Magdeburg, wo er eine Ausbildung zum Chemigrafen absolvierte. 1981 ging er nach Berlin. Dort arbeitete er in einem wissenschaftlichen Verlag; daneben war er literarisch aktiv in der alternativen Szene im Stadtviertel Prenzlauer Berg. Er wirkte als Mitarbeiter an diversen literarischen Untergrundzeitschriften und bei der freien Theatergruppe „Zinnober“ mit. Anfang der 1980er Jahre lernte Zieger Gert Neumann kennen, dessen Freundschaft ihm wichtige künstlerische Impulse gab. 1985 schrieb Zieger sein erstes Theaterstück Die Sonne ist blau, das sich motivisch mit dem Kindermörder Jürgen Bartsch auseinandersetzt. Das Stück wurde in der DDR – vom henschel Schauspiel Verlag und den Verantwortlichen des Berliner Ensembles – diskutiert, jedoch weder verlegt noch inszeniert. 1987 besetzte Heiner Müller Ulrich Zieger als Sprecher für seine Hörspielproduktion von Bertolt Brechts Theaterstück Untergang des Egoisten Fatzer, an dem u. a. auch Frank Castorf und die Band Einstürzende Neubauten mitwirkten.

 

kunstthomasTHOMAS KUNST

Juli mit Kranichskelett. Adieu, Ulrich Zieger.

Ulrich fehlt mir fürchterlich. Ich liebte ihn von Anfang an mehr als jeden anderen deutschen Dichter. Er spielte in seiner eigenen, gänzlich unerhörten Liga. 1990 las ich zum ersten Mal Gedichte von ihm und verneigte mich vor deren Größe. Diese Qualität war schockierend.
Seine Gedichtbände „Neunzehnhundertfünfundsechzig“…“Große beruhigte Körper“…“Vier Hefte“…“L’atelier“ und „Aufwartungen im Gehäus“ sind von einem anderen Stern. Besseres gab es nicht in der deutschsprachigen Dichtung der letzten zwanzig bis dreißig Jahre und wird es demzufolge auch nicht mehr geben.

Kam in den 90er Jahren ein Päckchen aus Montpellier, dann gab es Festivalstimmung bei mir in Leipzig, Kassetten über Kassetten, bemalte, beschriftete, in seelischer Anmutung und Verausgabung zusammengestellte, betrunkene Kassetten, Jim und Jeff, Mecca Normal, Andy Prieboy, ach einfach alles. Ich legte die Musik ein und betrank mich. So waren wir dicht beieinander.

2003 sagte eine Freundin in Rom zu mir, Thomas, ich fahre eine Bekannte in Umbrien besuchen, am Trasimeno See, sie ist mit einem Dichter zusammen, mit Paul Wühr, ob ich mitkommen möchte. Ja, ich wollte mitkommen. Einer der ersten Sätze, die Paul Wühr nach unserer Ankunft mir gegenüber äußerte, war: „Vor kurzem besuchte uns eine Germanistin, als sie erwähnte, noch kein Gedicht von mir gelesen zu haben, warf ich sie raus.“ Ich erwiderte als Entgegnung: „Ich kenne Gedichte von Ihnen, aber die gefallen mir nicht.“ Paul Wühr sah mich scharf an, und ich dachte, daß der Untergang nahen würde. Er meinte darauf zu mir: „Stellen sie Liebes- und Hasslisten von Dichtern auf, und dann sehen wir weiter.“ (die Hassliste lass ich aus, die war außerdem zu blöde und in jeder Hinsicht verzichtbar.) Meine Liebesliste begann mit Nicolas Born. Als zweiten Namen nannte ich Ulrich Zieger. Paul strahlte und sagte: „nur noch einen richtigen Dichter, dann dürfen Sie Paul zu mir sagen und hierbleiben.“ Ich sagte: Schiller und durfte sowas von bleiben.

Paul wünschte sich so sehr, daß Ulrich und ich ihn zusammen besuchen kommen. Ich versprach es ihm. Zurück in Rom redete ich solange auf den Direktor der Villa Massimo, Joachim Blüher, ein, bis er nicht mehr anders konnte und Ulrich für einen Monat als Ehrengast in die Deutsche Akademie holte. Ich denke, er war wohl mit seinen 42 Jahren der jüngste Ehrengast, den die Villa je gesehen hat. Und er war zu Recht da. Ulrich war ein fantastischer Koch. Seine Bohnen mit Lamm werde ich nie vergessen. Es ging ihm aber nicht nur gut in Rom. Einmal sagte er zu mir, ich hätte ihn in einen goldenen Käfig gelockt. Das tat weh.

Wir tranken viel zu viel und hörten Fabrizio de André rauf und runter.

Der Abend in Umbrien bei Paul bleibt unvergessen. Der alte Wühr, unser Freund, sagte zu uns: „Jungs, lest für mich “ und: „wenn ich euch höre, werde ich gelb vor Neid.“ Wir tranken und lasen und sprachen, waren wütend, wir lachten und tobten und schwärmten. Mit Paul konnte man so herrlich wütend sein. Die Rückfahrt nach Rom am nächsten Tag verlief müde und friedlich.

Es wurde und wird so häufig mit Superlativen hantiert in der deutschen Literatur, aber bei Ulrich Zieger finde ich sie angemessen. In meinen Augen war er der wichtigste, intensivste, magischste und sprachmächtigste Dichter der Gegenwart.

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