Verbeamtet werden

Die Eide, die Elsa Tuckermann, Magdeburger Fürsorgerin im Gesundheitsamt, in ihrem Berufsleben leisten musste, nachdem sie verbeamtet wurde.

Magdeburg, 20.11.1926

Frau Elsa Tuckermann hat heute gemäß Verordnung des Reichspräsidenten vom 14. August 1919 folgenden Eid geleistet: „Ich schwöre Treue der Reichsverfassung.“

Frau Elsa Tuckermann hat heute gemäß Art. 78 der Reichsverfassung vom 30. November 1920 folgenden Eid geleistet: „Ich schwöre, daß ich das mir übertragene Amt unparteiisch nach bestem Wissen und Können verwalten und die Verfassung gewissenhaft beachten will.“

 

31.8.1938 – Stadtverwaltung Magdeburg

Vereidigungsnachweis

Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflicht gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.

 

Magdeburg, 1947

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, daß ich durch unermüdlichen Arbeitseinsatz beweisen will, daß ich bereit bin, loyal am Aufbau des freien demokratischen Deutschland teilzunehmen.

Ich will innerhalb und außerhalb des Dienstes meine Verbundenheit mit der antifaschistischen Demokratie unter Beweis stellen und versichere, mich durch Leistung und Haltung zu bewähren.

Leben mit und ohne Flügel

Krähen lauern, ob sie eine der flüggen jungen Tauben erbeuten und fressen können. Die Krähen warnen die Tauben vor Raubvögeln. Deshalb sollen Taubenzüchter die Krähen nicht verjagen. Stattdessen die Taubenjungen bewachen.

Ein junger Mann sitzt in der Straßenbahn und zeichnet in einem Heft mit einem Kugelschreiber mit großer Geduld fallende blaue Blätter. Unten hat er ins Bild geschrieben: Das Leben raubt dir die Flügel.

Ein Kind beobachtet im Park lange die Spatzen. Ich bewundere es so, sagt es. Was? fragt die Mutter. Wie sie fliegen können.

Ich freue mich, dass ich die Stubenfliege am nächsten Morgen wieder vorfinde. Sie fliegt so fröhlich.

Treppe

Abends um zehn, Bahnhofstunnel, trübes Licht, die meisten Geschäfte schon zu, abgestellte Welt, ein Zug kommt an. Auf der Treppe zu einem Bahnsteig sitzen zwei junge Männer im Halbdunkel, zwei Flaschen Bier dabei. Die aus dem Zug Ausgestiegenen gehen an Land. Ein Mann kennt die Beiden.

Hallo! Was macht ihr denn hier?

Na, feiern.

Da guckt der Mann still, zwei Männer, zwei Flaschen gucken zurück (sechs Augen), der Angekommene verabschiedet sich und geht hinaus in die Nacht.

Gucken

Was macht die eigentlich hier in der Stadt?

Sie guckt anderen beim Leben zu.

Warum das denn?

Das ist ihr Beruf.

Beruf? Was soll das denn sein?

Berufen wurde sie.

SAM_6500Was?

Hergeholt um uns zuzugucken.

Deshalb guckt sie immer? Lebt sie nicht? Guckt sie nur?

Was denn, ihr guckt doch auch immer rein. Sitzt bei ihr auf der Fensterbank und guckt.

Besonders Gudrun. Gudrun erzählt überall in der Luft: was sie anhat, was sie tut, wann sie kommt, wann sie geht, wann sie ihre Jalousien hochzieht…

Das ist das Wichtigste, sonst können wir ja nicht reingucken.

Eben.

Die Krähen

Auf der Balustrade stehen sie wie Soldaten im Einsatz, nicht zwei Wimpernschläge lang halten sie still, ruckartig wenden sie ihre Köpfe nach links, nach rechts, Luftraumkontrolle – was geht, was fliegt, nichts entgeht der Kontrolle der Krähenwächter. Daneben sitzen oder stehen die Tauben in aller Seelenruhe und machen sich nichts zu tun. Unten, ein Stockwerk tiefer sitzen still und ruhig zwei schwarze Krähen, in jedem Blumenkasten je eine aus Ton, und sollen wohl Tauben abschrecken.

