heute ist bei mir probe für morgen in der JVA = Dylan BOB Thomas Projekt

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Brandheisse erste Fotos der Künstler:

Bettina Essaka/Stefan Poetzsch/Peter Wawerzinek

beider PROBE zu:

In der Gedankenmühle – DAS BOB THOMAS-DYLAN-PROJEKT
++HEUTE ABEND+++++11. September ++++++ 20:00 – 21:30+++
Eine sinnlich–wilde Performance aus gesprochenem Text, Tanz und MusikAngeregt durch ausgiebige Wales-Reisen und dem Besuch das Geburtshauses von Dylan Thomas begann Peter Wawerzinek über sich, seine Herkunft, sein Leben und Schreiben zu reflektieren und setzt eine Gedankenmühle in Bewegung. Er performt in seiner unnachahmlichen Weise Texte aus seinem neuesten Buch „Ich Dylan Ich“, stellt sich dabei zuerst selbst in Frage und formt seine Person zu der einer anderer, nämlich der des walisischen Dichters.

Essaka/Poetzsch illustrieren nicht den Text, vielmehr gibt es eine kongeniale Eigenwelt der Bewegungen, des Textes und der Musik – die etwas Neues entstehen lässt. Wawerzinek liest seine Texte nicht, er führt sie auf, interagiert mit den Klängen und Bewegungen – er erfindet Rhythmen und Melodien zu seinen Texten. Die Worte werden Musik und die Geige lernt sprechen. Der Tanz ist Musik, Emotion und Rhythmus, manchmal im Kanon zum Gesprochenen. Eine Begegnung mit musikalischen Mitteln und tänzerischem Einfühlungsgefühl.

Der Kulturanker freut sich, die international anerkannten und renommierten Künstler als literarischen und zugleich musikalischen Höhepunkt des Festivals „Die neue Sinnlichkeit in der zeitgenössischen Kunst“ gewonnen zu haben.

Bettina Essaka und Stefan Poetzsch arbeiten seit langem zusammen und spezialisierten sich auf ausgeklügelte Choreographie/Kompositions-Projekte. Die Stücke von Essaka/Poetzsch werden mit dem Anspruch kreiert, als Choreographien sowie auch als Konzertaufführungen rezipiert werden zu können. In Magdeburg waren sie mehrmals mit ihrem Stück „unnötig“ zu sehen, eine Auftragskomposition für das Festival „Magdeburgisches Concert“ in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Moritzplatz. Diese Produktion wurde auf dem Poetenfest Erlangen auch zusammen mit dem chinesischen Dichter, Musiker und Dissidenten Liao Yiwu aufgeführt. Essaka/Poetzsch treten mit ihren Produktionen weltweit auf (u.a. auf Festivals und Veranstaltungen in ganz Europa, West, Süd– und Zentralafrika, sowie zahlreich in den USA).

S. Poetzsch arbeitet als Komponist vornehmlich für sein eigenes Ensemble und für B. Essaka, schuf Auftragskompositionen für den Bayerischen Rundfunk u.a. Als Musiker wirkt er zusammen mit zahlreichen Musikern und Komponisten (Markus Stockhausen, Frank Gratkowski, Eyal Maoz u.v.a.).

Weitere Informationen unter: www.stefanpoetzsch.com

Peter Wawerzinek, In Rostock geboren, in Ostseebad Rerik aufgewachsen, in Plauen (Vogtland) Lehre absolviert; 1976 Studium an der Kunsthochschule Weißensee, Textilgestaltung; nach 2 Jahren unfreiwilliger Abbruch; von 1978 – 1987 Anstellungen als Tischler, Kraftfahrer, Fließbandarbeiter, Hausmeister, Telegrammbote, Briefträger, Zugkellner, Rampenwart; ab 1. Januar 1988 Versuche einer freiberuflichen Existenz als Zeitungsjournalist, Sänger, Filmemacher, Dramaturg und Schreibender in Berlin, 2010 Bachmannpreisträger für das Buch „Rabenliebe“ und Publikumspreis, letzter Roman (2014) „Schluckspecht“, zur Zeit Stadtschreiber von Magdeburg.

… UND AUßERDEM IN DIESEM ZUSAMMENHANG UND EIGENER WERBUNG:

Peter Wawerzinek
Ich Dylan Ich
Roman
ISBN 978-3-903091-01-6,
160 Seiten, Hardcover
EURO 19,90 (A + D), CHF 28,50
VÖ: 2.11.2015
Cover: Alice Haring


„Ich schaltete einmal den Sender um und hörte dich an diesem Tag, vernahm nur deine Stimme im Radio. Und das will ich dir sagen: Du kannst verdammt gut lesen. Du bist ein Genie, Dylan. Du bist eine Ikone der Vortragskunst. Das habe ich in meiner Jugend am Radiogerät gleich herausgehört.“

