Als Napoleon einzog

3. Teil der Erinnerungen Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben

Herbst 1806

Leider dauerte die Freude nicht lange, wenige Tage nachher erfuhr man die Niederlage des Königs, die Übergabe von Magdeburg und den Einzug der Franzosen in Berlin. Wie tief niedergeschlagen waren wir Preußen da alle. Die Polen teilten nicht unsere Gesinnung, im Gegenteil, wünschten sie den Franzosen Heil und Sieg und erwarteten von denselben Erlösung vom preußischen Joche, wie sie sich ausdrückten.

Ich hatte eine polnische Köchin, welche bei Annäherung der Franzosen ein Glas nahm und zum Fenster heraus die Franzosen leben ließ, welche kämen, um die preußischen Hunde zu verjagen, welche ihnen das polnische Brot aufgefressen hätten. So war die allgemeine Stimmung. Endlich erfuhren wir, dass sich die Franzosen mit starken Schritten Warschau näherten. Da wurde beschlossen, alles Geld, was in den öffentlichen Kassen war, dem König nach Preußen zu senden. Die Gehälter wurden nun ausgezahlt und alles andere fortgeschickt. Wir waren nun ganz vom Vaterlande getrennt und es kam eine Zeit, wo wir unser Einkommen verzehrt hatten, so waren wir wohl sehr zu bedauern, denn die Polen hätten uns nichts gegeben und die Preußen hatten alle nichts.

So kam der 1. Dezember heran und mit ihm die ersten Franzosen. Es war ein frischer sonniger Wintertag und die französische Kavallerie hielt in größtem Pomp, an der Spitze den ……… ihren Einzug.

Mein Mann hatte mich zu einer Bekannten gebracht, um dieses Schauspiel mit anzusehen. Ach wie schwer wurde mir das Herz und wie verwünschte ich alle diese Franzosen in den tiefsten Abgrund. An demselben Tage bekamen wir Einquartierung zwei Offiziere und zwei Bediente, denen wir zwei Zimmer einräumen mussten. Als sie eingezogen waren, ging mein Mann zu ihnen, stellte ihnen unsere Lage vor und sagte ihnen, dass, so lange wir etwas hätten, wir alles gern mit ihnen teilen wollten, indessen würden unsere Mittel bald erschöpft sein. Da waren die beiden Herren so artig zu sagen: sie verlangten für sich nichts als Frühstück, wenn wir nur ihre Leute beköstigen wollten. Ich kann nicht anders sagen, sondern muss der Wahrheit die Ehre geben, sie benahmen sich immer sehr artig, so lange wir mit ihnen zusammen waren. Da wir voraussahen, dass unsere Hilfsquellen bald würden erschöpft sein, und wir aus dem Vaterlande keine Unterstützung erhalten konnten, so fassten wir den Entschluss, womöglich unsere Reise nach Berlin anzutreten. Mein Mann gab sich alle erdenkliche Mühe, einen Pass zu erhalten. Drei Tage lang hat er fast unaufhörlich danach herumlaufen müssen. Während der Zeit erlebte ich noch eine Scene, welche mich in Furcht und Schrecken setzte:

Der Pöbel rottete sich zusammen, um alle preußischen Adler abzureißen. Da wir in einem Hause wohnten, welches zur Aczise gehörte, so waren zwei Adler an demselben. Ich war mit meinem lieben Kinde ganz allein zu Haus, das Kindermädchen hatte ich fortgeschickt und die Köchin, als Polin sehr erfreut über diesen Entschluss, war gleich beim Anfang des Alarmes fortgelaufen. Der große ……… platz, an dem wir wohnten, war mit einer zahllosen Menschenmenge bedeckt, welche mit Hurra-Geschrei und Schimpfreden die Adler abrissen und in den Koth traten. Wir hatten gleich anfangs die beiden Haustüren inwendig verriegelt, dennoch zitterten wir jeden Augenblick, der Pöbel würde sie erbrechen, entweder um zu plündern oder um uns zu misshandeln. Ich kann nicht beschreiben, in welcher unsagbaren Angst ich ein paar Stunden zubrachte. Ich kniete an der Wiege meines geliebten Kindes, welches sanft und süß schlief, vor Furcht zitternd, welchen Ausgang das nehmen würde. Endlich verzog sich der Pöbel, Ruhe und Stille trat wieder ein und wie selig war ich, meinen Mann wieder zu sehen.

