Manon Provençal beugte ein Knie

9. Teil der Erinnerungen der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline   Kienitz, geb.  Ransleben

Am nächsten Sonntag, als Kur beim König war, wo sich außer den Hofleuten auch viele Beamte einfanden, war auch P. hingegangen. Er stand mit allen anderen den König erwartend. Er ging sogleich auf P. zu und redete ihn mit barscher Stimme an: „Qui est le desire du peuple est le roi!“ Der arme alte Mann erschrak so, dass er ohnmächtig wurde und umgefallen wäre, hätte sein Nachbar G. v. Gosler ihn nicht unterstützt und in seinem Wagen zu Haus gebracht. Die Folge dieses Briefes war, dass H. v. B. den Abschied bekam und folglich auch P. brotlos war. Er ertrug dieses harte Geschick mit männlicher Fassung, aber seine Familie war trostlos. Was sollte auch aus ihnen werden? Vermögen hatte sie nicht und wenn sie auch zurück nach Magdeburg ginge, P. hatte sich zu sehr verwöhnt, als dass er nun wieder ein beschwerliches Leben hätte anfangen können. Da sagte mir eines Tages die Tochter Manon, ein sehr liebes Mädchen, dass sie sich beständig mit dem Gedanken beschäftige, dem König eine Bittschrift zu überreichen, worin sie um eine Stelle für ihren Vater bitten wolle. Wir gingen in diesem Augenblick am Schlosse vorbei und ich zeigte ihr die Unmöglichkeit der Ausführung, in dem das ganze Schloss mit Wachen umstellt war, dass kein Fremder den Eingang erreichen konnte.

Dessen ungeachtet beschäftigte uns dieser Plan unaufhörlich, ich teilte ihn meinem Manne mit und dieser versprach sich zu bemühen, ob er einen Weg ausfindig machen könne, Manons Plan in Ausführung zu bringen. Er sprach zu dem Ende mit dem Obersten Langeschwarz, einem edlen deutschgesinnten Mann, welcher nur gezwungen bei den Franzosen Dienst genommen. Langeschwarz versprach meiner lieben Manon Gelegenheit zu verschaffen, dem König eine Bittschrift überreichen zu können, wenn wir uns verpflichteten, seinen Namen nie zu nennen. Manon schrieb eine schöne Hand und setzte also selbst eine Bittschrift auf. Wenige Tage nachher ließ uns Langeschwarz wissen, der König würde in einigen Tagen Revue über einen Teil seiner Truppen halten und zwar bei Katharinenthal einem Lustschloss der Königin, dort sollte sich Manon hinbegeben und er würde ihr alsdann einen Wink geben, wenn sie vortreten sollte.

Als der Tag anberaumt war, begab ich mich zur Provensal und bat sie, mir Manon auf einen Tag zu überlassen unter dem Vorwand, mein Mann müsse nach Minden, wo er in Geschäften eine Zusammenkunft mit seinem Bruder aus Göttingen hätte. Die P. bewilligte meine Bitte und so machten wir uns am festgesetzten Tage des Morgens früh auf den Weg, Katharinenthal etwa 1  Meile von Cassel, liegt in einer flachen Gegend. Dort angelangt, ließen wir in einiger Entfernung unsere Wagen und gingen zu Fuß bis in die Nähe des Schlosses. Dieses hatte einen großen Vorhof mit einem eisernen Gitter umgeben. In einiger Entfernung davon sahen wir Herrn von Langeschwarz zu Pferde, welcher mit dem Degen winkte. Da trat Manon an den Eingang des Gitters, wo der König zu Pferde herausritt. Manon beugte ein Knie und überreichte ihre Bittschrift. Der König nahm sie und sagte: „Prenez garde, le cheval.“ Darauf galoppierte er weiter und Manon kehrte zu uns zurück, mehr tot als lebendig, so hatte das arme Mädchen sich geängstigt.

Die Revue war beendet und wir wussten nicht so recht, was wir anfangen sollten. Wir trieben uns noch eine Weile im Felde herum, aber endlich beschlossen wir, zu unseren Wagen zurückzukehren und mit Ergebung zu warten, was daraus werden würde. Kaum waren wir aber eine kleine Strecke gefahren, als ein königlicher Bedienter zu Pferde an unseren Wagen kam und fragte, ob die junge Dame darin wäre, welche eine Bittschrift überreicht hätte. Diese solle sogleich nach dem Schlosse kommen.

Wir kehrten also um und Manon musste von hundert Blicken begleitet (denn der ganze Schlosshof stand voller Offiziere und Hofleute) nach einem Saal kommen, wo ihr der Oberceremonienmeister Herr von Buchholz das Papier zurückgab, worunter der König eigenhändig geschrieben hatte: „Ou une place, ou une cure.“ Manon war froh, alles überwunden zu haben und wir traten nun wohlgemuth unseren Rückweg nach Cassel an. Dort angekommen, erfuhren wir, dass Manons Eltern uns auf dem Wege nach Göttingen entgegen gegangen waren. Da sie auf diese Weise bei ihrer Rückkehr bei unserer Wohnung vorbei mussten, so gaben wir am Fenster acht, um ihnen unsere Nachrichten mitzuteilen.

In meinem Leben werde ich diese Scene nicht vergessen. Der alte Mann vergoss heiße Freudentränen und rief alle Segnungen des Himmels auf sein liebes Kind heraub und pries ihren Heldenmut. Nach einiger Zeit erhielt Provensal wirklich eine Anstellung, wo er allerdings an Einnahmen verlor, aber doch anständig leben konnte.

Comments are closed.