Schön muss er sein

In Jahrmillionen entwickelten sich Vögel aus Reptilien, Federn aus den Schuppen. Zuerst waren die Federn noch schuppenähnlich und dunkel. Die Vorfahren der Felsentauben müssen schwarz oder dunkel gewesen sein. Alle heutigen Tauben stammen ursprünglich von Felsentauben ab, auch die Stadttauben. Inzwischen befassen sich Forscher mit den Stadt- oder Straßentauben, die sich auf der ganzen Welt verbreitet haben.

 gustavo dudamel

Weibliche Stadttauben bevorzugen eindeutig dunkle bis schwarze Täuber als Partner.

Nach Größe, Bruterfahrung und Alter suchen Wild- und Haustauben ihre Partner aus. Nur für die Stadttauben spielt bei der Partnerwahl auch das Aussehen eine Rolle. Sie wählen ihre Partner nach der Farbe und Zeichnung des Gefieders. Gudrun konnte sich lange nicht entscheiden zwischen dem dunklen, ebenmäßig gezeichneten Urs und dem blaugrauen Rudi mit den weißen Flügeln. Nun hat sie sich für Urs entschieden. Sehnen sich die Stadttauben nach dem Ursprünglichen? Rudi hat eine neue, Gundula.

Im Brunnen

Unter Otto von Guericke steht ein Falke im Brunnenwasser und trinkt. Ich schaue zu, der Falke dreht seinen Kopf ganz herum und schaut mich über seinen Rücken hinweg an, dann trinkt er weiter. Über uns kreist ein Falke, eine Falkenmutter?, ein Falkenvater?, und stößt unentwegt Warnrufe aus. Aber ich fürchte mich nicht und der Falke im Brunnen fürchtet sich auch nicht. Wir tun uns nichts.

Der Statue die Nase abschießen

13. und letzter Teil der Erinnerungen der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline Kienitz, geb.  Ransleben

Da ging es nun an ein Fürchten, es fehlte nicht viel, so hätten sich die Steinbach’schen Mädchen verkrochen und als dann endlich die Russen kamen und einer derselben  durch Zeichen zu verstehen gab, dass er an einem Sack eine Naht wollte zugenäht haben, das wollte sich kein Mädchen im Hause dazu verstehen, denn man hatte gesagt, wer einen Ring am Finger hätte, den nehmen die Russen weg und wenn er nicht gleich abginge, so hackten sie den Finger ab. Da ich das nicht glaubte, so ging ich hinter und nähte den Sack zu, der Russe stand dabei, sah lächelnd zu, ohne mich anzurühren, das machte dann allen meinen Hausgenossen Muth.

Einen Abend hatten wir noch eine eigene Scene mit den Russen. Ich hatte in der Schummerstunde gespielt und gesungen, was unsere Kinder, vorzüglich der kleine dreijährige Carl sehr liebt. Die Russen sind bekanntlich große Freunde der Musik und verlangten noch mehr zu hören. Ich hatte keine Ahnung davon, aber unsere Wirtinnen, welche in ihrer Wohnstube ein Piano und eine Guitarre hatten, brachten schnell beide Instrumente nach einer hinteren Kammer, öffneten dann den Russen, welche schon sehr ungeduldig waren, die Tür und versicherten, nicht spielen zu können. Die Russen, welche etwas angetrunken waren, forderten nun Musik mit Ungestüm. Die armen Mädchen waren außer sich vor Schreck. Zu allem Glück kam mein Mann und der Herr Steinbach darüber zu Hause und suchten die Soldaten zu beschwichtigen, welches ihnen hauptsächlich dadurch gelang, dass ihnen Kapuste (Sauerkohl), Bratwurst und Branntwein versprochen wurde. Unser Wirt führte die Leute nach einem nahem Wirtshaus und bewirtete sie reichlich, so wurde die Ruhe wieder hergestellt. Czernichef hatte die verschiedensten russischen Stämme unter seinem Corps, sogar Baschkiren waren dabei, welche nur mit Lanzen, Bogen und Pfeilen bewaffnet waren. Diese vergnügten sich mit einer Statue des Napoleon, welche auf einem Springbrunnen auf dem Königsplatz stand, die Nase abzuschießen. Nach wenigen Tagen verließ Czernichef Cassel wieder, nachdem er sich das wenige Geld, was in den Kassen war, hatte auszahlen lassen.

