Ach, freuen wir UNS einfach darauf

Nun also bekomme ich die Gelegenheit,

Magdeburg durch Nadjas Augen und Sinne zu erleben.

P1120167

TREFFPUNKT GROSSE MÜNZSTRASSE, VOR DEM ANTIKLADEN

28 Grad Celsius plus
Es war ein sommerlich warmer Tag. Höchsttemperatur achtundzwanzig Grad, laut Anzeige im Wagen. Ein roter kleiner Kastenwagen. Nadja sitzt hinten, ich bin Beifahrer. Und los geht es. Einen Weg entlang, Kopfsteinpflaster. In regelmäßigen Abständen Platten ausgelegt. Über Otto III zum Beispiel, 980 geboren, 1002 gestorben, König 983, Kaiser 996, bin hinweggelaufen. Die Strasse hoch, die einmal das kleine Potsdam von Magdeburg werden sollte, schöne Villen für die Wohlhabenden und Stars wie Joop und Jauch. Ein paar werden mir namentlich vorgestellt, die Namen vergesse ich rasch. Ist ja nix daraus geworden. Und eine evangelische Bischöfin oder so hat ihren Wohnsitz hier, die katholische den ihren in St. Sebastian, wo in ein paar Tagen tausendjähriges Bestehen gefeiert wird. Wie heute auf den Tag genau die Kunst vierzig Jahre ein Kirchenobdach gefunden hat. Und von Paderborn gehört, die Partnerstadt ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis nach dem Mauerfall in Berlin. Paderborn, die im Moment darum ringen, in der Bundesliga zu verbleiben. Am Denkmal von Friesen vorbei, auch der ist nur knapp dreißig Jahre geworden. Zum Palais am Fürstenwall. Ein schöner Bau. Soll ja innen von Herrlichkeit strotzen. Muss ich mir unbedingt ansehen. Ohne geht bei mir nicht. Zurück durch den Park zum Denkmal für Sinti und Roma, gibt es nicht so oft in Deutschland.

Erna Lauenburger ist von Ede die Unku.
Einige werden sich erinnern. Das war jedenfalls Nadjas wie mein Jugendroman, geschrieben von Grete Weiskopf, die sonst unter dem Pseudonym Alex Wedding veröffentlichte. Unku war eine Magdeburgerin. John Heartfield hat für die Erstausgabe ein paar Fotos beigesteuert. Das Buch landete bei der Bücherverbrennung 1933 auf dem Feuerhaufen. In der DDR wurde es in der Schule Pflichtliteratur. Die Erlebnisse von Erna Lauenburger, so der Name der Magdeburgerin, fanden in das Buch Eingang. Erna wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Von den im Buch auftauchenden Sinti überlebte am Ende nur die Berlinerin „Kaula“ Ansin. Das wusste ich bis heute nicht. Vom Berliner Malik-Verlag habe ich schon gehört und dass Ede mutig war, als er das Zigeunermädchen Unku liebte. In Berlin-Friedrichshain gibt es einen kleinen Weg, der Ede-und-Unku-Weg genannt wird. Das Magdeburger Denkmal besteht aus zwei Teilen, einem längeren Block, der schräg auf einem Stahldreieck liegt. Ein kürzeres Teil steht etwas entfernt wie abgebrochen als Stumpf. Man könnte umgekehrt auch meinen, dieses kleine Stück würde einmal Stamm gewesen sein und der lange Block wäre vielleicht weggebrochen. Ein junger mann, den ich vorher schon an anderer Stelle gesehen habe, steht lange und andächtig davor. Man könnte meinen, auch er ergründet die tiefere Symbolik des Werkes. So wie er sich am Kinn kratzt.

Es gibt keine Zufälle
Wir unterhalten uns munter. Darüber, dass wohl Büttel in Magdeburg das sein könnte, was in Berlin Eisbein mit oder ohne Sauerkraut geschimpft wird. Und dass vor ein paar Jahren einem Arbeiter ein Werkzeug aus dessen Händen geriet, wegfiel, in ein Loch hineinrutschte, das Loch mündete in einen Schacht. Sie begannen erst nach dem Werkzeug zu buddeln und stießen dann auf Dachzinnen. Und später legten sie Mauern, Türme frei. Und nun kann man sich das alles als Ausgrabung ansehen. Ein tiefer Blick hinein. Soll schön sein, hier Konzerte zu veranstalten, Musik zu hören. Aber so richtig zum Erlebnisort für Touristen ist diese Entdeckung, freigeschaufelt und wieder zugänglich gemacht, noch nicht gereift. Ein Idee muss her, wie man mehr Aufmerksamkeit für ihn auslöst. Ein Mann fragt Nadja zum Beispiel, was das wäre. Und ich spitze die Ohren und erfahre es mit ihm. Das legt sofort das Manko dieser Stätte klar. Man steht davor und weiß nichts und muss andere Leute dazu befragen. Dass Nadja zufällig Stadterklärerin aus Leidenschaft ist, konnte der Mann ja nicht wissen. Nun denkt er, alle Magdeburger wüsste so gut wie Nadja Bescheid. Eins aber ist damit wieder einmal bewiesen: Zufälle gibt es nicht, nur Reinfälle.

