Back to the roots

Dies sind die ersten Zeilen meines Stadtschreiberblogs, die ich nicht in Magdeburg schreibe. Sondern dort, wo alles begann. Na ja, nicht ganz. Der genau Ort ist eine Etage tiefer, in meinem alten Zimmer, das heute von meinem Vater genutzt wird. Dort, wo vor mehr als vierzig Jahren der Schreibtisch stand, an dem meine ersten Texte entstanden sind, thront heute sein Sekretär; wo sich einst meine Bücher stauten, hat er sein Nervennahrungsdepot aus Katjes, Studentenfutter und Toffifee. Und wo einmal Charles Bukowski mit einer Bierflasche in der Hand an der Wand hing, lächelt einem heute meine Mutter entgegen, die überhaupt keinen Alkohol trinkt.

  Doch auch von hier oben, dem früheren Zimmer meiner Schwester, wo ich jetzt sitze und schreibe, hat man einen Blick auf den Sportplatz der DJK Spielvereinigung Mellrich, meinem Heimatverein. Von hier beziehungsweise meinem alten Zimmer eine Etage tiefer  aus habe ich an manchen Sonntagen, wenn ich mal wieder was ausgefressen hatte und nicht auf den Sportplatz durfte, die Spiele der ersten Herrenmannschaft kommentiert. Meine ersten – sagen wir mal etwas gewagt: künstlerischen Verlautbarungen. Meine Vorbilder waren Jochen Hageleit, Armin Hauffe, Werner Hansch und Heribert Faßbender, die ich allesamt aus der von Kurt Brumme moderierten WDR-2-Sendung „Sport und Musik“ kannte. Rundfunkreporter also, keine Schriftsteller. Bis ich mich traute, über Fußball zu schreiben, das dauerte. Mindestens zwanzig Jahre. Da las ich dann „Fever Pitch“ von Nick Hornby und dachte: Das darf man? Im Namen der Literatur über Fußball schreiben?

  Man durfte noch nicht, zumindest nicht in Deutschland. „Damit können Sie vielleicht in Kolumbien oder einem anderen südamerikanischen Land reüssieren“, schrieb mir ein Lektor eines großen deutschen Theaterverlags zurück, nachdem ich ihm mein Stück „Golden foul“ geschickt hatte, in dem es um einen der legendärsten Platzverweise der Fußballgeschichte ging: den von David Beckham im WM-Achtelfinale 1998 gegen Argentinien, als er den heutigen Trainer von Atlético Madrid, Diego Simone, in die Wade trat und Englands Hoffnungen auf einen zweiten WM-Titel nach 1966 zerschellten. Und der große Tankred Dorst ließ den kleinen Jörg Menke-Peitzmeyer kurz darauf nicht an der Göttinger Dramatikerwerkstatt teilnehmen, weil er genau dieses Thema nicht „gewichtig“ genug fand. 

  Die Zeiten änderten sich erst, als Deutschland den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bekam. Plötzlich wollten alle Theater was zum Thema Fußball machen. Und ich konnte liefern, aus der prallgefüllten Schublade, ein Stück nach dem andern, über Abstiegskämpfe, Fußballfans und Nachwuchsspieler. Bis hin zu einem Spieler des FC. Magdeburg, der am 22. Juni 1974 um 21:04 im Hamburger Volksparkstadion Fußballgeschichte schrieb: Jürgen Sparwasser.

  Der Kreis schließt sich also. Ich sitze an meinem Geburtsort als Schriftsteller – ein Wort, mit dem ich übrigens noch immer so meine Schwierigkeiten habe – und schreibe über Fußball. Über Sparwasser. Beziehungsweise über einen kleinen Jungen, der den großen Sparwasser kennenlernen möchte. Dieser kleine Junge bin ich und bin ich auch nicht, wie das eben so ist in der Literatur: noch die wildeste Phantasie wurzelt im wahren Leben. Zumindest die Plattform, die Startbahn teilen wir, der kleine Junge und ich. Sie ist genau hier. Beziehungsweise eine Etage tiefer. Mit dem Blick auf den Sportplatz.

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