Der König kehrte von seiner vorgegebenen Jagd zurück, aber nur um einzupacken, was nur fortzubringen war. Es ging soweit, dass sogar die Mahagonitüren aus seinem Schlosse in der Bellevue Straße ausgehoben und mitgenommen wurden. Alle Franzosen folgten seinem Beispiel, machten zu Gelde, was sie nur irgend konnten und suchten es, um es besser fortzubringen, in Geld umzusetzen. Sie gaben 7 Rth. und mehr für einen Napoleon d’or. Die armen französischen Schauspieler boten einen lächerlichen Anblick dar. Die Frauenzimmer und Kinder waren mit ihren wenigen Habseligkeiten auf Wagen gepackt und die Männer gingen in allen nur möglichen Costümen hinterher. Die westphälischen Soldaten entledigten, soviel sie konnten ihrer Uniformen, zerbrachen die Schlösser an ihren Gewehren und warfen dieselben in irgend einen Graben oder über einen Zaun. Da wir vor dem Tore wohnten, so sahen wir sie truppenweise abziehen und auf unser Befragen, wo sie hingingen, sagten sie: Diese Nacht in den nächsten Wald und dann in die Heimat. Alle Hessen jubelten und erwarteten mit der größten Ungeduld ihren Kurfürsten, denn ihr Franzosenhaß war unbeschreiblich. Ich weiß mehrere, welche den König Jerome nie gesehen hatten, wenn sie ihn auf der Straße von ferne kommen sahen, traten sie so lange in ein Haus, bis er vorüber war. So rückte endlich der Tag heran, wo der Kurfürst einzog, die Freude war unendlich und ganz Cassel auf das glänzendste erleuchtet. Jeder suchte seine Freude auf seine wenn auch oft groteske Weise auszudrücken. So hatte unter anderem ein Bäcker ein Transparent an seinem Haus, welches seinen Backofen mit dem hellsten Feuer darstellte und er selbst mit einer großen Schaufel davor. Darunter stand: „ Wer das Haus Hessen nicht tuth lieben, dem tue ich in diesen Ofen schieben.“ Alle Soldaten suchten ihre Uniformen und Zöpfe wieder vor, da der Kurfürst die letzteren so sehr liebte. Und ein alter Soldat, welcher einen recht ehrwürdigen Zopf hatte, soll beim Einzug denselben an dem Türpfosten gezeigt haben mit den Worten: „Ih ha ihn noch (Ich habe ihn noch).“