Endlich nach drei langen Tagen, während welchen ich meine ganze Wirtschaft auseinandersetzte und einpackte, kam er endlich mit einem Pass zu Haus, was mich doppelt beseligte, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, alle Männer zwischen 20 und 40 Jahren würden gezwungen werden, mit gegen die Russen zu Felde zu ziehen. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich meinen geliebten Beschützer verloren hätte? Ich mochte den Gedanken nicht ausdenken.

Winter 1806/07

Wir besaßen damals einen eigenen Wagen, welchen mein Mann zur Reise nach Warschau gekauft hatte und welcher alle nur möglichen Bequemlichkeiten darbot. Wir wurden aber von allen Seiten abgeraten, diesen Wagen zu nehmen, da er uns auf der Reise leicht von den Franzosen konnte genommen werden. Da erfuhr mein Mann, dass ein Frachtfuhrmann von Berlin gekommen wäre, welcher einen eigenhändigen Pass von Napoleon hatte, weil er Geld nach Warschau hätte bringen müssen und dahin zurückkehre, um noch mehr zu holen. Da beschlossen wir, uns einen solchen Frachtwagen einrichten zu lassen, um auf diese Weise die Reise zu machen. Vorher verlebten wir noch einige recht trübe Tage.

Als Napoleon einzog, wurden wir gezwungen, drei Abende hintereinander zu erleuchten, was uns recht widerwärtig war, aber wer nur einigermaßen Lichte an seine Fenster zu setzen (sich weigerte), dem wurden die Fenster eingeworfen. Die Preußen hatten die Brücke, welche von Warschau nach der Vorstadt Praga führte, bei ihrem Abzuge abgebrochen und die Russen, welche diese Vorstadt besetzten, schworen Warschau an allen Ecken anzuzünden, wenn es ihnen gelänge, die Stadt wieder einzunehmen. Wir schwebten daher zwischen Furcht und Hoffnung, als wenige Tage nachher die Schlacht bei Pultusk war. Mit welchen Empfindungen hören wir daher den Kanonendonner, welcher immer schwächer wurde, woraus wir entnehmen konnten, dass die Franzosen Sieger waren. Für das Vaterland schrecklich, aber für unsere persönliche Sicherheit in diesem Augenblick wohl besser, denn wir Preußen hätten doch mitleiden müssen, wenn die Russen Warschau nahmen. Es war eine furchtbare Nacht, der Regen floss in Strömen und man wusste nicht, was man fürchten oder hoffen sollte.

(Fortsetzung folgt)

Von Posen nach Warschau 1806

2. Teil der Erinnerungen Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben

1806

Wir machten nun schleunigst Anstalten, alles in Posen zu verkaufen, um uns auf den Weg machen zu können. Es war uns geraten worden, dies zu tun, weil wir uns in Warschau weit bessere Möbel werden anschaffen können. Nur meine Forte Piano, mein treuer Begleiter, und in einsamen Stunden mein liebster Zeitvertreib, wurde mitgenommen. Mein Mann kaufte einen recht bequemen Wagen und so traten wir in den ersten Tagen im April des verhängnisvollen Jahres 1806 unsere Reise an.

Die ganze Natur war noch tot, die Gegend zwischen Posen und Warschau hatte nichts Anziehendes, und ich hatte auch wahrlich auf dieser Reise nur Sinn für mein liebes Kindchen, denn ich war sehr besorgt, dass eine solche Reise in so rauer Jahreszeit bei dem zarten Alter der Kleinen nachteilig werden könnte. Ich war so glücklich, mein liebes Kindchen selbst nähren zu können, und die Reise griff mich so wenig an, dass meine liebe Luise recht gut dabei gedieh.

