Verfälschung der Geschichte

„Also mögen wir auch die Stadt bewahren vor Leid, Krieg und Ungemach, wenn wir wissen, was früher geschah.“  So lautet übersetzt, was Schöffenschreiber Heinrich von Lammesspringe 1350 in die Schöffenchronik schrieb. Wenn es doch bis heute so wäre, dass Leute, die schreiben, auch wissen oder wissen wollen, was früher geschah. Und es wahrhaftig mitteilen wollen.

Im Einkaufszentrum City Carré steht derzeit die Ausstellung „Illustrierte Geschichte – Gezeichnete Episoden aus 1200 Jahren Magdeburger Stadtgeschichte“. Ich ging daran vorbei und nanu? Der erste Weltkrieg kommt gar nicht vor, die Zeit der Diktatur der Nationalsozialisten kommt gar nicht vor, der 2. Weltkrieg kommt nicht vor. Dazwischen hat Bruno Taut Häuser bunt anmalen lassen und der Breite Weg das Flair einer Metropole verbreitet. 1946 liegt die Stadt plötzlich in Trümmern.

Ich dachte: Aber so was tut man doch nicht mehr. Die Zeiten der Scheinheiligkeit sind doch längst vorbei, als plötzlich niemand ein Nazi gewesen ist, es plötzlich nur Opfer gab und man dachte, durch Schweigen verschwinden unangenehme Sachen irgendwie von selbst. Irrtum.

Wenn ich zugute halte,

dass es sich nur um Episoden der Geschichte handelt…

dass der Platz für Text begrenzt ist…

Wenn ich bedenke,

dass der Manager des Einkaufszentrums die Ausstellung als kindgerecht anpreisen will (weil bunte Bilder da sind?), was sie natürlich kaum ist….

dass alle Macher gut daran verdienen wollen…

Die Ausstellung war schon eine Serie in einem Familienmagazin, das Buch erschien im Verlag des Texters, das Buch wird im Einkaufszentrum und im Buchhandel verkauft, die Ausstellung wurde gesponsert und macht auf fast jeder Stellwand Werbung für das Buch.

Das Einkaufszentrum will Leute anlocken, damit sie dort Geld ausgeben. Dazu dienen die Ausstellungen. Denn das „City Carré Magdeburg“  ist eine Tochtergesellschaft der Wealth Management Capital Holding GmbH mit Sitz in München. Die ist eine Tochter der Hypovereinsbank und für die Immobilienfonds der Bank zuständig.  Die Bank gehört zur italienischen UniCredit Bank, die international agiert. Also muss Geld verdient werden.

Aber trotz all dieser Punkte darf man nicht weglassen, dass Bruno Taut nicht aus Jux und Laune in Istanbul bis zu seinem frühen Tod arbeitete, sondern weil er aus Deutschland fliehen musste. Wo er dort begraben wurde, verschlingt dann aber 5 Zeilen Text.

Das Buch zur Ausstellung enthält einige Episoden mehr als die Ausstellung. Wer hat wohl ausgewählt, welche zehn Tafeln nicht aufgestellt werden?

Im Buch kommt die NS-Diktatur mit dem  Jahr 1945 vor. Aber wie.

In dem Maße, in dem die Arbeitslosigkeit sank, „schien die Bevölkerung dem nationalsozialistischen Regime zu folgen“.

Es ist ziemlich genau erforscht, wie es war, da muss man nicht so munkelig schreiben. Oder hat die Magdeburger Bevölkerung Hitler nur zum Schein gewählt? Ihm nur zum Schein zugejubelt?

Als die Wehrmacht andere europäische Länder und die Sowjetunion angegriffen und überfallen hatte, geschah etwas ganz Merkwürdiges: „So führten viele Länder erbitterten Krieg gegen Deutschland, bis sich dieser Krieg immer mehr gegen Deutschland selbst kehrte.“

Sind die anderen Länder dann doch am Krieg schuld? Deutschland erbittert bekämpfen, warum bloß? Oder ist die ganze Sache mit dem Krieg vielleicht ein Naturereignis, das „dieser Hitler“ in Gang gesetzt hat?

Wenn man wie der Autor Hobbyhistoriker ist, müsste man auch wissen, dass in keinem seriösen Buch mehr der Nazibegriff „Reichskristallnacht“ steht und sich die Historiker seit mindestens 20 Jahren auf den Begriff Pogromnacht verständigt haben.

Und das Ende der Episode?  „am 8. Mai 1945 endete dieser längst verlorene Krieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Es war auch die Befreiung der Deutschen vom Nazi-Terror.“

Nanu?

Also doch die Deutschen alle nur Opfer? Oder haben die Deutschen sich selbst vom Nazi-Terror befreit? Wer war’s denn? Die Deutschen jedenfalls hatten scheinbar mit dem Nazi-Terror nichts zu tun.

War da eigentlich noch was?

Vielleicht eine Mehrheit, die mit dem Regime einverstanden war?

Vielleicht die Denunziation derer, die nicht einverstanden waren, durch ihre Nachbarn oder Arbeitskollegen?

Vielleicht die Ausgrenzung von Tausenden Magdeburgern durch ihre Mitmenschen, weil sie plötzlich eine andere Rasse sein sollten mit all den mörderischen Folgen? Oder eine andere Meinung, einen anderen Glauben, andere Lebensweisen, eine andere Gesundheit hatten als die Mehrheit?

Aus welchen Gründen auch immer die Ausstellung so geworden ist, und wenn es aus naiver Einfalt geschah – diese Darstellung ist einfach ärgerlich, irreführend und sträflich geschichtsverfälschend.

Wer unter den Teppich kehrt oder kehren will, der muss sich nicht wundern, wenn das so Verschwiegene sich monströs auswächst. Aber dann kann man ja immer noch wieder weggucken.

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