Nee nee

4. Teil der Erinnerungen Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben

So rückte denn endlich der Tag unserer Abreise heran. Ich hatte meine ganze Wirtschaft auseinandergesetzt, alle Wäsche, Kleidungsstücke, unser weniges Silberzeug und Betten eingepackt. Alles Übrige mussten wir zurück lassen. Einige Möbel, welche wir vor kurzem aus Berlin hatten kommen lassen, wurden wir noch glücklich für den Preis los, welchen wir gegeben hatten, so dass wir nur die Transportkosten verloren. Aber alles andere mussten wir, wie gesagt, fremden Händen übergeben. Vorzüglich leid getan hat uns ein Servis von englischem Fajanze zu 18 Personen, was wir uns auch erst angeschafft hatten und noch ganz komplett war. – Den Frachtwagen, den wir einnehmen wollten, hatten wir inwendig mit Matten versehen lassen und an den Seiten auch noch Matratzen anbinden lassen. Hinten lagen unsere Betten und in der Mitte standen nebeneinander zwei …<das war nicht zu entziffern> , welche uns zum Sitze dienten. Darüber wurde eine Wolfsdecke gebreitet, welche uns mein Schwager Böse bei unserer Abreise nach Posen geschenkt hatte. Zu unseren Füssen stand die Wiege unserer lieben Luise, welche jeden Abend heruntergenommen wurde, damit unser liebes Kindchen wenigstens immer sein gewohntes Lager hatte. Außerdem nahm ich einen Flaschenkorb mit Wein, Rum, Bouillon und Milch mit, welche letztere ich täglich zu erneuern gedachte, damit meine Luise immer etwas zu trinken hatte. Aber auch meine Vorsicht war vergebens, es fror alles ein, im Wagen konnten wir keinen Gebrauch davon machen.

Endlich am 16. Januar 1807 gegen Mittag traten wir unsere Reise an, von den freundlichen Wünschen der G.R. Kosiorowska begleitet. Gegen Abend kamen wir nach einem kleinen Ort Blogue, 2 oder 3 Meilen von Warschau entfernt. Hier gedachten wir uns durch ein gutes Abendbrot zu stärken, aber wir wurden sehr getäuscht. Man führte uns in einen großen Saal, der von Polen und Deutschen ganz angefüllt war. Als wir Essen verlangten, hieß es, wir müssten warten, bis die Franzosen, welche in einem Nebenzimmer aßen, fertig waren. Endlich bekamen wir eine sehr schlechte dünne Suppe, mehr Wasser als Bouillon mit etwas Fleisch und Semmel darin, wahrscheinlich was die Franzosen übrig gelassen hatten und dann verlängert worden war. Aber wir waren hungrig geworden, also aßen wir es geduldig herunter. Mein guter Mann musste sich nun bequemen, unsere Betten vom Wagen zu holen, davon wurde ein Lager bereitet. In der Mitte erhielt ich einen Platz, auf der einen Seite das Mädchen, auf der anderen mein Mann und zu unseren Füssen die Wiege mit unserem lieben Kinde. Der ganze Saal war übrigens mit Schläfern aller Art angefüllt, welche sich so gut es gehen wollte, ein Lager bereitet hatten. Das war das erste Mal in meinem Leben, so ich in so großer Gesellschaft schlief. Von Ausziehen konnte natürlich keine Rede sein. So brachten wir die Nacht unter mancher Störung hin und endlich gegen 6 Uhr morgens trat der Frachtfuhrmann mit einer trüben Stalllaterne ein und ermahnte die Schläfer aufzustehen. Da die Toilette keine Zeit wegnahm, waren wir bald bereit. Thee bekamen wir, welcher in Polen fast allgemein gut bereitet wird und so machten wir uns beim werdenden Tage wieder auf den Weg. –

Januar 1807

Außer dem Frachtwagen, welchen wir einnahmen, fuhren noch zwei andere mit, auf denen sich noch andere Personen befanden, unter anderem ein ehemaliger Unteroffizier und 3 Handwerksburschen. Ersterer gesellte sich ganz zu uns und war bei jeder Gelegenheit sehr dienstfertig, war aber recht eigentlich ein Filou, denn er war nur auf seinen Vorteil bedacht. Die letzteren hatten großes Mitleid mit mir und suchten mir immer etwas abzunehmen, wenn ich etwas trug. Ich befand mich damals in einer Lage, wo mir das lange Sitzen oft recht beschwerlich war, so dass wenn wir des Abends aussteigen wollten, ich oft ganz verlahmt war, so dass mich mitunter der Vater vom Wagen heruntertragen musste. Oft war ich meiner lieben Luise wegen recht besorgt, denn die Fuhrleute hielten oftmals des Mittags nicht an, weil sie die wenigen Tagesstunden zum Fahren benutzen wollten. Das war nun recht übel für mein armes Kindchen. Anfangs machte ich des Morgens Bratäpfel, welche ich so gut wie nur irgend möglich war zu erhalten suchte, aber das musste ich bald aufgeben, den die arme Kleine bekam danach Dirrehö. Da wusste ich mir oft nicht anders zu helfen, als dass ich Semmel kaute und sie damit notdürftig fütterte, wie weh taten mir die Tränen des armen Kindes, denn sie mag wohl mitunter vor Hunger geweint haben. Dennoch war sie dabei meist munter und wohl und hübsch wie ein Engel, so dass sie alle Herzen gewann. Die Frachtfuhrleute nannten sie nicht anders als „unser Kind“ und sie fürchtete nicht die bärtigen Männer, sondern ging bei ihnen auf den Arm und biss von ihrer Schmalzsemmel ab, welche sie ihr beim Aussteigen reichten. Wenn sie wieder in den fatalen dunklen Wagen sollte, rief sie oft „nee nee“ und suchte alle ihre kleinen Künste hervor, in der Hoffnung dies würde helfen.