Beschwerlich war indessen doch die Reise, denn zu damaliger Zeit waren die Wirtshäuser in Polen noch sehr schlecht und der Reisende, welcher keine Betten bei sich hatte, musste sich ohne dieselben behelfen. Wir waren damit versehen und so ging es schon, doch eine Nacht ist mir noch in lebhafter Erinnerung. Ich weiss nicht mehr, wie der Ort hiess, da mussten wir unser Nachtlager in einem grossen Stall aufschlagen, welcher keinen Ofen, sondern nur einen Kamin hatte. Wir liessen sogleich ein helles Feuer anzünden, dennoch war eine Eiseskälte in dem grossen Raum und so geschah es denn, dass meine liebe Luise, welche mit ihrem Bettchen in einem Backtrog war gebettet worden, aller Vorsicht ungeachtet, in der Nacht den einen Zeigefinger erfror.

In Warschau angelangt, fand ich unsere Wohnung – wir hatten dort freie Wohnung – so unwirtlich und ausgekältet, dass wir beschlossen, die ersten Tage in einem Wirtshaus zuzubringen. Die allernotwendigsten Möbel, nämlich einen Tisch und Bettstellen hatte ein Bekannter meines Mannes uns schon vorher besorgt. Die übrigen Möbel wollten wir uns nun in einem Möbelmagazin, deren es recht bedeutende in Warschau gab, anschaffen, aber wir fanden sie so übermäßig teuer, dass wir den Gedanken aufgaben. So sollten wir z. B. für einen Mahagoni Sekretär 90 Dukaten bezahlen. Wir behalfen uns daher für den Anfang mit einigen gemieteten Möbeln und ließen uns in der Folge einige Sachen zu Wasser aus Berlin kommen. Nach wenigen Tagen waren wir in unserer eigenen Wohnung eingerichtet. Mein lieber Mann hatte in Warschau sehr viel zu tun und ich lebte meist still und häuslich mit meinem lieben Kindchen, welches wirklich meine Welt war. Eine sehr liebe Freundin erwarb ich mir an der Mitbewohnerin unseres Hauses, der Frau Geheimrat Kosioroftka, welche unendlich gütig zu mir war und deren Andenken mir immer teuer bleiben wird. Da wir glaubten, eine Reihe von Jahren in Warschau zu bleiben, so beeilte ich mich nicht sehr, Warschau und die Umgegend kennen zu lernen. Dennoch habe ich einige Lustschlösser gesehen und mich daran erfreut. Lagienki, das Lustschloß des letzten polnischen Königs, war ein entzückender Aufenthalt, es liegt noch in den Umgegenden von Warschau und ist in einer öden Gegend aufgebaut, welche die Kunst in einen köstlichen englischen Garten umgeschaffen hat. Außerdem waren wir noch in Mariemont, einem Jagdschloß in einer wilden hügeligen, mit wilden Bäumen bewachsenen Gegend, unweit Warschau. In der Stadt selbst waren noch einige ehemalig fürstliche Gärten, welche recht schön, aber jetzt verödet waren, da ihre Besitzer, seit Warschau preußisch geworden war, dieselben verlassen hatten. Warschau selbst war damals zum Teil sehr schön gebaut, aber neben den schönsten Gebäuden fanden sich oft schlechte Hütten.

Der Sommer verging uns sehr schnell. Im Herbste erfolgte die Kriegserklärung Preussens gegen Frankreich und der Anmarsch aller Truppen. Ein jeder wünschte und erflehte Preussen den Sieg, dennoch hatte mancher bange Ahnungen. Endlich verbreitete sich die Nachricht, es wäre eine grosse Schlacht bei ……… geliefert worden, wo der König allerdings große Verluste gehabt und Prinz Louis Ferdinand geblieben wäre, dennoch hätte Preussen den Sieg davongetragen. Diese Nachricht verbreitete großen Jubel und Freude.

