Nach der Lesung ist vor der Lesung,
vor der Lesung ist während der Lesung,
während der Lesung ist nach der Lesung.
Nach jener gestrigen Lesung aus Anlass: Thomas Brasch wäre 70 Jahre alt geworden, wurde es richtig schön. Oh ja, immer wieder diese Wenn-und-hätte-Themen und aber-hatte-Proleme. Er hat eben doch zu viel getrunken und gekokst. ja, überlegt doch einmal, hätte er nicht hätte? Nun ja, Sie wissen schon. Es wurde nach der Lesung dann ganz schön. Ist ja oft so. Das Übliche, Gespräche, Buchverkauf, Smaltalk, Unterschriften, Artigkeiten muss erst abgewickelt werden, dann stehen sie beisammen und reden durcheinander miteinander.
Und irgendwie stellte sich bald heraus, dass Andreas Keller hier ein Heimspiel hat. Magdeburg war lange sein Domizil. Sein Theater. Seine Bühne. Seine Welt. Sein Leben. Und es ist eine Dame neben ihm, die das mehr als nur bestätigen kann. Dann war er eine Weile weg, sagt sie mit Trauer im Gesicht geschrieben. Aber Magdeburg lässt einen nicht los, sagt er. Sie nickt. Ich ahne ein wenig, dass es stimmen könnte.
Es heisst den Abend durchweg, Magdeburg ist toll, nur die Menschen könnten toller sein. Es heisst, es gäbe Leute, die würden Magdeburg nicht schätzten, und dann seien sie nur einen Tag lang hier unterwegs und wären rundum von der Stadt begeistert. Was, staunten sie, das gibt es hier? Ich glaube, wir reden über ein Super-Gelände (Namen leider vergessen, weil nach Lesungen so viele Namen fallen und Orte benannt, Zeiten angesagt, die lange vergangen sind, besprochen werden.), das einmalig ist in der Welt. So etwas wie Tempelhof in Berlin? frage ich. Besser allemal besser, die Antwort. Nicht damit zu vergleichen. Das gibt es nur in Magdeburg. Ich bringe meinen Freund Klaus ins Spiel, wie der zu einer höheren Kunstbeamtin an meinem ersten Tag in dem Telemann-Imperium auf die Frage, was er denn so von Magdeburg halte, posaunte: Für mich gibt es nur zwei hässliche Städte im ehemaligen Osten, Chemnitz und Magdeburg. Das war natürlich super von ihm geblasen, ich stand als eben erst eingeführter Stadtschreiber schön geplättet da, weil doch alle immer denken, dass ich wie meine trompetender Freund denke. Da hätte ich aber viel zu denken, so zu denke, wie andere, nicht ich denke.
So kann man das nicht sagen, sage ich. Aber der besteht darauf. Und wenn man ehrlich ist, sagt ein Dazwischenquatscher, auf den ersten Blick, also vom Auto aus, hinterm Steuerrad, wenn man nur durch Magdeburg durchsaust, wie sein Kumpel, der in Wirtschaft macht, wirkt das alles eher nicht anziehend, breit, leer, leblos wie die Stalinallee in Ostberlin einst als Pracht konzipiert worden ist. Und dann muss man nur anhalten, ausstiegen und losgehen, herumwandeln. Zack ist da Magdeburg plötzlich eine sehr lebendige Stadt, nicht ganz Metropole, aber reich an Orten und Winkeln und Strecken, Verstecken, Ecken hinter Hecken. Und reich an Geschichte und Denkmälern. Und Skulpturen.
Apropos Skulp und turen, die Gespräche touren sich hoch. Alles mögliche wird beredet. Es wird gelacht, getrunken, behauptet, abgewunken, sich erinnert, gesponnen, gelobt, verwiesen, hingewiesen. Es gehen Flyer um. Es werden Geschenke gemacht. Es fliegen Komplimente zu den Damen hin. Man rückt Stühle zusammen. Man sitzt sich beinahe auf der Pelle. Man erinnert sich an diesen und jenen, jenes und all diese Menschen, die verschwunden sind, nie wieder gesehen worden sind.
Und am Ende schwirrt einem der Kopf. Und deswegen macht man das ja auch, diese Lesungen, diese Konzerte, diese Abende, diese Zusammenkünfte. Und wie ich draußen stehe und als einziger eine Lulle rauche, steht da der Chor Magdeburgs, der Dienstags im Forum übt, und von denen, die da vor der Tür versammelt sind, rauchen bestimmt acht, elf Sänger munter. Während es unter den Gästen des Forums scheinbar schon verpönt ist zu rauchen. Oder sie haben es sich alle abgewöhnen müssen, alle den Brasch deswegen auch überlebt, ab einem exakten Zeitpunkt die Kurve genommen, es hinbekommen, gar nicht mehr geraucht, nix mehr getrunken und so?