So setzen wir unter mehr oder minder Beschwerden unsere Reise fort; die Fuhrleute vermieden die großen Strassen, aus Furcht vielen Franzosen zu begegnen, also hatten wir immer die allerschlechtesten Nachtquartiere, schliefen mit vielen Menschen zusammen auf der Erde und gewöhnlich hieß es immer, wenn wir etwas zu essen haben wollten: „Wir haben nur Viehkartoffeln.“ Denn sie fürchteten, wir würden wie die Franzosen nichts bezahlen. Eines Abends, als wir uns schon mit vielen Leuten niedergelegt hatten, die Stube war wirklich so voll, dass man nicht treten konnte, hörte ich, dass meine Luise ganz kläglich rief: „nee, nee“. Da richtete ich mich auf und sah zu meinem Schrecken, dass eine große Katze auf ihrer Wiege saß. Ich bat nun, dass man mir erlauben möchte, die Katze herauszutransportieren, aber ich fand kein Gehör, keiner wollte sich entschliessen, seinen mühsam eingerichteten Platz zu verlassen. Mit Mühe erlangte ich, dass die Nacht über eine Lampe brennen durfte und Vater und ich bewachten abwechselnd unser Kind. An einem anderen Tage des Morgens, hatte ich auf einen Augenblick das Zimmer verlassen, um nach einer Nacht, welche wir in einer dumpfen, heißen Stube zugebracht hatten, etwas frische Luft zu schöpfen und mich wo möglich etwas zu waschen. Dem Mädchen aber hatte ich geheissen, nicht vom Kinde zu gehen, dieses aber hatte mein Gebot übertreten und so fand ich denn, als ich hereintrat einen großen Hund, welcher seinen Kopf vertraulich in die Wiege steckte und das Kindchen spielte freundlich mit seinen Barthaaren. Ich erschrak im ersten Augenblick, aber beim Nähertreten sah ich, wie der Hund mit treuherzigen Augen das Kind betrachtete, es wäre ein wunderhübsches Genrebild geworden, wenn ein Maler bei der Hand gewesen wäre. So wechselten erträgliche und böse Stunden mit einander ab. Am Ende eines kalten Tages, wo ich recht durchgefroren war, bot mir eine Frau beim Aussteigen aus dem Wagen, einen rohen Kälberbraten zum Verkauf an, ich antwortete, dass ich auf der Reise begriffen, nichts damit anzufangen wisse, doch die Frau beschwor mich mit Tränen, ihr doch nur das Fleisch abzukaufen, so dass ich ihrem Bitten nicht widerstehen konnte. Wir quartierten uns an diesem Tage bei einem Stellmacher ein, gute, freundliche Leute, unsere gefällige Wirtin erbot sich, mir ein halbes Pfund Butter abzulassen und den Braten sogleich zum Bäcker zu bringen, damit er am anderen Morgen fertig wäre. Das nahm ich dankbar an. Die Nacht verbrachten wir zwar wieder auf der Erde, aber doch nur in Gesellschaft von unserem dienstwilligen Unteroffizier und von zutraulichen Mäuschen zu, welche ganz gemächlich über uns weg spazierten, aber zu allem Glück den festen Schlaf meines lieben Mannes nicht störten, denn dieser würde sehr ungehalten über die ungerufenen Gesellschafter geworden sein.

Am anderen Morgen um 6 Uhr, als wir eben unseren Kaffee tranken, trat unsere freundliche Wirtin mit der dampfenden Bratpfanne herein. Wer war froher als wir. Seit mehreren Tagen den Genuss des frischen Fleisches entbehrt, duftete uns der schöne Braten so angenehm entgegen, dass wir uns nicht lange besannen, sondern uns um die Bratpfanne versammelnd eine gute Mahlzeit machten. In meinem Leben hat mir wohl an einer gut besetzten Tafel das schönste Gericht nicht so schön geschmeckt als dieses ungewöhnliche Frühstück. Der Überrest wurde eingepackt und mit dankbarem Herzen nahmen wir von unseren guten Wirtsleuten Abschied. –

Einmal auf dieser Reise hatte ich Gelegenheit einen sonderbaren Streit zu schlichten. Wir brachten die Nacht mit mehreren Franzosen in einem Wirtshaus zu. Als ich eintrat, fand ich dieselben in einem lebhaften Streit mit der Wirtin begriffen. Die Franzosen versicherten, dass, wenn die Frau ihnen Biersuppe gebe, sie dieselbe mit samt der Terrine an den Balken werfen würden, dagegen sagte die Wirtin wiederholentlich, die Herren möchten sich doch beruhigen, sie wolle ihnen gar zu gern Biersuppe kochen. Ich verdeutschte der Frau so gut wie möglich die Rede der Franzosen und so war die Ruhe wieder hergestellt.

(Fortsetzung folgt)

 

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