(Fortsetzung folgt)

Franko.folie – Fundstück in 13 Teilen

Vor über 200 Jahren ….   1. Teil der Erinnerungen einer Ur-Ur-Ur-Großmutter –

Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise C a r o l i n e   K i e n i t z, geb.  R a n s l e b e n

Ich verheiratete mich am 12. Februar 1804. Mein Mann war damals Regierungsrath in Posen. Die Reise dorthin sollte mir schon einen kleinen Vorgeschmack geben, dass ich mich nach einem, damals wenigstens, noch etwas unwirtbaren Lande näherte, denn sie hatte mancherlei Beschwerden. – Wir gingen zunächst zu einem Onkel meines Mannes in der Gegend von Frankfurt nach dem Amte Trebasch und hatten die Absicht, 1 oder 2 Tage dort zu bleiben. Aber wir wurden gezwungen, 8 Tage da zu bleiben, denn es fiel eine solche Masse Schnee, dass kein Weg noch Steg zu finden war. Endlich konnten wir unsere Reise fortsetzen, aber wir waren mehrere Male in Gefahr umzuwerfen, und ich erinnere mich, dass mein Mann und der Bediente mich durch den Schnee zu einem Hügel tragen mussten, um dann mit Hilfe des Postillions den Wagen wieder in Bewegung zu bringen. Je näher wir Posen kamen, je schlechter wurden die Wirtshäuser und in dem einen  mussten wir eine schlechte Feldbettstelle und eine Gartenbank zusammensetzen, um für diese Nacht ein erträgliches Lager zu gewinnen. Posen liegt in einer flachen Gegend, wo die Natur gar nichts und die Kunst – wenigstens damals – weniger oder gar nichts getan hatte.

Ich war nie aus dem elterlichen Hause gewesen, habe mithin wenig Gelegenheit gehabt, mir Menschenkenntnis zu erwerben; ich war im Gegenteil verwöhnt, denn alles war mir immer freundlich entgegen gekommen. Daher kamen mir auch die meisten Menschen, welche ich hier zuerst kennen lernte, unerträglich vor, später habe ich wohl eingesehen, dass ich unrecht hatte. Später habe ich auch hier Freundlichkeit und Teilnahme gefunden, vorzüglich kann ich es nicht unterlassen, der Familie des damaligen Ober Acziserath Rothe zu erwähnen, wo ich so gütig aufgenommen wurde, dass die Erinnerung daran meinem dankbaren Herzen noch immer ein angenehmes Gefühl gewahrt. Auch konnte ich nicht unterlassen, den ersten Abend, welchen ich dort verlebte, mit Freudigkeit auszurufen: Ach, das war ein wahrhaft berlinscher Abend. Die freundliche Wirtin war so gütig, mir zu sagen, ich möchte mir doch oft solche Abende verschaffen. So lange ich in Posen blieb, ist die Familie sich immer gleich geblieben.

Von meinem ganzen Aufenthalt in Posen kann ich nur wenig sagen. Kartenspielen war dort damals fast das Einzige, wofür die meisten Männer Sinn hatten, und die einzige Unterhaltung in allen Gesellschaften, ich kannte damals kaum die Karten, auch war es nicht Sitte, dass die Frauen spielten, daher war ich am liebsten zu Haus. Wie sehr gewann aber mein häusliches Leben an Interesse, als mir der Himmel am 18. November 1805 mein erstes Kind, meine geliebte Luise schenkte. Von dieser Zeit bin ich in Posen fast gar nicht mehr ausgegangen, auch blieb ich nicht mehr lange dort. Schon vor der Geburt unseres Kindes hatte mein Vater meinem Mann geschrieben, dass er ihm eine Stelle in Warschau verschaffen könnte, wo er sich um vieles besser  als in Posen stehen würde. Man fürchtete damals einen Krieg mit Russland, ja das Militär, welches zu dieser Zeit in Posen stand, war sogar schon ausgerückt und hatte die Grenze besetzt. Mein Mann, welcher fürchtete, er könne Weib und Kind dem Kriegsschauplatze möglicherweise näher bringen, schlug daher die Versetzung aus. Im März 1806 schrieb mein Vater aufs Neue, die Stelle in Warschau sei noch unbesetzt und da während der Zeit ein Freundschaftsbündnis zwischen Russland und Preussen gestiftet war, so nahm mein Mann mit Freuden die Stelle in Wahrschau an. – Wie kurzsichtig ist doch der Mensch! Wer hätte damals denken sollen, nicht die Russen, sondern die Franzosen sollten uns aus Warschau vertreiben. –

(Fortsetzung folgt)

Trauer und Ungemach

Für die Kelten war die Taube ein Trauervogel, ihr Ruf ein Klageschrei. Die Taube ein Leichenvogel, dessen Schnabel dort hinzeigte, wo ein Verwandter oder Freund im Krieg gestorben war. Die Langobarden errichteten für einen Toten Pfeiler mit Holztauben an der Spitze, die mit dem Schnabel auf das Grab zeigten.