Wawerzinek ist mehrmals nach Wales gereist, hat die Landschaften und Orte von Dylan Thomas aufgesucht und beschrieben. Wer über einen anderen redet, redet ja immer auch über sich selbst. Und so wird die Reise zu Dylan Thomas vor allem auch eine Reise zu sich selbst. Dylan Thomas, sein Leben, seine Landschaft, sind für den Autor vor allem Spiegel, die Rede nicht Zwiegespräch, sondern Monolog. Das aber auch nicht ohne Selbstironie, wenn er schreibt: „Ich gehe in der Frühe zum Hafen, dein Denkmal zu besuchen, mich zu dir zu setzen. Der Sockel ist schmal, und hat nur Platz für einen. Es ist nicht einfach, Dylan, sich zu dir auf deinen Sockel zu setzen. Da ist kein Platz für einen Zweiten an deiner Seite.“
Wawerzinek fürchtet wie Dylan Thomas vor allem den Tod im Leben, das Leben ohne Leidenschaft. Dass dazu der Alkohol als Treibstoff und Stimulans, als Ablenkung und Betäubungsmittel gehörte, das war bei beiden so, mit all den Kollateralschäden der Sucht. Dass der Trinker, der dem Suff wie dem Schreiben verfallene, sich nicht nur Freunde macht, Leute verprellt, vor den Kopf stößt, haben beide erfahren.
Gerd Adloff

 LESEPROBE

Erstes Kapitel

Wie als wären nicht Jahrzehnte Zeit zwischen deiner und meiner Geburt. Wie als müsste ich mich be­ eilen, rechtzeitig zu deinem hundertersten Ge­burtstag diesen Text fertig zu bekommen, schreibe ich alle meine Gedanken auf. Wie ich das erste Mal auf dich auf­merksam geworden bin, was du mir bedeutest, warum ich meine, dass unser beider Leben miteinander verwoben sind, wir so mannigfaltig miteinander zu tun haben.

Da war ich vierzehn Jahre alt. Da wohnte ich an der Ostseeküste in Rerik, ein Ostseebad, das Meer vor der Tür. Da konnte ich wie du zum Meer hin laufen, aus der Haus­ tür heraus auf dem kürzesten Weg. Da wurde ich von der Lehrerfamilie adoptiert. Und wurde Herr über die Bücher, eine schmale Treppe empor, unterm Dach auf einem uri­ gen Boden. Bücher in Schränke und Truhen gepfercht, in hinterste Ecken verbannt. In der guten Stube meiner neuen Eltern waren nur ein paar unwichtige Bücher zwischen zwei Muskelmänner aus Gips gestellt; metallen, kupfern angestrichen. Die Bücher hießen Der Opernführer, Deine Gesundheit, Enzyklopädien zur Physik, Mathematik leicht gemacht, Ratgeber für die Kosmetik. Und ich wurde Herr über den Alkohol im Keller, den sie mich von dort holen schickten. Einmal ums Haus herum, die Treppe hinunter, durch die Waschküche, den Kohlenkeller, zu den Regalen an der hinteren Wand, wo er in Flaschen abgefüllt und in Töpfen, Gläsern, Fässchen verwahrt gelagert wurde.

Ich las auf dem Boden unterm Dach, dem Himmel ein Stück näher. Ich naschte im dunklen Kellerwinkel von Eier­ likör und Rumtopf. Sie hatten keine Übersicht über die Bücher, die sie besaßen und auch keinen Überblick darüber, wie viele Flaschen im Keller lagerten.

In der Küche lief ständig das Radio. Ich schaltete einmal den Sender um und hörte dich an diesem Tag, vernahm nichts als deine Stimme im Radio. Und das will ich dir sa­ gen: Du kannst verdammt gut lesen. Du bist ein Genie, Dylan. Du bist eine Ikone der Vortragskunst. Das habe ich in meiner Jugend am Radiogerät gleich herausgehört. Wie du deine Texte inszenierst, mit deiner Stimme Melodien er­ zeugst. Ich habe von dir den Singsang gelernt. Ich weiß von dir, wie man seine eigenen Texte spricht. Oh ja, das war mein erstes Hörerlebnis. Das war für mich gesprochener Rock ́n ́ Roll. Ich habe dich drei, vier deiner Gedichte in deiner unvergleichlichen Art und Weise sprechen gehört, deiner Sprache gelauscht und dich augenblicklich verstanden, obwohl es alles auf englisch vorgetragen wurde. Mit dem Herzen, Dylan, mit dem musischen Teil meines Hirns, denke ich. Deine Stimme sprach zu mir.