Allen diesen Jubel machten wir noch mit und dachten nun allen Ernstes daran, Cassel wieder zu verlassen, da der Kurfürst erklärt hatte, das er nur Hessen anstellen wolle, was ich ihm auch nicht einen Augenblick verdachte, so sehr wir dadurch für den ersten Moment auch litten. Das letzte Gehalt war gezahlt, aus dem Vaterlande hatten wir wieder gute Nachrichten und da unsere Mittel nur durch einen längeren Aufenthalt verringert wurden, so war es das beste, an unseren Rückzug zu denken. Ein Bekannter meines Mannes, der Kammer-D. Rabe, war gezwungen gewesen, sich eine Zeit lang in Cassel aufzuhalten, er benutzte die Abreise des preussischen Gesandten, um nach Berlin zurückzukehren. Er hatte seinen Wagen in Cassel gelassen und meinen Mann gebeten, ihm denselben bei Gelegenheit zu senden. Obgleich der Wagen nur zweisitzig war, so ließ mein Mann doch eine Vorrichtung darin machen, dass wir alle Platz darin fanden. Es wurden hinten zwei eiserne Stangen angemacht, welche oben durch eine dritte verbunden waren und über die Trommel reichte. Darunter wurde ein kleiner Sitz angebracht, worauf Auguste und Adolf Platz nehmen mussten. Im Fond saß ich mit dem Mädchen, welche den Carl auf dem Schoß hatte und Luise zwischen uns. Mein Mann, welcher nie Einschränkungen im Wagen geliebt hatte, zog es vor auf dem Bock zu sitzen. Unsere Möbel und Hausgerät mussten wir zum zweiten Mal im Stich lassen. Unsere Wirtsleute hatten die Wohnung noch nicht wieder vermietet und wenn sich kein Mieter fand, so mussten wir bis Ostern die Miete bezahlen, also konnten für den Augenblick unsere Sachen stehen bleiben.

So rückte der Tag unserer Abreise immer näher und ich nahm mit schwerem Herzen von unseren zahlreichen Freunden Abschied. Wir kehrten zwar ins Vaterland zurück und waren einer liebevollen Aufnahme bei meinem Vater gewiß, aber wir gingen einer ungewissen Zukunft entgegen, wer konnte uns sagen, wann mein lieber Mann wieder eine Anstellung erhielt. Ich sah es bei dieser Gelegenheit recht ein, wie fesselnd Wahlverwandtschaften werden können, denn einige Familien waren mir wirklich so lieb  wie Blutsverwandte geworden.

Endlich in den ersten Tagen des December 1813 fuhren wir ab. Das mildeste Wetter begünstigte unsere Fahrt. Da Magdeburg noch belagert wurde, mussten wir unseren Weg über Braunschweig nehmen und so kamen wir ohne Unfall bis Rathenow. Hier wollte man uns nicht weiter lassen, weil unser Paß nicht von einer preussischen Behörde visiert war, es sei denn, dass sich jemand fände, welcher uns anerkennen wollte. Wir hatten keinen Bekannten in der Stadt und Umgegend. Da fiel es meinem Manne ein, einen Boten an seinen Schwager den Amtsrath Cochius nach Dreetz zu schicken und ihn schriftlich zu bitten, sich unserer anzunehmen. Wir brachten einen langweiligen Tag in Rathenow zu, aber der andere war umso angenehmer, denn Cochius kam selbst uns abzuholen.

Nachdem wir noch 3 Tage sehr angenehm in Dreetz verlebt hatten, erreichten wir in den letzten Tagen des December Berlin, wo wir mit offnen Armen von meinem Vater aufgenommen wurden.

Hier enden meine Berufsreisen. Da mein Mann nach einigen Monaten als Kammergerichtsrat angestellt wurde, so blieb Berlin fortan unser Wohnort.