An der Außenmauer des Südfriedhofs legt die Stadtführerin eine Rose am Grab der 12-jährigen Johanne Duvigneau ab. Sie starb 1873 an Cholera und durfte deswegen nicht im Inneren des Friedhofs beerdigt werden. Und so liegt in Stein gehauen ein Mädchen unter einer Rose.

Das Mädchen entstammt einer ehrwürdigen Magdeburger Familie, deren Vorfahren reformierten Glaubens aus Südfrankreich geflohen waren. Von den Bäumen her blicken scheu zwei Ringeltauben – sind über sommers nur in Magdeburg, im Herbst fliegen sie nach Frankreich zurück, wo sie überwintern.

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Diese sagenhafte Abwesenheit von Empathie nennt die Kolumnistin Mely Kiyak vom  Berliner Maxim Gorki Theater die Einstellung unserer Bevölkerung und Politiker zu den Flüchtlingen heute.

Wetter

Regentage spielen heute in der Kinderliteratur so gut wie keine Rolle mehr, anders als vor vielen Jahren noch, da Kinder von ihren Erwachsenen noch nicht verkabelt worden waren. Ein Kinderroman konnte mit einem Abenteuer an einem Regentag beginnen, wenn die Kinder nicht draußen spielen konnten und sich etwas einfallen lassen mussten, wollten sie sich nicht unendlich langweilen. Auf iks Ideen kam man an Regentagen.

Man wartete auf das Ende des Regens, man malte auf beschlagenen Fensterscheiben.

Draußen spielen hieß herumstromern, die Gegend erkunden, Spiele mit vielen anderen Kindern, Schaukelwettkämpfe, Verfolgungsjagden – aus der Zeit vor gut 40 Jahren stammt das Baustellenschild: Eltern haften für ihre Kinder.

Regentage waren Tage, die man überstehen musste – was tun, wenn man zu Hause am Fenster stand und sehnsüchtig hinausschaute? Es gab Spielesammlungen, Rätselbücher, Fischertechnik, Ankerbausätze und Lego, nicht nur zum nach Anleitung zusammenbauen und dann so lassen, weil man es sonst nie wieder zusammenbekommt…  Es gab Anleitungen zum Überstehen von Regentagen in Zeitschriften.

Vor Jahren hieß es nur: Es regnet.

Heute, da Kinder wie auch viele Erwachsene mehr Zeit im Innern von Gebäuden verbringen als früher, sagt man: Es regnet draußen.

Am anderen Ort eben, da draußen. Manche stehen sogar auf der Straße, draußen, über sich nichts als Himmel, und sagen: Es regnet draußen. Wo kann das sein?

Gespräche

Zwei Menschen:

Hei.

Hallo.

Na?

Na?

Was machstn?

Nix.

Was wolln wirn machen?

Weiß nicht. Kein’ Plan.

Hm.

 

Menschen sprechen viel. Und glauben, nur sie könnten sich komplex unterhalten. Über  Zukunft und Vergangenheit undsoweiter.

Sogar geflügelte Worte haben sie: „Der Magdeburger an sich ist ein wenig grob, aber er meint das auch so …“

Urs und Ulf haben schlechte Laune. Ulf, weil Gudrun von Rudi nicht lässt, obwohl er ihn doch verjagt geglaubt hatte und Urs gesagt hatte: Liebe kann man eben nicht zwingen. Da war Ulf sauer auf Urs und Urs sauer auf Ulf, weil der sauer auf ihn war. Sie hatten es mal gemütlich auf dem Dachboden, aber nun sind sie längst rausgeputzt und die Fenster nicht mehr zugänglich – nirgends kommt man mehr rein. Im Breiten Weg und hinter dem Hasselbachplatz in der Sternstraße hat der Himmel sich Platz zurückerobert und reicht wieder bis auf den Erdboden, bis auf seinen angestammten Horizont.

