Besuch im Schauspielhaus

29.April

Wenn es so etwas wie eine Regel gibt für mich hier in Magdeburg , so ist es, dass ich

mich möglichst früh, gleich nach dem Aufstehen an mein Romanmanuskript setze.

Nachmittags bin ich auf Entdeckungsreise mit dem Fahrrad und setze mich irgendwo an

die Elbe – gern auch auf eine Wiese- zum Überarbeiten und Korrigieren. Die Stellen, wo

man völlig ungestört sein kann, sind nicht schwer zu finden und- Dank meiner Mobilitätvom

Zentrum aus mit geringem Zeitaufwand zu erreichen, wobei die Wege am und über

den Fluss hinweg ja schon zum genießenden Ziel gehören.

Gern fotografiere ich auch. Dabei habe ich mich allerdings ertappt, dass ich, um das

perfekte Bild von alten Gemäuern haben zu wollen, Neubauten ausblendete, die im

Hintergrund auftauchen. Was für ein Schwachsinn, sagte ich mir, das ist nicht die

Realität! Wer hat schon heute zu Hause noch ein perfekt eingerichtetes Barock,-Rokoko

oder Biedermeierzimmer? Dabei gehe ich noch längst nicht soweit zurück, wie es die

Zeiten waren, in denen manche Mauern Magdeburgs entstanden und der Grundstein für

die Domanlage gelegt wurde.

Wir, unser Alltag, unsere Bedürfnisse haben sich verändert. Wir kleiden, bewegen und

Gebärden uns anders als in jenen Vorzeiten. Also sollten wir uns auch dazu bekennen,

dass sich unser Umfeld umgestaltet hat. Wer das Glück hat, einen Barockschrank zu

Hause zu besitzen, wird ihn nicht nur von Kerzenlicht beleuchten lassen. Auch der

Biedermeiersekretär verliert nichts von seiner Schönheit, wenn vor ihm ein Stuhl im

Bauhausstil steht. Zu Hause haben wir uns längst an den Mix gewöhnt, keiner will und

kann schließlich in einem Museum wohnen. Wieso sollten wir den selbstverständlich

gewachsenen „mix“ im Städtebild zu leugnen versuchen? Gerade in dem Brüchen liegt

doch der Reiz.

Manchmal habe ich aber auch den Eindruck, dass viele Magdeburger die Juwelen ihrer

Stadt nicht mehr sehen, durch all das Neue was daneben, dahinter oder davor gebaut

wurde und wird.

Der Blick für die Schönheiten der Stadt sollte dabei nicht verloren gehen, sondern sich

eher erweitern.

Ich habe den Gekreuzigten von Fritz Cremer fotografiert. Fritz Cremer, der mir, die ich in

Weimar aufgewachsen bin, schon von Kindheit an, durch sein Denkmal in Buchenwald

bekannt ist.

Hier steht nun eine Skulptur von ihm mit dem Rücken zur Elbe. Zugewandt ist sie der

erhaltenen bzw. wiedererrichteten Altstadt und den Gebäuden der Nachkriegszeit. Ernst

blickt der große weitgreifende Gekreuzigte von Fritz Cremer -aber auch trotzig! Das Kreuz

ist nur in unseren Köpfen. Inzwischen könnte er genauso gut auch die Arme sinken

lassen und loslegen, mitmachen …es ging ja weiter, ist weiter gegangen und es geht

weiter in dieser Stadt, …vorerst sind die Kreuzwege Geschichte …

Letzte Woche war ich erstmals, seit ich hier als Stadtschreiberin wohnen darf, in der

Studiobühne des Magdeburger Schauspiels. Ich sah eine Inszenierung von Alan

Ayckbourns Stück: „Ab Jetzt“, und war hingerissen !!! Ein Kleinod mit großartigen,

komödiantischen Schauspielern und einer feinen liebe,- und geschmackvollen

Regiehandschrift. Diese Aufführung wäre, dachte ich, würde sie so auf einer Berliner

Bühne stattfinden, dort zum Kult erhoben sein. Hier in Magdeburg aber war der Raum, in

dem die Zuschauer sich von drei Seiten um die Bühne herum platzieren konnten, nicht

einmal zur Hälfte besetzt…

Wissen die Magdeburger vielleicht gar nicht, was sie da für einen tollen Abend erleben

könnten; was für tolle Schauspieler in ihrem Theater engagiert sind? Es tat mir weh, vor

allem, weil ich beobachten konnte, mit welcher Leidenschaft, Genauigkeit und welch

herrlichem Humor die Schauspielkollegen ( -ich darf sie ja so nennen-) sich in ihre Rollen

gestürzt haben.

Ein Bedürfnis ist es mir, ein paar Namen zu nennen, die den Abend mitverantworten. Ich

kannte ( zu meiner Schande) bisher weder den Regisseur Stephan Thiel, noch die

wunderbaren Schauspielerinnen Marie Ulbricht und Anne Hoffmann. Auch Carmen

Steinert oder die beiden ebenso spiel-starken männlichen Schauspieler Ralph Opferkuch

und Marian Kindermann waren mir nicht persönlich bekannt. Christiane Hercher stattete

die Inszenierung aus — Alle haben sie da ein ‚kleines‘ Gesamt -Kunstwerk geschaffen

und so gilt ihnen mein Dank und meine Gratulation!!!!

Ich werde alles daran setzen, auch Freunde und Kollegen aus Berlin oder Halle nach

Magdeburg zu den nächsten beiden, -leider letzten Vorstellungen- zu locken.

Am 12. Mai und 2. Juni sollen diese „Ab jetzt“ – Vorstellungen im Studio des

Magdeburger Schauspiel in der Otto-von-Guericke-Straße stattfinden.

Magdeburger , kommt!!!!, lasst sie Euch nicht entgehen!

Näheres ist zu erfahren über :

https://www.theater-magdeburg.de/spielplan/schauspiel/sz-20172018/ab-jetzt/

„Magdeburger, erkennt Eure Schätze!“, möchte ich von meiner Terrasse in der Ottovon-

Guericke-Straße über die Stadt rufen.

 

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