Über die Schreibarbeit, den Tod, die Musik

peter_steinIch am Grab von Jochen Berg

Der grosse und der kleine Peter

Peter Krone ist tot. Man hat ihm vor einem knappen Jahr gesagt, dass er nur ein knappes Jahr noch zu leben hat. Wenn er seinen Geburtstag noch erlebe, solle er froh darüber sein. Ich war dreissig Jahre und lag, das Bein in Gips, im Krankenhaus. Er brachte mir ein Buch vorbei: Die Blechtrommel von Günter Grass, der nur ein paar Tage nach Peter gestorben ist, einige Jahrzehnte älter, viel, viel berühmter als er. Ich las das Buch mit glühenden Augen. Ich las über all die Fische, Polen, Deutschland, Krieg, Frieden, Aussöhnung, den Pferdekopf zum Aalfang und auch die vielen sexuellen Details. Ein aufregendes, den Leser bannendes Schmuddelkind, aus Sicht der damaligen Zeit erzählfreudig und sehr gewagt. Ich weiß nicht, ob da eine Absicht von Peter hinter lag. Der Funke wechselte zu mir über. Es wuchs in mir die Glut. Ich wurde zum Vulkan. Ich las und las und wollte nur noch Schreiberling werden, mich zum Ausbruch bringen, meine Erlebnisse in Buchseiten verwandeln. Ich würde Lava und Poesie ausspucken, den Leser bannen und erschrecken, faszinieren und auf Distanz halten wie es Vulkane tun.

Und begann zu schreiben. In A5-Heften, eng mit spitzen Bleistiften. Hefte, die ich nun schon über drei Jahrzehnte mit mir herumtrage, die ich heilige und denen ich wünschte, eine Akademie nähme sich nach meinem Tod ihrer an. Sie zeigen mich am beginn meiner Schreibwut. Sie lassen ahnen, welchen Themen ich mich zuwenden werde. Sie zeigen die gesamte Herde meiner schriftstellerischen Herde, die ich nacheinander zureiten, sprich abarbeiten wollte. Denn Arbeit ist es vor allem, Mühe, Disziplin, Ausdauer und der Glaube an sich und das, was man da macht kommen hinzu. Und der Stapel Bücher, die von mir geschrieben, aber niemals veröffentlicht worden sind, ist drei, vier Mal höher als der Buchstapel, den man von mir kaufen und lesen kann. Fast fünfzehn Bücher habe ich zustande gebracht. Ich bin seit fünf Jahren ein in fach- und Leserkreisen bekannter Autor geworden.

Seit fünf Jahren kann ich von meiner Kunst leben, wie man so sagt. Aber all das sagt nichts über mich aus. Die Person, die morgens erwacht und sich erst einmal den Laptop auf die Knie legt und zu schreiben beginnt. Drei Stunden Text habe ich dadurch täglich hinter mich gebracht, wenn andere Autoren sich noch wohlig unter ihren Bettdecken rekeln und vom Ruhm träumen. Ich bin in der Branche für meine Schnelligkeit bekannt. Ja, ich springe gern und ungestüm auf mein Pegasus. Anfragen und Bitten um Texte, Interviews per a-Mail, Meinungsäusserungen zu irgendwelchen Themen erledige ich umgehend nebenbei. Nichts wird aufgeschoben, es sei denn, es lässt und lässt sich nicht zu einem Text formen, will mir trotz der Mühen nicht gelingen. Sie jeden tag wieder neu motivieren und von sich selbst überzeugt sein. Das, liebe Freunde, ist die ganze Kunst. Einfacher und anstrengender ist es nicht. Ansonsten wird man nur weiter möchten und wollen und sich gut vorstellen können, am liebsten täten und weiter abwarten, endlich entdeckt zu werden.

Ich gehe zur Schicht wie jeder andere Arbeiter auch. Ich arbeite mein Pensum ab. Es ist oft genug monotone Arbeit, die ich verrichte. Ich muss mich mit Musik und Schokolade bei Laune halten. Ich muss immer wieder daran denken, wie schön es ist, ist der Text als Manuskript fertiggestellt und dem Verlag dann zur weiteren Bearbeitung anvertraut. Ich jubele und singe, tanze und springe jedes Mal wieder liegt das fertige Buch dann in meinen Händen. Viele Leute erstaunt wie sicher und mit Witz ich aus meinen Büchern vorlese. Der Text bekäme viel Klang und ich trüge ihn als Bühnenerlebnis vor. Woher nur komme die Lust und Kraft dazu? Und ich antworte dann sinngemäß, dass ich, wenn ich endlich lesen darf, all die Tage der Mühen vergessen kann. ich schlüpfe in die andere Haut. Aus dem Schreiberling wird das Lese-Ereignis. Ich belohne mich für meinen stupiden Fleiss.

Und, das darf in meinem besondere Fall nicht vergessen werden, ich schreibe unter Kopfhörern. Ich höre Musik. ich gebe mir ganz bewusst Rhythmen vor, die dem Text und der Wahrheitsfindung dienen. Und dann habe ich sie alle einfach parat, die Melodien und Takte, Geräusche und Kräche, unter deren Einfluss ich geschrieben habe. Ich schlage mein Buch auf und betrete eine Konzerthalle. Ich setze mich an den Lesetisch und werde zum ersten Geiger, Rockstar, Performer. Und was ich dann als Buchseite vor meinen Augen habe, wandelt sich in Notenblätter um. Ich könnte meine Bücher durchgängig singen, so triefend vollgesogen sind sie mit Takt, Gefühl, Volkssound und Disharmonie, Popmusik, Jazz und sonstigen musikalischen Avantgarde.

Begonnen hat alles mit jenem Peter, der nun tot ist in Bollersdorf. Da saßen wir und tranken und lasen uns anfangs unsere Gedichte gegenseitig vor, bis wir sie nicht mehr länger als Texte ansahen, sondern Liedvorlagen. Und schon sagen wir sie lauthals bis fröhlich grölend, ja schmetterten sie. Oft genug wurden dadurch ganz andere Gedichte aus ihnen. Sie zeigten sich anstößig, geil und bar jeder Fehldeutung roh und nackt, wie sie von uns geschaffen worden sind. Ich bin von uns beiden Peter der fleissigere gewesen. Aber immerhin. Zwei Bücher hat kleinere Peter auch geschrieben: Wirrwarr in Knallidyll und Reisen nach Padukilamo.

Comments are closed.