Zeitungen durften nicht mehr herein

12. Teil der Erinnerungen der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline Kienitz, geb. Ransleben

Im April des Jahres 1812 kehrte ich zu meinem lieben Mann zurück und wir feierten ein fröhliches Wiedersehen. Mein Mann hatte eine Wohnung vor dem Thor in der Wilhelmshöhe, damals Napoleonshöhe genannt, gemietet, wo es mir recht wohl gefiel. Der schreckliche kalte Winter von 12 zu 13, welcher für die französische Armee so verhängnisvoll war, zeigte auch uns die Schattenseite unserer Wohnung, sie war durch den Flur getrennt und deshalb kaum zu erheizen. Deshalb haben wir zu Ostern 13 einige Häuser weiter nach dem Hause des Hofrath Steinbach, in der bel Etage eine wirklich schöne Wohnung bezogen, wobei ein entzückend schöner Garten war, einem kleinen Landgut zu vergleichen, denn er war 23 Morgen groß und wir konnten ihn wie den unsrigen genießen. Der Herr Steinbach hatte zwei erwachsene Töchter, mit denen wir in der größten Eintracht lebten. Hinten im Garten hatte unser Wirt uns ein Stück Land, vielleicht einen ½ Morgen groß zu unserer Benutzung überlassen, welches wir, nachdem es umgegraben war, ganz allein bebauten. Es hatte eine wirklich romantische Lage, von zwei Seiten war es von Felsen umschlossen und von der dritten hatten wir eine entzückende Aussicht nach dem schönen Wilhelmshöhe, dessen berühmte Fontänen wir von dort aus konnten springen sehen. Ich kann wohl sagen, dass ich die angenehmsten Tage meines Lebens dort zugebracht habe. Wie oft habe ich damals zu meinem Mann gesagt: „Es kann so lange Zeit nicht bleiben“, denn es blieb uns fast nichts zu wünschen übrig. Unsere lieben Kinder waren gesund, gediehen vortrefflich und Luise lernte bei mir mit der größten Leichtigkeit das wenige, was sie bis dahin zu lernen brauchte und wir lebten in den angenehmsten geselligen Verhältnissen. Nie wird diese schöne Zeit meinem Gedächtnis entschwinden und sollte ich noch so alt werden. Nur der Gedanken an unser bedrücktes Vaterland trübte mitunter unseren Frohsinn.

So rückte die Zeit immer näher, wo das Schicksal Preussens entschieden werden sollte. Die große Niederlage der Franzosen in Russland erfuhren wir nur sehr unvollkommen, denn fremde Zeitungen durften nicht mehr herein und so wurde uns nur bekannt, was die Franzosen für gut fanden, uns wissen zu lassen. Der Herbst nahte sich und endlich war die große Völkerschlacht bei Leipzig, auch das erfuhren wir nur unvollkommen, denn Briefe aus der Heimat gelangten nicht mehr zu uns. Wir waren oft in Verzweiflung, was noch werden sollte, denn kurz vor der Schlacht bei Leipzig hieß es in Cassel, die Franzosen stünden vor Berlin und der König von Westphalen habe in seinem Schlosse auf einer großen Karte die künftigen Grenzen seines Reiches gezeichnet und Berlin als seine Residenz genannt.

Eines Abends war ich in einer Gesellschaft, kurz nach dem 18. Oktober und sehr niedergeschlagen, ob der traurigen Lage meines Vaterlandes. Da trat ein junger Mann zu mir, welcher immer vertraute Botschaften ausschickte, um etwas zu erfahren und dieser sagte mir, er habe einen Brief erhalten, wo ihm gemeldet würde, der Prozess wäre in allen Punkten gewonnen, das bedeutete aber nur, dass die Preussen gesiegt hätten und ich könne mich also gewiss beruhigen.

Wir hatten in unserem kleinen Garten eine ziemliche Menge Kartoffeln gelegt, konnten aber keinen Menschen bekommen, um dieselben aufzunehmen, weil ein jeder sich beeilte, seine eigenen Feldfrüchte einzubringen, in dem man vermutete, der Feind nahe sich. Diese Nachricht wurde dadurch bestätigt, dass der König von Westphalen Cassel verlassen hätte. Da wir aber nun sehr wünschten, unsere Kartoffeln benützen zu können, so beschlossen wir selbst unsere Kartoffeln auszubuddeln. Die Kinder hatten einen kleinen Wagen, darauf wurden die Kartoffeln geladen und die älteren Kinder mussten dieselben nach unserer Wohnung fahren.

