Hi, wie gehts? ist der Killer

Wieder eine Brieftaube auf der Balustrade gelandet, scheu und schreckhaft. Die Augen größer, der Schnabel länger, der Hinterkopf elegant – Rudi und die anderen Stadttauben fliegen plötzlich auf, die Flügel schlagen laut klatschend, wo sie doch sonst völlig lautlos losfliegen können – die arme Reisetaube zuckt zusammen, schaut sich geduckt um in alle Richtungen. Und so ein Vogel hat mehr als ein Mensch – außer rechts und links, vor und zurück muss er noch oben und unten kontrollieren. Im Café auf dem Ulrichplatz wollten heute alle in den Schatten. Eine junge Frau erklärte ihrer neu zu gewinnenden Freundin, dass ihre Kinder sanguine Typen seien. Und sie brauche eine Freundin, weil die Männer, die sie treffe, damit Schwierigkeiten hätten, dass sie überwiegend männliche Freunde habe. So also war ihre neue Freundin über ihre Funktion unterrichtet. Und dann begann, wie man’s macht mit den Männern: Wenn dir ein Mann schreibt, hi, wie gehts?, das ist der Killer, das lösche ich immer sofort. Sonst, wenn dich einer anschreibt, gucke immer nach seinem Profil. Wenn einer kein Profil hat, den lösche ich auch gleich. In seinem Profil siehst du, was er für Musik mag, falls er bei Facebook ist, dann kannst du sagen, oh, die Band gefällt mir auch, wie findest du denn das Lied? Bedeutet es dir etwas? Dann kann er dir antworten. Dann sagt er vielleicht, die Band habe ich in Paris mal gehört, dann kannst du sagen Paris? Da warst du? Oder wenn er die Filme gelistet hat, die er mag, da kennst du vielleicht einen. Dann weißt du schon, ob da eine Gemeinsamkeit ist. Suche immer nach Gemeinsamkeiten, den Rat gebe ich auch den Jungs, die mich im Chat fragen, wie sie es machen sollen. Ich treffe mich immer mit mehreren, einer kommt seit drei Monaten jeden Woche aus Leipzig, dann fahren wir zusammen nach Berlin, wir waren da im Pergamonmuseum, auf dem Alexanderplatz, im Dom, obwohl ich sagen muss, der Dom dort ist nichts gegen unseren, ich muss sagen, wir lachen über dieselben Sachen, wir reden die ganze Zeit, ich hab noch nie bezahlt, ich hab auch nicht gedacht, jetzt will er eine Gegenleistung, 500 Euroda war sonst nichts außer mal kuscheln, aber jetzt muss ich vorsichtig sein, am Samstag früh hat es plötzlich geklingelt um neun Uhr und er hatte 22 rote Rosen geschickt, so schön, aber nun gehts nicht, wenn es für ihn ernster wird, der andere, mit dem habe ich gekocht, da wollte er mir unbedingt für nächsten früh Joghurt holen, ich hab gesagt, musst du nicht, er wollte aber, ich musste ihm erklären, wie der Joghurt aussieht, den ich wollte, das Etikett, da ging er und rief vom Supermarkt aus an, dann schickte er ein Foto von einzelnen Joghurts, dann vom ganzen Regal, dann kam er mit drei verschiedenen Joghurts nach einer Stunde wieder. Manche sind so naiv, wir haben gekocht und er hat nach dem Essen gefragt, soll ich alles abräumen, nee, habe ich gesagt, die Teller kannst du stehen lassen, was für eine blöde Frage, er hat wirklich alles abgeräumt und nur die Teller stehen lassen, da hab ich ihm gesagt, das war ein Witz, jetzt treffe ich mich mit dreien, mit dem, der aus Leipzig kommt, mit noch einem und mit Steve und nun muss ich ihnen sagen, wen ich will, ist schon klar, Steve wird es, aber wie soll ich es machen, dass ich die anderen nicht verletze? Sie wissen, dass ich mich mit anderen treffe, ich bin in zwei Portalen, jetzt muss ich mal los.

Ein Sommertag, aber die schöne Ulla wird wohl schon nach Frankreich abgereist sein. Sie ist nirgends mehr zu sehen. Die jungen Frauen und die jungen Männer schreiben sich an, die Ringeltaubenmännchen senken den Oberkörper, Schwanz in die Höh, und hüpfen auf beiden Beinen auf das gewünschte Weibchen zu, während die Stadttaubenmännchen den Oberkörper heben und aufplustern und sich vor dem Weibchen um sich selbst drehen. Aber wenn’s nicht funkt, hilft weder hüpfen, noch sich im Kreise drehen.

Die Stillere der beiden Frauen erzählte noch, dass der, mit dem sie sich traf, so still war. Alles, worüber ich reden kann, sind meine Kinder und dann traue ich mich nicht, nur über meine Kinder zu reden oder darüber, was man am Tag so gemacht hat und dann versiegt das Gespräch so.
Mehr zu Wort kam sie nicht. Die zwei Freundinnen standen auf, gingen fort. Und man hörte auf dem Ulrichplatz die Wasserfontäne wieder.

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