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Häuser weg und was denken die sich, wo wir wohnen?

An welchem Wort sollen denn da die Flügel dran sein?

Wahrscheinlich bei „ein wenig“.

Ha ha ha, fliegt ein wenig, stürzt grob ab.

 

Nicht, dass Urs und Ulf getrunken haben – weil sie zwar lachen, aber sich selbst nicht witzig finden – saufen tun nur die Wespen und die Fruchtfliegen. Wer die frisst, wird sekundär besoffen wie von Mon Chéri.

Jetzt müssen sie gleich weiter, Kleine füttern. Oder Weibchen beim Brüten ablösen. Und wenn sie auf den Eiern sitzen, können sie richtig eklig rufen. So ein schnarrendes metallenes Geräusch, es gruselt einen, man will da gar nicht in der Nähe sein, macht mir Gänsehaut. Soll ja auch niemand zu nah kommen. Die Krähen nehmen lieber die Singvögel.

Die denken, wir können uns nicht unterhalten.

Und was reden sie?

Die sagen nur rhabarber rhabarber otto motto toto lotto bla bla … weiter kaum was – die können so differenziert wie wir nicht sprechen.

Vielleicht ist ihr Gehirn zu groß.

Hm.

Sie rufen nur immer was auf. Und das ganz stumm, sind nur Zeichen auf dem Fenster, durch das man nicht durchgucken kann. Hören tut man nix.

Na ja, eben doch bisschen beschränkt.

Und denken, sie wüssten was über uns, die Dummen.

Aus dem Fenster (Wikipedia): Das von beiden Geschlechtern geäußerte Gurren ist sehr variabel und klingt etwa wie „gúrr“ oder „guu-ru-gu.“

Das Männchen balzt mit einem tiefen, kollerndem „gang-grrru-guruú-u“, das mitunter gleichförmig aneinandergereiht wird. Beim ersten Teil dieses Motivs verbeugt er sich, beim letzten richtet er sich wieder auf.

Am Nest wird ein langgezogener Ruf in Wiederholung geäußert, etwa wie „ruh“.

Der Warnruf ist ein kurzes, einsilbig betontes „hu“.

Zur Verständigung untereinander werden auch andere Laute benutzt. Mit dem Kropf werden laute oder leise Klack-Geräusche erzeugt.

Durch Zittern reiben die Federn aneinander und erzeugen ein raschelndes Geräusch. Während des Balzfluges wird mehrmals schnell mit den Flügeln geklatscht, was auch der Reviermarkierung dient.

Die Jungen betteln mit hellen Fiep-Tönen während des Fütterns.

Alle Vögel fliegen hoch

Flugzeuge fliegen höher als Tauben. Rote Milane auch. Von Afrika kamen sie im April an die Elbe zurück, im März war noch Friede in den Lüften. Die Milane wohnen vielleicht in der Gegend vom Herrenkrug auf den hohen alten Bäumen am Ufer, deren Wurzeln unterspült wurden vom Hochwasser. Aber die Alten wurzeln tief, mindestens so tief wie sie hoch sind, und so ein Wasser kann sie so schnell nicht umwerfen. Oben in den Ästen hängen noch in braunen Bündeln die trockenen Gräser und das Schilf vom letzten Jahr. Und darin dies und das, Schnüre von Booten, Plastikteile von Toilettengeruchsaufbesserungsbehältern, eine Gabel, die Pfote eines Kuscheltiers.