Als wir eines Tages damit beschäftigt waren, schien es mir, als wenn ich in der Ferne aus einem Walde heraus Waffen blinken sähe. Mein Mann ging sogleich nach Hause, um ein Fernglas zu holen. Als er damit zurückkehrte, sah er durch dasselbe die Russen in großer Menge aus dem Walde herauskommen. Wir eilten nun sogleich nach Hause, um die Nachricht unseren Hausgenossen mitzuteilen. In der Stadt mochte man schon Nachrichten von dem Erscheinen dieser Gäste haben, aber vor dem Tore hatte sich noch nichts davon verbreitet und so machte unsere Mitteilung unseren lieben Wirtinnen einen großen Schreck. Der Hofrat Steinbach, unser Wirt, war verreist und so war mein Mann das einzige männliche Wesen im Hause. Unsere lieben Wirtinnen waren nicht wenig erschrocken, und es wurde Rat gepflogen, ob es ratsam wäre, etwas zu verbergen oder nicht. Die Meinungen waren sehr geteilt, doch siegte endlich die weibliche Furchtsamkeit und es wurden Verstecke für einiges Silberzeug und Geld gesucht. So ging der Tag unter bangen Erwartungen hin, ohne dass wir bestimmte Nachrichten von der Stadt erhielten. Mein Mann wäre gern hingegangen, aber er gab unseren Wünschen (das heißt der Steinbach’schen Mädchen und der meinigen) nach und blieb bei uns. So kam die Nacht heran, es hieß die Russen wären noch nicht in Cassel, sondern bivaquierten vor der Stadt. Dennoch wagte keiner zu Bett zu gehen.

Es war gerade Pflaumenzeit und unsere Wirtinnen beschlossen, die Nacht damit zuzubringen, Pflaumen auszusteinen, um Mus davon zu kochen, obgleich Sophie, die älteste Steinbach, seufzend sagte, dasselbe würde wohl für die Russen gekocht werden. Mein Mann legte sich ab und zu nieder, denn er teilte nicht unsere große Furcht, aber Sophie (Amalie, die zweite, war etwas mutvoller) schickte mich immer wieder ab, ihn zu wecken. So brachten wir die Nacht eigentlich unter vielem Lachen hin. Gegen vier Uhr überwältigte mich die Müdigkeit und mein Mann drang darauf, dass ich mich niederlegen sollte. Beim Erwachen erfuhren wir, die Russen währen ein Streif (korps), welches Czernichef kommandierte, welchem sich viele Deutsche angeschlossen hätten. Czernichef hatte keine feindlichen Absichten gegen Cassel und wäre ganz friedlich eingezogen, wenn der westphälische General von „Ochs“ nicht den tollen Einfall gehabt hätte, die Stadt verteidigen zu wollen, was ein Unsinn war, da Cassel ein offener Ort ist. Nun warfen die Russen einige Bomben herein, welche zum Glück nicht zündeten, aber großen Schrecken verbreiteten. Jeder war empört darüber und als Ochs durch die Straßen ritt, wurde er von den Bürgern fast vom Pferde gerissen, so daß er genötigt wurde, eine Capitulation mit Czernichef zu schließen und so zogen die Russen ungehindert ein. Alle Hauswirte bekamen Einquartierung und so kamen denn zu unserem Herrn Steinbach zwei gemeine Russen und zwei Pferde.

Der französische Oberst und seine Liebste

11. Teil der Erinnerungen einer Ur-Ur-Ur-Großmutter – Der Frau Geheimen Justizrat Catharina Luise Caroline Kienitz, geb. Ransleben

Ich machte mich mit meines Mannes Zustimmung getrost auf den Weg, hatte beim schönsten Wetter, wodurch der Sommer von 1811 sich so sehr auszeichnete, eine sehr angenehme Reise und kam wohlbehalten in Berlin an. Mein Vater war entzückt über unsere Kinder und hatte wirklich eine große Vorliebe für sie. Im Herbst kam mein Mann, um mich abzuholen und mein Vater war sehr traurig, den Winter so allein zubringen zu sollen, da er sich so sehr an unsere Kinder gewöhnt hatte. Da erklärte die alte Meisner, die Haushälterin meines Vaters, wenn sie sich den Winter über nicht ausruhen könnte, so würde sie nicht bei meinem Vater bleiben. Mein Mann, meine Geschwister, wir alle waren ganz außer uns bei diesem Gedanken, denn wir waren überzeugt, dass kein Mensch meinen Vater so pflegen könnte und dass er durch Fremde schrecklich würde betrogen werden. Wir machten der alten Person alle nur möglichen Vorstellungen, mein Vater erbot sich, eine andere Küche anlegen zu wollen, weil die bis dahin bestehende im Souterrain war, aber vergebens; sie beharrte bei ihrem Entschluss und sagte, wenn sie das nicht erreichen könnte, so würde sie ganz wegziehen.

