Prediger Provençal aus Magdeburg

8. Teil der Erinnerungen der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben.

In Cassel wurde ich sehr freundlich empfangen, wir wohnten mit einem Herrn B. v. Werder in einem Hause und diese gute Frau hatte nicht allein für uns ein Abendbrot bereitet, sondern auch für meine Kinder und Leute, denn ich brachte die beiden Mägde mit, welche schon in Halberstadt bei uns gedient hatten. Ich gewöhnte mich sehr bald an Cassel. Die Hessen sahen uns Ausländer freilich mit nicht viel freundlicheren Augen an als die Franzosen, aber die vernünftigeren sahen es doch ein, dass wir nicht aus Wahl dorthin gekommen waren und ließen es uns nicht entgelten, im Gegenteil, ich bin nicht allein von Fremden, welche wie wir nach Cassel gekommen waren, sondern auch von Einheimischen freundlich aufgenommen worden und namentlich war ich in der Hassenpflugschen Familie, wo mehrere erwachsene Töchter waren, wie ein Kind zu Hause.

Wenige Tage nach meiner Ankunft waren wir in einer kleinen Gesellschaft bei Werders, wo ein ältlicher Herr mir vorgestellt wurde, welcher mich auf eine so eigentümliche Weise anredete und dessen Lebensgeschichte so viel ungewöhnliches hatte, dass sich wohl hier ein Platz finden kann, zumal, da ich nachher mit seiner Frau und Tochter, welche etwas später wie ich nach Cassel kamen, in sehr freundschaftlichem Verkehr war.

Dieser Herr Provensal, als er mich mit seinen durchdringenden Augen ansah, sagte mir: „Mais mon dieu, Madame, il faut que vous aparteniez a la Famille Humbert, car vous en avez les yeux.“ Als ich ihm sagte, meine Mutter sei eine Humbert gewesen und ich sei eine Berlinerin, begrüßte er mich als seine Landsmännin und wir waren gleich bekannt miteinander, als wenn wir uns seit Jahren kannten.

Provensal war französischer Prediger in Magdeburg, da aber seine Stelle nur schlecht war, so gab er außerdem Stunden. Der damalige Präsident von Bülow wurde als Finanzminister nach Cassel berufen. Da er der französischen Sprache vielleicht nicht ganz mächtig war, so bewirkte er dem P. einen längeren Urlaub aus und nahm ihn mit nach Cassel. B. wohl einsehend, dass P. nicht gut in seine vorherige Stellung zurückkehren konnte, zumal da ihm in der letzten Zeit das Stundengeben schon sauer geworden war, machte ihn zu seinem Generalsekretär. Er hatte ein ganz ansehnliches Gehalt und gefiel sich sehr in Cassel. Weniger war das bei seiner Familie der Fall, namentlich seine Frau konnte Magdeburg nicht vergessen und hasste die Franzosen auf eine solche Weise, dass es ihr schrecklich war, ihre bessere Lage denselben verdanken zu müssen. Sie lebten indessen so ruhig fort bis zum Jahre 1811, wo H. von Bülow vom König Jerome nach Paris geschickt wurde. Die Franzosen am Hofe des Königs hatten schon längst mit Neid die wichtige Stelle des B. durch einen von ihnen besetzt gesehen, beschlossen seine Abwesenheit zu benützen, um ihn zu stürzen. Alle Briefe von dem B. wurden geöffnet, um etwas zu finden, was ihm nachteilig werden konnte. Endlich fanden sie einen Brief des P., worunter dieser geschrieben hatte: Revenez le desir du peuple! Darunter aber schrieb er noch, da es eine Bibelstelle ist: „Souvenez vous que je suis ancien ecclesiastique“. Dieser Brief wurde dem König gebracht und diese unschuldigen Worte auf das gehässigste ausgelegt, als wollte H. v. B. sich beim Volke beliebt machen.

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