sein oder werden

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AUCH ICH WOLLTE SCHAUSPIELER WERDEN

Brief an Dylan Thomas

Du und ich, wir beide, Dylan, können erst richtig zeigen, was mit unserer Dichtkunst los ist, wenn wir aus dem Buch vorlesen, besser noch, singend, melodisch werden. Da besitzen wir eine gemeinsame Gabe. Ich meine, wir lesen ja nicht, wir führen die Worte auf, wir inszenieren den gesamten Text, schauspielern ihn nahezu grandios. Wir legen alles in unsere Stimme, wenn wir den Text zelebrieren. Wir veranstalten nicht ganz so viel Show, wie es die Nobelkellner im Nobelrestaurant tun, wenn sie etwas auf einem Extratablett vorstellen, flambieren, auseinandernehmen, aushöhlen, öffentlich zur großen Nummer hochstapeln und mit vollem Einsatz direkt am Tisch zubereiten. Aber ohne Übertreibung kommen wir auch nicht aus.
Eines ist anders an uns. Wir verfügen über unsere Stimme. Wenn wir unsere Texte sprechen, nehmen wir die Zuhörer bei ihren Händen und lenken sie, so sanft es geht, in diejenigen Hörbereiche, in denen wir unsere Zuhörer antreffen wollen. Du, Dylan, hast das immer sehr gut gekonnt und ich habe es von Beginn an genauso gehalten. Ein Text ist ein Text und dieser Text taugt einfach nichts, wenn er nicht zelebriert wird. Das ist wie trockener Käse pur zum Hineinbeißen. Kein Vergleich mit dem Käse, den wir reiben und in der warmen Pfanne über Austern streuen, ihn erhitzen.
Ich bin du, du wohnst in mir, ich in dir. Ich bin deine Wiedergeburt. Ich bin Dylan Thomas, der Spätgeborene. Ich bin es natürlich nicht, bin niemals Dylan Thomas, bilde mir das nur ein, will es so haben. Und doch sind wir zusammen, ich und Dylan, mehr als nur ich allein.

 

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