3. Teil der Erinnerungen Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline Kienitz, geb. Ransleben
Herbst 1806
Leider dauerte die Freude nicht lange, wenige Tage nachher erfuhr man die Niederlage des Königs, die Übergabe von Magdeburg und den Einzug der Franzosen in Berlin. Wie tief niedergeschlagen waren wir Preußen da alle. Die Polen teilten nicht unsere Gesinnung, im Gegenteil, wünschten sie den Franzosen Heil und Sieg und erwarteten von denselben Erlösung vom preußischen Joche, wie sie sich ausdrückten.
Ich hatte eine polnische Köchin, welche bei Annäherung der Franzosen ein Glas nahm und zum Fenster heraus die Franzosen leben ließ, welche kämen, um die preußischen Hunde zu verjagen, welche ihnen das polnische Brot aufgefressen hätten. So war die allgemeine Stimmung. Endlich erfuhren wir, dass sich die Franzosen mit starken Schritten Warschau näherten. Da wurde beschlossen, alles Geld, was in den öffentlichen Kassen war, dem König nach Preußen zu senden. Die Gehälter wurden nun ausgezahlt und alles andere fortgeschickt. Wir waren nun ganz vom Vaterlande getrennt und es kam eine Zeit, wo wir unser Einkommen verzehrt hatten, so waren wir wohl sehr zu bedauern, denn die Polen hätten uns nichts gegeben und die Preußen hatten alle nichts.
So kam der 1. Dezember heran und mit ihm die ersten Franzosen. Es war ein frischer sonniger Wintertag und die französische Kavallerie hielt in größtem Pomp, an der Spitze den ……… ihren Einzug.
Mein Mann hatte mich zu einer Bekannten gebracht, um dieses Schauspiel mit anzusehen. Ach wie schwer wurde mir das Herz und wie verwünschte ich alle diese Franzosen in den tiefsten Abgrund. An demselben Tage bekamen wir Einquartierung zwei Offiziere und zwei Bediente, denen wir zwei Zimmer einräumen mussten. Als sie eingezogen waren, ging mein Mann zu ihnen, stellte ihnen unsere Lage vor und sagte ihnen, dass, so lange wir etwas hätten, wir alles gern mit ihnen teilen wollten, indessen würden unsere Mittel bald erschöpft sein. Da waren die beiden Herren so artig zu sagen: sie verlangten für sich nichts als Frühstück, wenn wir nur ihre Leute beköstigen wollten. Ich kann nicht anders sagen, sondern muss der Wahrheit die Ehre geben, sie benahmen sich immer sehr artig, so lange wir mit ihnen zusammen waren. Da wir voraussahen, dass unsere Hilfsquellen bald würden erschöpft sein, und wir aus dem Vaterlande keine Unterstützung erhalten konnten, so fassten wir den Entschluss, womöglich unsere Reise nach Berlin anzutreten. Mein Mann gab sich alle erdenkliche Mühe, einen Pass zu erhalten. Drei Tage lang hat er fast unaufhörlich danach herumlaufen müssen. Während der Zeit erlebte ich noch eine Scene, welche mich in Furcht und Schrecken setzte:
Der Pöbel rottete sich zusammen, um alle preußischen Adler abzureißen. Da wir in einem Hause wohnten, welches zur Aczise gehörte, so waren zwei Adler an demselben. Ich war mit meinem lieben Kinde ganz allein zu Haus, das Kindermädchen hatte ich fortgeschickt und die Köchin, als Polin sehr erfreut über diesen Entschluss, war gleich beim Anfang des Alarmes fortgelaufen. Der große ……… platz, an dem wir wohnten, war mit einer zahllosen Menschenmenge bedeckt, welche mit Hurra-Geschrei und Schimpfreden die Adler abrissen und in den Koth traten. Wir hatten gleich anfangs die beiden Haustüren inwendig verriegelt, dennoch zitterten wir jeden Augenblick, der Pöbel würde sie erbrechen, entweder um zu plündern oder um uns zu misshandeln. Ich kann nicht beschreiben, in welcher unsagbaren Angst ich ein paar Stunden zubrachte. Ich kniete an der Wiege meines geliebten Kindes, welches sanft und süß schlief, vor Furcht zitternd, welchen Ausgang das nehmen würde. Endlich verzog sich der Pöbel, Ruhe und Stille trat wieder ein und wie selig war ich, meinen Mann wieder zu sehen.
Endlich nach drei langen Tagen, während welchen ich meine ganze Wirtschaft auseinandersetzte und einpackte, kam er endlich mit einem Pass zu Haus, was mich doppelt beseligte, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, alle Männer zwischen 20 und 40 Jahren würden gezwungen werden, mit gegen die Russen zu Felde zu ziehen. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich meinen geliebten Beschützer verloren hätte? Ich mochte den Gedanken nicht ausdenken.
Winter 1806/07
Wir besaßen damals einen eigenen Wagen, welchen mein Mann zur Reise nach Warschau gekauft hatte und welcher alle nur möglichen Bequemlichkeiten darbot. Wir wurden aber von allen Seiten abgeraten, diesen Wagen zu nehmen, da er uns auf der Reise leicht von den Franzosen konnte genommen werden. Da erfuhr mein Mann, dass ein Frachtfuhrmann von Berlin gekommen wäre, welcher einen eigenhändigen Pass von Napoleon hatte, weil er Geld nach Warschau hätte bringen müssen und dahin zurückkehre, um noch mehr zu holen. Da beschlossen wir, uns einen solchen Frachtwagen einrichten zu lassen, um auf diese Weise die Reise zu machen. Vorher verlebten wir noch einige recht trübe Tage.
Als Napoleon einzog, wurden wir gezwungen, drei Abende hintereinander zu erleuchten, was uns recht widerwärtig war, aber wer nur einigermaßen Lichte an seine Fenster zu setzen (sich weigerte), dem wurden die Fenster eingeworfen. Die Preußen hatten die Brücke, welche von Warschau nach der Vorstadt Praga führte, bei ihrem Abzuge abgebrochen und die Russen, welche diese Vorstadt besetzten, schworen Warschau an allen Ecken anzuzünden, wenn es ihnen gelänge, die Stadt wieder einzunehmen. Wir schwebten daher zwischen Furcht und Hoffnung, als wenige Tage nachher die Schlacht bei Pultusk war. Mit welchen Empfindungen hören wir daher den Kanonendonner, welcher immer schwächer wurde, woraus wir entnehmen konnten, dass die Franzosen Sieger waren. Für das Vaterland schrecklich, aber für unsere persönliche Sicherheit in diesem Augenblick wohl besser, denn wir Preußen hätten doch mitleiden müssen, wenn die Russen Warschau nahmen. Es war eine furchtbare Nacht, der Regen floss in Strömen und man wusste nicht, was man fürchten oder hoffen sollte.
(Fortsetzung folgt)