Rein in die Leere 2

Nein, so habe ich mir das nun auch wieder nicht vorgestellt, als ich vor zwei Wochen – so lange ist das schon her – bei meiner Antrittslesung im Forum Gestaltung den eigens zu diesem Anlass geschriebenen Text „“Rein in die Leere“ vorlas. Um ein Haar hätte ich mich noch zum „Anwalt der Leere“ Magdeburgs erkoren, zum Glück hatte ich diese mir etwas anmaßend erscheinende Formulierung bei der letzten Durchsicht kurz vor der Veranstaltung noch gestrichen. Ich steh ja jetzt schon ziemlich blöd da, zumindest vor mir selber bzw. dem Teil in mir, der immer was zu knurren hat. Und so raunt er mir schon seit Tagen auf meinem allabendlichen Spaziergängen durch die beinahe menschenleere Stadt in schöner Regelmäßigkeit sein neustes Mantra zu: Das haste nun davon. Du mit deiner Leere.

  Ich lasse ihn quatschen, denn Widerspruch hat keinen Zweck, reizt ihn nur zu weiteren Tiraden an, ich kann froh sein, wenn er es bei einem Mantra belässt, und sei es auch noch so gebetsmühlenartig vorgetragen. Dabei hat er durchaus recht, was habe ich mir auch für heute eine – zumindest für die Zeit wischen 18 und 19 Uhr – ganz besonders leere Gegend ausgesucht, nämlich die um die Sankt-Petri-Kirche, die Ökumenischen Höfe und den Wallonerberg. Hier kommt mir wirklich kein einziger Mensch entgegen, nur auf einer Bank hinter der Kirche sehe ich einen Mann auf einer Bank sitzen und höre ihn dann auch husten, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. Ausgerechnet.

  Zur Strafe für meinen Text „Rein in die Leere“, so interpretiert es zumindest mein innerer Knurrhahn, zwitschern die Vögel. Er vergällt mir die Vorboten des Frühlings, bis mir ihr Gesang wie ein Tinnitus vorkommt und ich allen Ernstes denke, es müsste jetzt regnen und stürmen und schneien und hageln, so dass ich auf schnellstem Wege wieder in meine kuschelige Stadtschreiberwohnung flüchte, wo ich mir dann am Besten auch noch die flauschige Bettdecke über den Kopf ziehe. Kontaktsperre am Beginn des Frühlings – kann es etwas Grausameres geben? Für meinen inneren Knurrhahn jedenfalls nicht. 

  Dabei stört mich die Menschenleere im Augenblick eigentlich nicht. Das war in den letzten Tagen nicht immer so, da fand ich sogar noch deutlichere Worte als mein innerer Knurrhahn. Aber jetzt verweile ich vor dem gotischen Bau von Sankt Petri und bedauere, dass die Kirche um diese Zeit geschlossen ist; ich schaue dem Kollegen Stadtschreiber, der als Skulptur mit einer Feder in der Hand vor einem Schreibpult in unmittelbarer Nähe der Kirche kniet, ehrfurchtsvoll über die Schulter und mache sogar ein Foto von dem gelben Bulli des Bonifatiuswerks der Deutschen Katholiken, so als sei auch der eine besondere Sehenswürdigkeit. Mit anderen Worten: ich habe Muße, nehme mir Zeit, auch für das Unscheinbarste. Tauche tief ein in die Leere. Wenn schon, denn schon. 

  Immer wenn ich denke, ich habe mich verlaufen auf meinen Spaziergängen durch Magdeburg, taucht ein Ort auf, den ich bereits kenne. Diesmal ist es die Festung Mark, wo ich meinen zweiten und vorerst letzten Auftritt als Magdeburger Stadtschreiber hatte, bei dem Festival „Magdeburg liest trotzdem“. Das ist jetzt sogar fast auf die Stunde genau zwei Wochen her. Wie die Zeit vergeht. Auch wenn sie sich noch so lange zu dehnen scheint, am Ende ist sie immer um.

  Von derlei schwermütigen und philosophischen Gedanken heimgesucht, biege ich auf die Walter-Rathenau-Straße ein. Auch da bin ich der einzige Mensch um diese Zeit. Erst als ich an der Straßenbahnhaltestelle in der Listemannstraße vorbeikomme, sehe ich wieder einzelne Gestalten in gebührendem Abstand zueinander auf die nächste Tram warten. Und, fragt mich der innere Knurrhahn ein letztes Mal auf seine gewohnt rhetorische Art: ist das jetzt die Leere, von der du geträumt hast? 

  Als ich am Theater vorbeikomme, bedauere ich zum wiederholten Mal, dass ich mir keine Aufführung von Brechts „Mahagonny“ anschauen kann, ich wüsste plötzlich auch gerne, wie das Essen im „Hyko Mizi“ schmeckt oder würde gerne noch eine halbe Stunde in der Thalia-Buchhandlung im Allee-Center stöbern. Da habe ich sie auf einmal, auch ohne inneren Knurrhahn, die absolute Leere, die Leere ohne Fülle, die reine Leere. 

  Wie gut tut es da, dass der Rossmann noch auf hat. Ich kehre ein, obwohl ich nichts brauche, und kaufe mir eine Flasche Wasser, eine Tüte Müsli und eine Packung Tee. Ein klassischer Fall von Frustkauf. Da kann der Tee noch soviel Ingwer und Zitrone beinhalten die ja bekanntlich das in diesen Tagen so wichtige Immunsystem stärken sollen. An Abenden wie diesen kann man sich einfach nicht bescheißen.

  Und so sehe ich zu, dass ich auf schnellstem Wege nach Hause komme. Dahin, wo es wenigstens Internet gibt und damit Serien, Skype und all das digitale Zeugs. Als ich in den Fahrstuhl steige, formt sich der Anfang eines Textes. Dieses Textes. Es scheint, als hätte ich auch aus dieser Leere wieder etwas mitgebracht. Ich verstaue die Einkäufe, wasche mir ausgiebig die Hände und setze mich an den Schreibtisch. Nach einer Stunde lese ich dem inneren Knurrhahn die erste Fassung dieses Textes vor. Na siehste, ruf ich ihm triumphierend zu, auch du und dein destruktives Gequatsche können mich nicht von der Produktion abhalten. Aber er hat nur ein müdes Lächeln für mich übrig. 

  

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