Igitt, weg damit
Hermann Eggert, 1844 in Burg bei Magdeburg geboren, 12. März 1920 in Weimar gestorben. Architekt, frühreif, genial. Schon in jungen Jahren mit Auszeichnungen bedacht für allerdings immer wieder nur Entwürfe, die jedoch nicht umgesetzt wurden. Steht für Sakralbauten in Hannover, der Meister, in Berlin, Straßburg und Frankfurt. Wir kennen von ihm den Ernst-Moritz-Arndt-Turm auf der Insel Rügen, die Sternwarte der Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg, den Hauptbahnhof Frankfurt am Main, sowie in Altona, 1978 abgerissen. Man kennt den Bismarckturm in Burg bei Magdeburg, auf dem Haug’schen Windmühlenberg und die Sternwarte in Babelsberg, wenn wir das alles überhaupt kennen? Aber irgendwie hat er in Magdeburg nichts zustande gebracht, für die Stadt entworfen, nichts eingerührt und umgesetzt, so gar nix geschaffen, was für ihn stehen würde. Aus Scham und wohl auch weil es ihm bewusst wurde, schenkte er Magdeburg ein Kriegerdenkmal. I gitt riefen die Magdeburger, ist das hässlich, so etwas wollen wir nicht, weg damit oder zumindest zuwachsen lassen. Es überlebte und ist wirklich nicht schön anzusehen. Nur wenn man die Spitze von dem Monstrum vor Augen hat und sie mit den Spitzen auf dem Dom gleichsetzt, ahnt man, was sich der Meister dabei gedacht hat, dass er da eine Art Geschwisterchen im Aussehen schuf. Da sind Ede und Unku aber deutlich besser bedacht worden.

Tomaten und faule Eier für Hitler
Der wollte von oben herab auf den Bahndamm sehen und Parade abnehmen. Man hatte für ihn schon einmal eine entsprechende Bühne gebastelt, so mit dicken, eckigen Säulen und Feuerschalen obenauf und hässliche Kunst überall und einen extra Ausschnitt in die Ummauerung eingelassen für den Mann, wo er sich hinstellen und auslassen kann und all seine eingeübten Posen vorführen. Nur wurde daraus nix, weil man den Adolf mit Tomaten und Eiern beworfen hat und er daraufhin nix mehr mit Magdeburg am Hut gehabt hat ein für allemal. Herrliches Magdeburg. Was für eine Zivilcourage. Grandioser Einzelfall in Deutschland um diese Zeit, dass eine ganze Stadt sich so früh und mutig gegen den Hitler ausgesprochen hat. Hätte das nicht Schule machen können in ganz Deutschland? Es wäre der Menschheit viel Verlust und Leid und Krieg erspart geblieben. So ist da die Kaiser-Rampe zu sehen, ein paar Gleise von den einstmals den ersten drei Bahnstrecken, die von Magdeburg nach Halberstadt und Leipzig. Potsdam und Berlin führten. Historisch eine Sensation. Ach, Magdeburg, hier ging die Bahn aber so richtig ab, Kinder, volle Kanne unter Dampf.

Hafenbecken
Und dann geht es ratzbatz: Ein weiterer Park. Schlossansicht von hinten. Viele Magdeburger wissen nix von diesem Schloss, so schlicht sieht das gelbliche Haus aus, das architektonische Mauerblümchen. Ältestes Fachwerkhaus der Stadt, Jahreszahl 1525, übern Daumen gepeilt also bald fünfhundert Jahre her. Die Domtürme, sollten einmal vier werden, wurden es aber nie. Kiek in de Köck. Das klingt wie Plattdeutsch Guck in die Küche und bedeutet das auch. Und dann wird das Theater erwähnt, irgendetwas mit An der Angel oder so, wo auch die berühmte Karschin gewesen ist, die erste Schriftstellerin Deutschlands, die damit ihren Unterhalt verdiente. Und ab geht es zum Hafen, wo nicht viele Schiffe schlafen. Ein grosses Becken, viel hohe Speichergebäude, Gleise und alte Loks, so gar ein MITROPA-Opa mit Speisewagen hinten dran. Und Kaffee wurde hier geröstet, so gar eine Umlüftung im Wirbelschichtverfahren für die Bohnen, die hier klamm und feuchter waren vom Magdeburger Klima, gab es hier, weltweit als Patent in die Welt verkauft. Nach Kaffee aber riecht es hier nicht. Nur zwei Namen erinnere ich noch dunkel: Mona und Rondo. Obwohl ich ja eher ein Teetrinker bin, von Kaffe so gut wie nicht die Bohne Ahnung habe. Und Nadja sagt, dass in Magdeburg auch Gummibärchen hergestellt wurden und Katzen. Die Katzen musste man in den Kühlschrank legen, dass sie schön hart wurden wie ihre Westkollegen und man beim ersten hineinbeißen das kurze schöne Gefühl hatte, Westkätzchen zu essen.

Geburtstag
Nun gibt es Kuchen und Geburtstagswasser mit Zitronenscheiben und Minze verfeinert. Und einen Geburtstagskuchen, dazu Sekt wie es sich gehört und Wasser für alle Kraftfahrer und Antialkoholiker. Und Ines ist die Gastgeberin. Wir sitzen im Freien. Das Geburtstagskind kommt mit Stiefeln bis über die Knie wie der gestiefelte Kater daher, lässt sich beglückwünschen und stellt seinen Reisebus vor. Der hat Ähnlichkeit mit der Serie ORION und heisst deswegen auch so. Drinnen Klappen, Zweittüren, Kühlschrank, Sitzecken und Liegen und lauter Bilder aus Indien. Gurus, schöne Frauen, Farbenpracht, Menschenmassen, der Ganges. Man möchte gar nicht mehr aussteigen, sondern sofort absausen und nach Indien fahren, weil Indien nicht warten soll. So unterhalten wir uns. Und es wird getratscht wie unter Theaterleuten Pflicht.

Comments are closed.