Ich war also von einem Lehrerpaar adoptiert. Ich trug den Namen meiner Ersatzeltern. Ich fühlte mich nicht an­ gekommen und auch nicht ausgesetzt. Ich gehörte da hin, wie ich aber auch immer etwas fehl am Platz blieb. Ich habe darüber ein ganzes Buch geschrieben, der Titel Das Kind das ich war, ohne Komma geschrieben. Ich nährte in mir die Sehnsucht nach meinen richtigen Eltern. Dylan, deine Stimme wurde zu dem, was mir Mutter und Vater sein hätte können. Deine Stimme tröstete mich über mein elternloses Dasein hinweg. Ich drehte, so oft es ging, zur richtigen Zeit das Radio an. Zum Glück wurdest du sehr früh und ganz regelmäßig mit einem einzigen Text gesendet, so dass ich dich oft genug hören konnte, während im Haus alle Leute noch schliefen. Zum Glück lag die Küche weit genug vom Schlafzimmer entfernt, so dass ich, das Ohr ans Radio gelegt, dich und deine Stimme zwar etwas leiser, aber gut hören konnte. Oh, ich hörte dir so gerne zu. Ich drehte danach den Sender wieder weg. Es fiel niemandem auf.

Dann kamen einmal beide neuen Elternteile zugleich in die Küche und wunderten sich, was ich da trieb. Der Sender, den ich hörte, die Sprache, du, alles war ihnen sehr, sehr unbekannt. Also drehten sie dich aus und den alten Sender wieder ein. Das tat weh, machte aber insgesamt gar nichts. Ich war ja sowieso schon infiziert. Du sprachst in mir fortan fort. Deine Stimme ging mit mir durch die Welt. Auf allen meinen Wegen redete sie mit mir. Und ich schlief mit deiner Stimme ein, erwachte durch sie sanft geweckt. Du wurdest zum Singsang in mir. Und dann eroberte ich das Radio zurück. Aber du gingst nicht mehr über den Sender. Deine Stimme blieb aus. Es wurden ganz andere Dinge gesendet. Musikstücke, Kinderstimmen, Sportreportagen. Ich war traurig. Ich begriff es einfach nicht. Wo warst du nur hin? Und dann geschah dieses Wunder. Ich hörte mich plötz­lich mit deiner Stimme sprechen. Ich war gar nicht der Junge für so eine feine Stimme. Ich war nur die menschliche Hülle, eine Art Muschelhorn, aus der hervor du mit deiner Stimme zu mir sprachst, bis auch das nicht mehr nötig war. Bald schon redete ich selbst mit deiner Stimme. Nicht laut, da hätten sie mich alle nur entgeistert angestarrt, nein leise, innerlich.

Ich wusste nicht, dass du ein Dichter bist. Ich weiß nicht zu sagen, wie es kam, warum ich es so sehr wünschte, aber ich wollte später dann auch nur noch ein Dichter werden. Ich wollte wie du mit deiner Stimme meine eigenen Texte sprechen, mit deiner Stimme reden. Ich ahmte deine Stim­me nicht nach, sie kam aus mir hervor, war meine Stimme. Ich wurde immer perfekter. Und dann sprach deine Stimme mich an, redete aus der fernen Zukunft zu mir. Die Zukunft war sehr viel mehr als nur nah. Seit ich mit deiner Stimme redete, rauschte das Meer, blies der Wind in meinen Worten. Ich war meine Jugend lang deine Stimme. Und diese Stimme wellte, heulte, wisperte, gluckste und pfiff: Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein, / Ihr Kopf wird der blühende Stein­ brech sein, / Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht, / Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Wenn ich es so formulieren darf, Dylan, so hast du ja vor allem von deiner Stimme und der Stimmung, die du mit ihr erzeugt hast, also von deinem Vortrag profitiert: Du bist als Stimme vielen Leuten bekannter gewesen, als durch deine Schreibkunst, die Bücher. Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich halte dich für einen großen Schriftsteller, Dichter, Wortakrobaten. Wenn man dich deine Gedichte aufsagen hört, dann ist das ein viel größeres Erlebnis, als sie nur so für sich zu lesen. Dieser Teil ist bei mir ebenso wichtig.

Ich schreibe den Text, dann wird ein Buch aus dem Text, und dann werde ich mit dem Buch zu Lesungen eingeladen. Und erst dort kann ich den Leuten zeigen, was sonst noch so alles in den Text eingebaut worden ist, welche Emotionen mitschwingen, die sonst überlesen werden. Ich setze meine Stimme ein, mit ihr Stimmungen zu erzeugen. Ich atme. Ich rede leise. Ich verfalle fast in einen Gesang. Ich werde laut. Dann wieder scheine ich den Faden verloren zu haben. Ich wirke verwirrt. Meine Stimme lässt nach. Meine Stimme versagt. Ich beginne zu stottern. Aber ich finde zu meiner Stimme zurück. Meine Stimme erholt sich rasch. Ich kann mit meiner Stimme wieder klare Sätze formulieren. Sätze, die auf der Seite, die sie bewohnen, sonst niemand bemer­ ken würde. Es ist, als würde meine Stimme die verängstigten Sätze nach vorne bitten und ihnen ein Mikrophon anbieten.

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