Was war nun zu machen? Da war guter Rat teuer. Da beschworen meine Geschwister meinen Mann, er möchte mich den Winter über in Berlin lassen. Wir wollten beide davon nichts hören und es war auch zuviel verlangt, dass mein Mann ohne Frau und Kinder den Winter zubringen sollte, aber mein Mann gab doch endlich den Bitten meines Vaters nach und ließ mich in Berlin. Für mich war es wahrlich keine angenehme Zeit, die Trennung von meinem Mann wurde mir sehr schwer und so liebevoll auch mein Vater in vieler Hinsicht gegen mich war, so beschränkte er mich doch sehr und ich durfte es mir nicht einfallen lassen, irgend eine Gesellschaft und wäre es auch bei meinen Geschwistern gewesen, zu besuchen, wenn er nicht gebeten war und als ich doch einmal den Bitten meiner Schwester Nanette nachgab und einen Abend bei ihnen zubrachte, wo nur junge Leute waren und viel musiziert wurde, hatte ich am anderen Morgen eine so unangenehme Scene mit meinem Vater, dass ich mich weit lieber ergab und gar nicht mehr allein ausging.

Noch einen Grund hatte mein Mann, um in einen längeren Aufenthalt in Berlin zu willigen. Die Wohnung, welche wir bis jetzt auf dem Königsplatz bewohnten, war uns, wie schon gesagt, zu klein, da es uns aber zu einer größren Wohnung an Möbeln fehlte, wir aber dazu kein Geld hatten, so diente mein längerer Aufenthalt in Berlin dazu, soviel zu ersparen, um uns noch mehr Möbel anzuschaffen. Mein Mann aber blieb bis Ostern mit H. Provensal zusammen.

Den Winter über hatte ich im Hause manche oft unangenehme Zerstreuung. Napoleon rüstete sich zu seinem Riesenzuge nach Russland und mein Vater hatte deshalb oft Einquartierung. Italiener und Spanier, alles musste mit. Einen französischen Oberst hatten wir längere Zeit, welcher sich kurz vor seinem Ausmarsch mit einem ganz jungen Mädchen aus Frankfurt a. M. verheiratet hatte. Dieser Oberst, Guerel war sein Name, erzählte mir mit Begeisterung von seiner jungen Frau. Er freute sich oft über meine kleine Luise und sagte, es sei allerdings eine Seltenheit, so wie sie blondes Haar und dunkle Augen zu haben, aber seine Frau sei eine noch größere Seltenheit, denn sie habe schwarzes Haar und die schönsten blauen Augen. Späterhin ließ Guerel seine Frau kommen, um sie mit nach Russland zu nehmen. Es war eine ganz junge unerfahrene Person und da sie gar keine Menschen in Berlin kannte, so gab ich den Bitten des Ehepaares nach, fuhr mit ihnen spazieren und besuchte auch mit ihnen das Theater. Der Oberst schaffte alle nur möglichen Vorräte an und belud einen ganzen Wagen damit, damit es seiner Frau in dem unwirtlichen Lande an nichts fehlen sollte, aber wer weiß, ob das arme junge Wesen nicht doch dort umgekommen ist. Ich bin dem Oberst späterhin im Jahre 1814 in Berlin begegnet, da ging er sehr mühsam und sah so entstellt und in sich gekehrt aus, dass er wahrscheinlich noch an den Folgen des schrecklichen Feldzuges litt.