Rein in die Leere 3

Heute ist es endlich so weit: ich gehe nicht nur mehr länger in die Leere, ich laufe in sie. Nachdem ich drei Wochen auf der riesigen Dachterrasse meiner Stadtschreiberwohnung trainiert habe, ist es, noch dazu bei einer Außentemperatur von 15 Grad und einem strahlend blauen Himmel, endlich Zeit für einen Lauf unten in der Stadt. 

  Da meine Kondition gerade mal für zwanzig Minuten reicht plus weitere zehn Minuten nach einer Gehpause von drei Minuten, muss ich mir meine Strecke gut überlegen. Oder auch nicht. Und so laufe ich einfach los, nach rechts. 

  Wenn ich als Spaziergänger in diesen Tagen unterwegs bin, habe ich das Gefühl, die halbe Stadt läuft. Heute vormittag dauert es eine knappe Viertelstunde, bis mir im Geschwister-Scholl-Park die erste Läuferin entgegenkommt. Dort bin ich nämlich gelandet, nachdem ich am Ende der  Otto-von-Guericke-Straße zweimal links abgebogen bin. 

  Mein Handy habe ich in der Wohnung gelassen, nicht nur weil es unpraktisch ist, es entweder die ganze Zeit in der Hand zu halten oder es in der Rückentasche meines Läufersweaters hin und her wackeln zu spüren, sondern auch um mich nicht mit Musik berieseln zu lassen. Schließlich habe ich vorher noch in der Läufer-Bibel schlechthin geblättert, nämlich in dem Manifest des großen Langstreckenläufers unter den Schriftstellern, Haruki Murakami: „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede.“ Und da heißt es in Kapitel 1, Seite 26, Vers 21f. „Ich laufe, um Leere zu erlangen.“

  Vielleicht kann ich einfach noch nicht lange genug laufen, denn bei mir will sich keine Leere einstellen, zumindest keine innere. Mein Herz ist voller Freude, dass ich überhaupt wieder laufe, mein Kopf ist manchmal schwer von Gedanken, was alles ich in dieser Stadt machen könnte, wenn es das Virus nicht geben würde, und auch in meinem Magen tummeln sich ein, zwei Toastbrote zu viel, schließlich ist Sonntag, und da kann das Frühstück schon mal etwas üppiger ausfallen. Und auch in der Außenwelt war es schon mal leerer in den letzten Tagen, in der Nähe der Handwerkskammer kommt mir eine vierköpfige Familie auf Fahrrädern entgegen, vor einem Imbiss tragen gleich drei Männer Kartons aus einem Wagen ins Innere, und auf den Bänken im Geschwister-Scholl-Park sitzen Pärchen in der Sonne. 

  Viel zu schnell sind die zwanzig Minuten rum, ich gehe also gemütlich zurück zum Haydnplatz, von wo aus ich dann wieder zurücklaufe in die Otto-von-Guericke-Straße. Klar, dass ich langsamer bin als auf dem Hinweg, auch die Arthrose im rechten Knie sendet verstärkte Signale, und ich wünschte mir jetzt doch einen Song, der mich den letzten Kilometer nach Hause trägt. Aber ich schaffe es auch so. 

  Oben gehe ich erst mal unter die Dusche, bevor ich meine Läufer-Bibel wieder aufschlage. Und siehe da, der Messias unter den Langstreckenläufern ist offenbar doch auch nur ein Menschensohn, jedenfalls bekennt er, dass auch durch seine Leere mitunter Gedanken ziehen, „…denn in den Herzen der Menschen kann es keine wahre Leere geben. Der menschliche Geist ist nicht stark genug, um ein echtes Vakuum zu halten, und auch nicht so konsequent.“ Amen.

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