Rudi und Gudrun, Urs, die schöne Ulla und alle anderen verlassen ihre Gegend kaum und fliegen meist in Paaren. Rudi, Gudrun und Urs fast immer zu dritt, die beiden sind ewig Rivalen. Aber Rudi ist fescher. Sie fliegen und schauen, ruhen und picken und ihr Dorf ist der Hof. Wenn aber die roten Milane auf der Jagd sind und über den Straßen und Höfen und dem Kaufhaus kreisen, dann wird plötzlich alles still in der Luft. Die Tauben halten sich auf Simsen dicht an der Hauswand und wenn sie fliegen, dann hin und her in großen Schwärmen, um die Johanniskirche und fern von ihren Nestern. Erhoffte Gefahrenabwehr durch Zusammentun im Schwarm der eigenen Art – kennt man von Menschen. Drei Milane sah ich, einer übergab dem anderen ein Beutestück hoch in der Luft, von Klauen zu Klauen im Flug die Beute sichern. Bring die mal nach Hause, hieß das vielleicht, denn zwei flogen davon, aber der große Milan blieb am Innenstadthimmel. Und nur die Krähen wehren sich, immer zu dritt fliegen sie von unten an den großen Milan heran, eine zum Schwanz, zwei rechts und links an den Flügeln. Bis er genervt abdreht, zur Elbe zurück.

Dann über den großen Bäumen am Ulrichplatz wieder Singvögel, die nach derselben Methode die Krähen verjagen, die an ihre Nester und die Jungen wollen. Nur die Tauben halten sich raus. Krähen und Tauben sitzen voneinander unbehelligt nebeneinander auf der Balustrade. Die Tauben schläfrig, die Krähen wie auf Wache, ruckartig alle paar Sekunden in alle Richtungen schauend den Luftraum kontrollierend.roter milan

Fundstück: Der Ornithologische Beobachter

Monatsberichte für Vogelkunde und Vogelschutz.
Offizielles Organ der Schweizerischen Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz.
Redaktion für den deutschen Teil: Albert Hess in Bern.
XX. Jahrgang 1922 23.
Der Wachtelkönig schnarrt in strengem 3/4 -Takt; ebenso singt der Stockerpel sein räräb, singen Rabenkrähe, Saatkrähe, Perlhuhn — und der Kuckuck: denn sein guguk mit Pausen ist klar ersichtlich die Art des Wiesenschnarrers. Der Daktylus der Wachtel kommt vor auch im Lied der Turteltaube. Die Melodielinie und der Rhythmus des Hohltaubenrucksens kehrt verblüffend genau wieder im Trillerlied des Grossen Brachers.

Vom bernischen Seeland.
Am 17. Dezember 1922 (Sonntag) sang inmitten einer wunderschönen Biechtlandschaft eine Amsel leise in einer „Thuja“. Nachmittags jagte ein Wanderfalk beim Bahnhof nach Haustauben und verfolgte sie bis ins Städtchen hinein.

 

 

Mir ist warm

Mir ist warm, sagt eine Frau aus dem Schatten heraus zu einem Mann, der mit hochrotem Kopf gemütlich zurückgelehnt in der prallen Sonne sitzt. Vielleicht platzt er gleich vor Überhitzung.

Musst du dich abkühlen.

Wie denn? Bei mir drin ist 31,6! In der Wohnstube 31,6.

Die Tauben sitzen auf den Dächern oder in den Bäumen wie immer. Ich guck mal In den Meerwellen. Was das für eine Straße ist, vielleicht ist’s kühler dort?

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Aber nichts ist mit Wasser in der Straße, keine Spur von Meer, nicht einmal eine Kurve, die als Welle hätte gedeutet werden können, eine kurze schnurgerade unspektakuläre Straße. Warum heißt sie so? Immerhin wohnt eine schneeweiße Taube dort. Vielleicht eine von einer Hochzeitsfeier nicht zum Taubenschlag zurückgekehrte.

Auch in Kasachstan lassen manche Brautpaare bei der Hochzeit Tauben fliegen. Zum Vergnügen halten sich manche Männer Tauben auf den Dächern von Wohnhäusern. Ihre Tauben hören auf ihren besonderen Pfiff und kommen angeflogen, sobald sie ihn hören. Bei einer Hochzeit kostet eine Taube 1000 Tenge, meistens werden mindestens zwei losgelassen, also 2000 Tenge. Sie fliegen hoch, etwas abseits pfeift der Besitzer – seine Tauben fliegen zu ihm, er sammelt sie wieder ein und bringt sie nach Haus.

Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen, der sammelt sie ein, der trägt sie heim und der Kleine isst sie alle auf. Alles aus einer Hand. Am Besten Taubenzucht und Hochzeitsfotos zusammen. Heiraten manche vielleicht wegen der Fotos? Weiße Tauben gelten als Symbol für Frieden, Liebe, Hoffnung und Glück. Tauben bleiben sich treu bis an ihr Lebensende. Außer Gudrun.

Preise hier zum Beipiel:

– 8 weiße Hochzeitstauben aus der Kiste + 2 für das Brautpaar (aus der Hand) : 90 €

– 10 weiße Hochzeitstauben + 2 für das Brautpaar (aus der Hand) : 100 €

– 14 weiße Hochzeitstauben + 2 für das Brautpaar (aus der Hand) : 120 €

(auch möglich: alle Tauben aus der Kiste oder gern auch mehrere Tauben aus der Hand)

Bei ungeeignetem Wetter lässt man die Tauben nicht aufsteigen. Ungeeignet sind Sturm, Regen oder Nebel, sowie Temperaturen unter 0°C sowie über 35°C. Also heute, wenn schon in der Wohnstube 31,6.

Was tut man später eigentlich mit den Hochzeitsfotos, wenn der Mann das Taubengitter über den Balkon spannt und die Frau ein Nest am Badfenster zerstört und die Taubeneier auf die Straße wirft? Oder wenn nicht Frieden ist zu Haus?

Zitat eines Taubenzüchters:

Wenn du zu Hause Ärger hast, fährst du in den Garten und guckst dir einfach die Tauben an.

Gibt’s ein Taubenorakel? Auf jeden Fall bedeuten Tauben in der Traumdeutung immer etwas:

Erscheint Ihnen eine Brieftaube, erhalten Sie eine erfreuliche Neuigkeit oder Sie haben eine Glückssträhne im Spiel. Sieht der Träumende eine fliegende weiße Taube, haben Sie Glück und Erfolg in Unternehmungen.

Tauben im Traum sollen auch erotisches Symbol für das Sanfte, Weiche, das sich schnäbelnd Vereinigende sein. Aber in Indien bedeutet schnäbeln sehen: Glaube deinen Freunden nicht alles, sie wollen dich zum Besten halten.

Da es den Tauben heute zu heiß ist und sie ohnehin immer früh schlafen gehen, singt bei mir auf der Balustrade eine Amsel wunderschön den Regen herbei.

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Sie sehen uns

Ein Mann ging die Straße entlang und nickte bei jedem Schritt mit dem Kopf wie ein Vogel. Der Kopf blieb bei einem Schritt zurück, beim nächsten kam er vor. Sieht er 340 Grad wie die Tauben? Sie können ihre Augäpfel nicht so schnell bewegen wie sie gehen. Sie bekommen ein scharfes Bild, wenn der Kopf bei jedem Schritt einen Augenblick still hält. Bei einem Schritt schnellt er nach vorn, beim nächsten Schritt bleibt er zurück, dann wieder nach vorn und die ganze Umgebung wird scharf.

auge in der stadtÜber 35 Meter weit können Tauben scharf sehen, auch die Kleinigkeiten erkennen sie genau. Wenn ich also auf dem Ulrichplatz draußen im Café sitze, sitzt die schöne Ulla auf dem Dach und sieht, was sich auf meinem Teller befindet. Rudi auf dem Fensterbrett guckt einmal herum und weiß, was im Zimmer liegt und steht. Und schon aus der Luft, beim Anflug auf die Balustrade, wissen sie, was ich frühstücke. Sie können alle Farben sehen, außerdem ultraviolettes Licht (was ist das überhaupt?, fragt der nicht sehende Mensch) und die Magnetfelder der  Erde. Und die Krümel zwischen den Stühlen der Cafés, sofern keine Wolke und kein Tisch die Sicht versperrt.

Tauben unterscheiden Menschen voneinander und erkennen sie noch mindestens drei Jahre wieder, auch auf Fotos oder wenn sie anders gekleidet sind. Tauben wissen Bescheid über uns. Wir aber nicht über sie. Was denken sie, was sprechen sie? Haben sie eine Überlieferung?

 ulla