Halberstadt – eine andere Dinastie

6. Teil der Erinnerungen der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben

Februar/März 1808

Wenngleich wir für den Augenblick geborgen waren, so befand mein lieber Mann sich doch in einer unangenehmen Lage. Ohne Beschäftigung, ohne Aussicht für Frau und Kinder wirken zu können, war er sehr niedergeschlagen, da trug ihn mein Vater, der damals, in Abwesenheit des Ministers, welcher mit dem König fort war, Chef des Finanz Ministerio war und konnte daher meinem Manne eine Stelle als Justitiarius bei der damaligen Kammer vorschlagen. Mein Mann nahm dieses Anerbieten mit Freuden an, obgleich diese Stelle den dritten Teil eintrug, von dem was mein Mann in Warschau gehabt hatte, so war es doch wieder eine Anstellung und man musste es der Zukunft überlassen, ob es sich wieder einmal besser für uns gestalten würde.

Im April ging mein Mann nach Halberstadt ab. Da wir nun aber da weder Wohnung noch Möbel, noch Hausrat hatten und ich binnen kurzem meiner Niederkunft entgegensah, so blieb ich bei meinem Vater und mein Mann mietete so lange Chambre garnie. Am 3. Juni wurde meine liebe Auguste geboren. Sechs Wochen darauf kam mein Mann zur Taufe und holte mich und die beiden Kinder ab. Wir waren froh, wieder vereint zu sein und machten uns vergnügt und guter Dinge auf den Weg. Damals reiste man noch nicht so schnell wie jetzt, auch wollte mein Mann um meinetwillen nur kleine Tagesreisen machen. Wir blieben daher die erste Nacht in Brandenburg, wo der Wirt des Hauses wohnte, welches mein Mann in Halberstadt gemietet hatte. Dieser, ein Doktor, kam, sobald er unsere Ankunft erfahren hatte, zu uns, um noch manches mit uns zu besprechen. Von diesem erfuhren wir nun aber auch, dass Halberstadt an Frankreich abgetreten war. Napoleon hatte für seinen jüngeren Bruder Jerome ein neues Königreich unter dem Namen Westphalen creirt, und diesem war Halberstadt einverleibt. Diese Nachricht war ein Donnerschlag für uns, denn nun waren wir ganz vom Vaterland geschieden und gehörten einer anderen Dinastie an und zwar der französischen, welche damals so schrecklich verhasst war. Indessen, was war zu machen, mein Mann hatte einen Posten zu verwalten und Frau und Kinder zu ernähren, wir mussten uns also unserem Schicksal ergeben und unsere Reise mit unseren kleinen Wesen fortsetzen.

In Halberstadt wurden wir freundlich aufgenommen. Unsere Vicewirtin, eine alte Jungfer, hatte ein ganzes Mittagbrot für uns bereitet. – Da unsere Zukunft sehr ungewiss war, so wollten wir uns nur so wenig wie möglich anschaffen. Ein Sopha, einen Schreibtisch für meinen Mann und ein paar Kommoden wurden gemietet. Die aller gewöhnlichsten Bettstellen, einige Stühle und ein paar Tische war alles, was wir besaßen. Dieser Beschränkung ungeachtet, bin ich in Halberstadt sehr vergnügt gewesen. Die Halberstädter sind ein guter Schlag Menschen und alle, die wir kennen lernten, unbeschreiblich gütig und freundlich zu uns. Wir konnten natürlich keinen Menschen bei uns sehen, aber es hätte nur von mir abgehangen, jeden Tag aus zu sein, so viel wurde ich gebeten. Das war nun aber meine Sache nicht, indessen brachten wir jede Woche einen Abend in dem Hause der Kr. R. Krieger zu, wo viel Musik getrieben wurde. Das waren angenehme Stunden für mich. Die Leutchen waren mit meiner Stimme zufrieden und so wurden viele Sachen, Chöre, Scenen, auch ganze Opernakte einstudiert. Auch mit meiner Wirtin lebte ich im besten Einverständnis, wenn ich einmal bei Tage ausgehen musste (gewöhnlich ging ich nur des Abends fort) sah sie nach meinen Kindern. Und hatte sie einmal etwas Gutes gekocht, so bekam ich gewiss mein Teil davon. Ich hatte damals kein Instrument und konnte daher meine Stimme nur sehr mangelhaft einstudieren. Da kam eines Tages eine Gräfin Alvensleben zu mir, welche mir, da sie auf einige Monate auf ihre Güter zog,  ihren schönen Flügel anbot. Ich konnte mich nicht entschließen, diese Güte anzunehmen aus Furcht, dass er Schaden leiden könnte. Da schickte sie mir wenigstens ein Klavier ins Haus, damit ich nur meine Stimme spielen konnte. Ich führe das nur an, um zu beweisen, wie sehr freundlich und gütig alle Menschen zu uns waren. Auch mit meiner Wirtin lebte ich im besten Einverständnis, wenn ich einmal bei Tage ausgehen musste (gewöhnlich ging ich nur des Abends fort) sah sie nach meinen Kindern. Und hatte sie einmal etwas Gutes gekocht, so bekam ich gewiss mein Teil davon.

So lebten wir zufrieden, wenn auch gleich gedrückt durch die unglückliche Lage des Vaterlandes fort bis zum März 1808. Da bekam mein Mann ein Schreiben vom Staatsrat Biedersee aus Cassel, worin er meinem Mann eine Stelle als Appellations-Richter in Cassel antrug. Biedersee war früher Präsident in Halberstadt gewesen, hatte den Vater als guten Arbeiter kennen gelernt und wünschte daher, ihn dort in Cassel zu haben. Was war nun zu machen. Es war uns ein schrecklicher Gedanke immer entschiedener unter französischer Herrschaft zu stehen und doch hatten wir nichts zu leben. Da schrieb mein Mann meinem Vater und fragte an, ob er eine Aussicht hatte, ihm im Preussischen eine Anstellung zu verschaffen. Doch bevor eine Antwort aus Berlin kam, schrieb B. noch einmal, mein Mann müsste sich augenblicklich entschließen, ob er die Stelle annehmen wollte oder nicht, sonst müsste er sie anderweitig vergeben.

Das war eine große Verlegenheit für meinen lieben Mann, er fragte mich um meine Meinung, aber ich hätte es unrecht gefunden, in einer so wichtigen Sache eine Meinung zu haben, ich erwiderte also, dass er ganz nach seiner Einsicht handeln müsse, versicherte ihm aber, dass ich ihm gern und willig folgen würde, wohin es auch wäre.

(Fortsetzung folgt)

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